Kommentar Multiresistente Keime: Ab in den Stall
Die lebensbedrohlichen Keime vermehren sich erschreckend schnell. Die Politik muss jetzt dringend bei der Tierhaltung ansetzen.
D ie klassische Medizin ist in Gefahr. Wer jetzt das Gesundheitsministerium übernimmt, muss sich darum kümmern. Er oder sie muss etwas dagegen tun, dass Menschen wegen eines Knochenbruchs ins Krankenhaus kommen, was eigentlich harmlos ist, dann aber plötzlich an einer Infektion sterben, weil gängige Antibiotika versagen. Er oder sie muss dafür über Ärzte und Krankenhäuser, über Desinfektionsmittel und Mundschutz hinaus denken und sich anlegen mit der Agrarindustrie.
Das wird nicht leicht. Doch das Ausmaß, wie sich die lebensbedrohlichen Erreger vermehren, ist erschreckend. Zumindest darüber dürften sich alle einig sein, seit Forscher diese Woche die Keime in Flüssen, Bächen und Badeseen gefunden haben. Gesunden Menschen machen sie erst einmal zwar wenig zu schaffen. Das kann aber schnell anders werden. Die Bakterien lauern im Körper, werden gefährlich, wenn man schwach ist, etwa operiert wird.
Schon heute sterben so allein in Deutschland jedes Jahr 15.000 Patienten. Im Jahr 2050 werden die Keime für den Menschen sogar tödlicher sein als Krebs, sagen Wissenschaftler voraus – wenn alles beim Alten bleibt, also bei der Überdosis an Antibiotika, die die Resistenzen provoziert.
Da muss die neue Regierung ansetzen, genauer: bei der Tierhaltung. Tierärzte verabreichen heute ein Mehrfaches an Antibiotika als Humanmediziner ihren Patienten. Sie geben sogar Reserveantibiotika, die eigentlich nur für den Notfall beim Menschen vorgesehen sind. Das hat vor allem damit zu tun, dass Tiere häufig zu eng stehen, auch mal in ihrem Dreck. Mit der starken Einsatz von Antibiotika verbreiten sich aber auch die gefährlichen Keime, etwa mit dem Schweine- oder Hähnchenfleisch, auch über die Gülle.
Das heißt: Wer im besten Sinne der Patienten Politik machen will, muss ab in den Stall, sich ums Tier kümmern. Anders gesagt: Gesundheitspolitiker müssen die industrielle Tierhaltung infrage stellen und mit ihrer Lobby streiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland