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Kommentar Merkels SommerinterviewSommer der Sachlichkeit

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Die Kanzlerin reagiert kühl auf Nachfragen zu Problemen wie Brexit und Flüchtlingspolitik. Eine erneute Kandidatur lässt sie offen.

Im Jahr 2006 war noch alles gut: Bush, das Spanferkel und eine entspannte Kanzlerin Foto: dpa

M it einem kurzen „Ja“ erwiderte Angela Merkel die Begrüßungsfloskel der ZDF-Moderatorin Bettina Schausten, es sei schön, dass die Kanzlerin ins Studio gefunden habe. Ähnlich ungetrübt von Freundlichkeiten verlief das gesamte sonntägliche Sommerinterview. Weiß Gott, das zurückliegende Jahr hatte wenig Anlass zur Gelassenheit geboten. Angesichts von Brexit, Terror und Groko-Zoff war Sachlichkeit das Gebot der Stunde.

Noch vor Jahresfrist galt Merkel, die mächtigste Politikerin Europas, als unangreifbar: Euro-Rettung, Ukraine-Politik, die deutsche Wirtschaft im vollen Saft. Doch all ihre Erfolge galten plötzlich wenig, nachdem Merkel entschieden hatte, die Grenzen für Bürgerkriegsflüchtlinge öffnen zu lassen. In den Monaten danach mutierten Kleinbürger zu Rassisten, Populisten gewannen Landtagswahlen, Politikverachtung und Gewalt brachen sich Bahn. Der Brexit, das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union, war das außenpolitische Fanal.

Man kann sagen, dass diese Erosion der parlamentarischen Demokratie auch ein Ergebnis von Merkels kommunikationsbefreiter Politik war. Zehn Jahre lang hatte sie es versäumt, ihren WählerInnen zu erklären, worin die Grundlagen ihres politischen Handelns bestanden. Das hat sie längst nachgeholt. Spätestens als sie beim CDU-Parteitag vor sieben Monaten ihre persönlichen Werte darlegte, als sie dem den rechten Rand hofierenden CSU-Chef Horst Seehofer die Stirn bot, musste jedeR wissen: Angela Merkel hat einen inneren Kompass.

Und so nahm es nicht wunder, dass sie auf die Frage der Interviewerin, ob sie nicht seit einem Jahr mit dem Einfangen der Folgen ihrer Flüchtlingspolitik befasst sei, kühl antwortete, alle Entscheidungen seien schließlich gemeinsam mit den Koalitionspartnern CSU und SPD gefällt worden: „Ich stehe zu jeder Entscheidung, die ich, die wir, die die Bundesregierung getroffen haben.“ Die Partner in Mithaftung zu nehmen ist nicht die schlechteste Strategie.

Es wird das gesagt, was notwendig ist, wenn es notwendig ist.

Angela Merkel

Spekulationen, der Brexit könne noch abgewendet werden, wies sie zurück. „Ich befasse mich mit den Realitäten“, sagte Merkel, und dass sie „ganz fest“ davon ausgehe, dass Großbritannien den entsprechenden Antrag stellen werde, sobald eine neue Premierministerin im Amt sei.

Merkel as usual, könnte man sagen. Wäre da nicht die letzte Frage nach einem möglichen Verzicht auf die nächste Kanzlerkandidatur gewesen. Sie werde sich dazu „zum gegebenen Zeitpunkt“ erklären, antwortete Angela Merkel – wann der sein werde, müsse wie stets abgewartet werden. Und dann, auf Nachfrage, dieser umständliche Satz: „Es wird das gesagt, was notwendig ist, wenn es notwendig ist.“ Noch vor Jahresfrist pflegte die Kanzlerin auf derlei Fragen zu antworten, sie übe ihr Amt mit viel Freude aus. In diesem Juliabend war davon nichts zu spüren.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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14 Kommentare

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  • Merkel wird, wenn sie das möchte, auch noch in 20 Jahren Bundeskanzlerin sein.

     

    Speziell ihre Behandlung des Themas „Flüchtlingskrise“ verdeutlicht wieder einmal die taktische Genialität der Kanzlerin sowie die unfassbare Schlafmützigkeit großer Teile der deutschen Wählerschaft: Auf der einen Seite präsentiert sie sich immer noch als vehementeste Beschützerin der Flüchtlinge aus aller Welt, auf der anderen Seite sorgt sie mit ihrer Realpolitik für eine Abschottung der EU, von der z. B. Orban oder Le Pen nur träumen können.

     

    Mit dieser Doppelstrategie hat Merkel sich binnen kürzester Zeit ein gewaltiges Wählerpotential erschlossen: Voller Inbrunst werden nun alle von Linksautonomen bis hin zu Pegidisten ihr Kreuzchen an der „richtigen“ Stelle machen. Felix Germania...…

    • @Urmel:

      Nöö! Sicher nicht.

  • "Noch vor Jahresfrist galt Merkel, die mächtigste Politikerin Europas, als unangreifbar: Euro-Rettung, Ukraine-Politik, die deutsche Wirtschaft im vollen Saft. Doch all ihre Erfolge galten plötzlich wenig, nachdem Merkel entschieden hatte, die Grenzen für Bürgerkriegsflüchtlinge öffnen zu lassen."

     

    Euro-Rettung mit EZB-Buchgeld aufgeschoben, Ukraine-Konflikt Monde von einer Lösung entfernt und die deutsche Wirtschaft dümpelt wie schon länger knapp über der Null-Linie, gestützt von Exportüberschüssen zu Lasten der unmittelbaren Nachbarn und "Partnern".

     

    Es ist so unendlich schade, daß die Kanzlerin den Duft der Blüten ihrer Erfolge nicht geniessen kann.

  • Es wäre ein massiver Verlust für Deutschland, wenn sie nicht für eine weitere Legislaturperiode zu Verfügung steht.

    • @IL WU:

      "Angela Merkel hat einen inneren Kompass."

       

      Das Vertrauen der Autorin, dass Merkel tatsächlich weiß was sie tut - Merkelplan - ist anscheinend unerschütterlich.

      • @A. Müllermilch:

        Frau Merkel as usual das passt ,denn für gewöhnlich sag die Frau gar nichts als blubber,blubber ihr könnt mich mal

         

        Mir scheint das einige Frau Merkel nicht mit der CDU/CSU in Verbindung bringen sonst kann ich mir diesen Artikel nicht erklären.

        • @ulf hansen:

          Sie wissen schon, dass CDU/CSU hauptverantwortlich für den Wohlstand in Deutschland sind?

           

          Das beste in den derzeitigen Krisen wäre wohl wieder eine starke Schwarz/Gelbe Regierung.

          • @IL WU:

            Sie wissen schon, dass die, die täglich schuften gehen und brav ihre horrenden Steuern zahlen hauptverantwortlich für den Wohlstand sind?

            Das Beste ist wohl sicherlich nicht ein "weiter so mit ein bißchen Rückschritt"- für Sie vielleicht, irgendwie persönlich, aber bestimmt nicht für unsere zerbröselnde Gesellschaft mit ihrer abgewirtschafteten politischen Kultur. Dafür ist schwarz/gelb (in Kollaboration mit rot/grün) schon eher zumindest mitverantwortlich, nachweisbar. Und denken Sie bitte mal über ein anderes Avatar nach, mit Pispers haben Ihre regierungstrolligen Aussagen so gar nichts gemein.

            • @Parateckxs:

              ok,

               

              mit einem haben Sie natürlich recht: Pispers hat mir meinen Aussagen nichts zu tun.

              Wie wäre es mit Nuhr?

              (Er war immerhin mit seinem Steinbrück sehr hilfreich für den großen Wahlerfolg 2013)

               

              Wenn Ihnen die Steuern zu hoch sind, sollten Sie aber besser die Steuersenkungspartei FDP wählen!

              • @IL WU:

                Die FDP senkt immer nur die Steuern von Hotelbesitzern, Rechtsanwälten, Abgeordneten, Steuerberatern, internationalen Briefkastenfirmenzentralen und Bierdeckellegern. Ob PARATECKXS da jetzt dazu gehört?

  • Ich war damals sehr darüber schockiert, dass die heutige Kanzlerin in die USA zu G.W. Bush gefahren ist, und gesagt hat, unter einer CDU geführten Regierung hätte sich Deutschland auch am Irakkrieg beteiligt.

    • @Ansgar Reb:

      Wäre ja auch richtig gewesen, dass man Solidarität mit den vom Terror heimgesuchten USA zeigt und sich am Irakkrieg beteiligt.

      • @IL WU:

        Au weia, es ist Ihnen bekannt, dass zu dem Zeitpunkt des Irakkrieges es KEINERLEI Hinweise auf eine Verbindung zum Terror gab, dies also ein reiner und unprovozierter Angriffskrieg (Bush JR brauchte einfach nur einen Krieg um von seiner innenpolitischen Nullnummer abzulenken) war der laut Verfassung Deutschland verboten ist? Sie sind also stolz darauf, dass unsere heutige Kanzlerin das Amt des Kanzlers beschädigt hat mit ihrer Äußerung, dass Sie im Fall dass sie Kanzlerin gewesen wäre, die Verfassung missachtet und uns in einen mit nichts zu begründenden Angriffskrieg reingeworfen hätte?

         

        Einfach unfassbar, was für Leute mittlerweile im TAZ-Forum rumgeistern. Wären Sie nicht viel besser bei BILD.de oder WELT.de aufgehoben?

    • @Ansgar Reb:

      Meinen Sie wirklich, dass Frau M. den Tony Blair in der aktuellen Debatte verteidigen würde? Wahrscheinlich war das auch damals gar nicht so gemeint ...