Kommentar „Marsch der Rückkehr“: Zeitbombe Gazastreifen
Hamas missbraucht skrupellos die Verzweiflung der Palästinenser für ihre Zwecke. Israels Sicherheitsbehörden sind in Panik und reagieren ohne Maß.
Geplant war ein friedlicher Protest, parteiübergreifend und mit humanitären Botschaften, mit der Forderung auf ein Ende der Besatzung, ein Leben in Frieden und Sicherheit. Das ist legitim.
Die Hamas beließ es indes bei dem Appell an die Demonstranten, der Grenze zu Israel fernzubleiben. Es wäre ein Leichtes gewesen, dafür zu sorgen, dass das auch passiert. Stattdessen nahm die islamistische Führung im Gazastreifen die zivilen Opfer in Kauf. Nichts anderes war von der Hamas zu erwarten. Der feige und skrupellose Missbrauch der Palästinenser im Gazastreifen gehört zur ihren Methoden. 16 Tote sind die erschreckende Bilanz vom ersten Tag des auf sechs Wochen angelegten Protestes.
Die israelischen Warnungen waren unmissverständlich. Wer sich der Grenze nähert, riskiert erschossen zu werden. Der Einsatz von hundert Scharfschützen unterstrich diese Botschaft. Auch Israel nimmt zivile Opfer in Kauf, solange sie zur gegnerischen Seite gehören. Die Angst, dass die Menschenmassen die Grenzanlage durchbrechen und Terroristen nach Israel eindringen, führt zu maßloser Gewalt. Auf unbewaffnete Demonstranten zu schießen, ist ein Verbrechen, das untersucht, geklärt und kompensiert werden sollte. Nur ist das Problem damit nicht gelöst.
Hunderte Palästinenser zeigten Bereitschaft zu sterben. Ihr Leben ist für sie nicht länger lebenswert. Ihre Hoffnung auf ein Zusammengehen der Hamas und der Fatah, auf eine Öffnung der Grenze nach Ägypten, auf wirtschaftlichen Aufschwung und Arbeit, ist mit dem Scheitern des innerpalästinensischen Versöhnungsprozesses gestorben. Anstelle eines Wachstums zeichnen sich weitere Kürzungen und noch größere Not ab. Obschon die akute Verzweiflung mit Israel wenig zu tun hat, richtet sich der Zorn der Palästinenser in erster Linie immer wieder gegen die Zionisten, die es sich auf dem Land, von dem einst ihre Familien vertrieben wurden, gemütlich machen, während sie selbst in den Flüchtlingslagern verharren.
Israels Sicherheitskräfte haben gute Gründe für ihre Panik. Der Gazastreifen mit seinen zwei Millionen Menschen, die weder Perspektiven noch Bewegungsfreiheit haben, ist ein fruchtbares Feld für die Salafisten. Gaza ist nicht nur für die beiden palästinensischen Führungsparteien ein Problem, sondern auch für Israel und für Ägypten. Selbst wenn der „Marsch der Rückkehr“ bis zum 15. Mai keine weiteren Opfer fordern sollte, was unwahrscheinlich ist, bleibt der Gazastreifen explosiv.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz