Kommentar Machtkampf in Venezuela: Zeit, sich von Guaidó zu verabschieden
Präsident Maduro gibt nicht so einfach auf. Deshalb will die Opposition eskalieren, um so eine ausländische Intervention zu provozieren.
M ehr als drei Monate nachdem er sich selbst zum Interimspräsidenten Venezuelas ausgerufen hat, sucht Parlamentschef Juan Guaidó erneut den Showdown im Kampf um die Macht. Die ökonomische und soziale Lage in Venezuela hat sich seither, insbesondere durch die verschärften US-Sanktionen, weiter verschlechtert – Guaidós Machtbasis im Land selbst ist jedoch offenbar nicht gewachsen. Auch sein neuester Versuch, das Militär auf seine Seite und die Macht an sich zu ziehen, ist bislang gescheitert.
Rund 50 Länder, darunter leider auch Deutschland, erkennen Guaidó als Interimspräsidenten an – aber es wird immer klarer, wie absurd und falsch das ist. Guaidó beruft sich auf die Verfassung, nach der dem Parlamentspräsidenten im Falle eines Machtvakuums an der Staatsspitze für 30 Tage bis zu Neuwahlen die Regierungsgewalt übertragen wird. Guaidós Selbsternennung ist jetzt fast 100 Tage her, und er hat keine Wahlen ausrufen können, eben weil es nie ein Machtvakuum gab. Auf die Verfassung kann sich Guaidó genauso wenig berufen wie Maduro, der mit der Entmachtung des oppositionell dominierten Parlaments und der monatelangen Verhinderung eines Neuwahlreferendums die selbst gegebenen Spielregeln außer Kraft setzte.
Die EU und jene europäischen Länder, die leichtfertig Guaidó anerkannten, haben sich damit als potenzielle Vermittler selbst aus dem Spiel genommen. Schlimmer noch: Sie stehen jetzt, ob gewollt oder ungewollt, an der Seite einer US-Regierung, die im Zusammenspiel mit rechten bis ultrarechten Regierungen der Region einen Machtwechsel in Venezuela zu erzwingen sucht. Das wiederum erinnert in Lateinamerika an die schier unendliche Reihe US-amerikanischer Interventionen, die Diktatoren nicht stürzten, sondern an die Macht brachten.
Und die Rhetorik insbesondere der USA gegen die Regierung von Nicolás Maduro wird immer schärfer. Maduro sitze schon fast im Flugzeug nach Kuba, der Verteidigungsminister sei kurz vor dem Seitenwechsel, viele Offiziere wollten sich dem Aufstand anschließen – mit Falschmeldungen fast im Minutentakt wurden die letzten Tage von Washington aus begleitet. Aber weder die erhofften Risse in der chavistischen Führung noch die soziale Explosion auf der Straße mochten sich so recht einstellen.
Was bleibt also? Guaidó selbst scheint zu wissen, dass eine ausländische Intervention seine einzige reale Option auf die Macht ist. Was er gerade in Venezuela veranstaltet, sucht die Eskalation, will die gewaltsame Überreaktion der Regierung provozieren, um eine solche Intervention zu rechtfertigen. Das ist vollkommen verantwortungslos. Zeit für die EU, sich von Guaidó zu lösen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation