piwik no script img

Kommentar Krise in VenezuelaNicht einfach den Hahn zudrehen

Jürgen Vogt
Kommentar von Jürgen Vogt

Venezuela wird von einer machtgierigen Clique beherrscht. Um sie zur Vernunft zu bringen, bräuchte es intelligente Sanktionen.

Was würde wohl Simon Bolivar zur Krise in Venezuela sagen? Foto: reuters

V enezuelas regierende Chavisten haben das demokratische System abgeschafft. Vier Jahre nach dessen Tod ist der von Hugo Chávez proklamierte Sozialismus des 21. Jahrhunderts unter seinen NachfolgerInnen zu einem Totalitarismus des 21. Jahrhunderts verkommen.

Man muss nicht mit der rechten Opposition sympathisieren, um zu erkennen, dass unter dem Deckmantel einer verfassunggebenden Versammlung ein willfähriges Einheitsparlament an die oberste Spitze des Staates gesetzt wurde. Zwei Jahre Zeit haben sich die Delegierten für ihre totalitäre Herrschaft genehmigt, Verlängerung nicht ausgeschlossen.

Präsident Nicolás Maduro ist kein Diktator. Maduro ist Teil einer Führungsclique, die sich auf Biegen und Brechen an der Macht halten will und zu deren Gesichtern seit Freitag die ehemalige Außenministerin Delcy Rodríguez als Präsidentin der verfassunggebenden Versammlung gehört. Kaum im Amt, bezeichnete sie die politischen Gegner als „gewalttätige Faschisten“.

Dass ihren markigen Worten Taten folgen, wurde am Samstag mit der Amtsenthebung der unbequemen Generalstaatsanwältin Luisa Ortega deutlich. Zwar stieß die Versammlung weltweit auf Ablehnung, harte Sanktionsmaßnahmen wurden jedoch bisher keine verhängt.

Auch die Mitgliedstaaten der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur, Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay, haben am Samstag mit der „politischen Suspendierung“ Venezuelas einen eher symbolischen Akt vollzogen, mit wenig praktischen Konsequenzen. Die USA, als einer der wichtigsten Abnehmerinnen venezolanischen Öls, verhängten nur gegen Einzelpersonen Sanktionen.

Mächtige Verbündete

Schon lange gleicht die Versorgungslage mit Lebensmitteln und Medikamenten in Venezuela einer humanitären Katastrophe. Venezuelas Landwirtschaft produziert nur 30 Prozent der für den Bedarf der Bevölkerung notwendigen Nahrungsmittel. Ähnlich ist es bei Medikamenten.

Doch statt ausreichend Devisen für die nötigen Lebensmittel- und Medikamentenimporte bereitzustellen, unternimmt die Regierung alles, um ihre Auslandsschulden zu bedienen und nicht als zahlungsunfähig eingestuft zu werden. Es sollte international darüber nachgedacht werden, intelligente Wirtschaftssanktionen zu verhängen, die die Regierung zu einer Änderung ihrer Prioritäten zwingen.

Dass die USA dem südlichen Nachbarn einfach den Hahn zudrehen, wäre wenig hilfreich, ist aber auch nicht zu erwarten. Allerdings nicht aus humanitären, sondern aus geopolitischen Gründen: Mit Russland und China hat Venezuelas Führungsclique zwei mächtige Verbündete. Die sind jedoch mehr an den Öllieferungen, den Tilgungen ihrer Kredite und der zukünftigen Ausbeutung der immensen Lagerstätten von Rohstoffen interessiert sind als an demokratischer Ordnung und einer ausreichenden Versorgung in dem Karibikstaat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Vogt
Korrespondent Südamerika
Kommt aus Karlsruhe. Studierte Politische Wissenschaft in Hamburg und Berlin und arbeitete zwölf Jahre als Redakteur und Geschäftsführer der Lateinamerika Nachrichten in Berlin. Seit 2005 lebt er in Buenos Aires. Er ist Autor des Reisehandbuchs “Argentinien”, 2024, Reise Know-How Verlag.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Wie naiv muss man sein, um in den Kanon des internationalen Mobbings einzustimmen, den jedes Land zum Opfer fällt, in dem nicht automatisch die Fleischtöpfe für die Reichencliquen und ihren als "Demokratie" verkauften mörderischen Neoliberalismus reserviert sind?

     

    Wer systematisch innen- wie außenpolitich in die Ecke getrieben wird, macht irgendwann zwangsläufig den ersten Fehler bzw. begeht eine Reaktion, die von der Meute als Fehler ausgemacht und entsprechend medial vermarktet wird.

     

    Venezuele könnte die mustergültigste Demokratie haben, es würde nichts nützen, solange diese Demokratie nicht im Sinne der neoliberalen westlichen Wertegemeinschaft ausgerichtet wäre.

     

    Die Mietrevolutionäre von OTPOR/CANVAS und andere CIA-finanzierte Strategen sind überall einsatzbereit für Regime Change nach erprobtem Muster und die Medien von öffentlich-rechtlich über FAZ bis taz machen mit wie bestellt.

     

    Wen es dann nach dem Putsch statt der erhofften neoliberalen Regierung nur eine weitere korrupte Clique oder Failed States mit Bürgerkrieg und Massenelend gibt, wird woanders längst wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben, ich tippe mal auf Vietnam…

  • Das Problem der Abhängigkeit von Lebensmittelimporten aus den USA, Brasilien, Europa und Kolumbien ist kein typisches Problem der Regierungen der Chavisten sondern ebenso aller Vorgängerregierungen, in den die heutige Opposition dominierte. Die Lösung wäre die Eigenprodukion von Lebensmitteln und Gebrauchsgütern in Venezuela. Chaves hatte dies erstmals angedacht. Die Umsetzung ist nicht gelungen. Natürlich würden dann die oben genannten keine horrenden Gewinne mehr machen. Venezuela wäre nicht mehr erpressbar. Deshalb wird das auch nicht von den "Freunden" Venezuelas diskutiert.

    • @Henning Lilge:

      Bei der Machtübernahme durch Chavez betrug der Anteil der Lebenmittelimporte 1998 nur 12,2 Prozent der Importe. Heute stellen Importe von Nahrungsmitteln stolze 18,4 Prozent der Gesamtimporte dar (http://www.quetzal-leipzig.de/lateinamerika/venezuela/ein-land-am-boden-venezuelas-krise-im-spiegel-der-agrarreform-19093.html)

      Die Abhängigkeit von Importen hat sich unter den Chavisten massiv verschärft.

       

      Gleichzeitig wurde eine Agrarreform versemmelt. "Mit einem Anteil von lediglich 3,1 Prozent Ackerfläche an der Gesamtfläche und 0,8 Prozent dauerhaft genutzter Ackerfläche gehört Venezuela zu den Schlusslichtern weltweit." (ebd.) Oder wie Gerhard Dilger in der taz schreibt: "Eine Kommandowirtschaft und die ständige rhetorische Polarisierung durch Chávez werden kaum dazu beitragen, die Agrarproduktion in Venezuela dauerhaft zu beflügeln." (http://www.taz.de/!5167006/)

  • "Die sind jedoch mehr an den Öllieferungen {...} interessiert."

     

    Natürlich geht es auch um die imperialistische Konkurrenz, - zwischen den kapitalistischen Weltwirtschaftsmetropolen!

     

    Worin besteht diese machtgierige Clique? In der derzeitigen Staatsführung, oder in der um ihre Pfründe besorgten Bourgeoisie (Kapitalisten)?

     

    Die allgemeine “totalitäre Herrschaft“ der Bourgeoisien und Oligarchien, sie stehen wohl außerhalb der Kritik. Werden sie doch gleichgesetzt mit “Demokratie“ und “Freiheit“. So auch die westlichen Finanz- und Monopolbourgeoisien, wie auch in Deutschland.

     

    Sollten die kapitalistischen Regime “harte Sanktionsmaßnahmen“ verhängen. Die Regime der “Freiheit“ für den Raub von billigen Rohstoffen. Zweifellos werden diese "freiheitlichen" und "menschenrechtlichen" Regime ihre “Sanktionsmaßnahmen“ verhängen, vorausgesetzt es dient ihren geopolitischen, militär-, wirtschafts- und handelspolitischen Interessen in Mittel- und Südamerika.

     

    Wer sollte international über “Sanktionsmaßnahmen“ gegen das derzeitige Regime in Venezuela nachdenken, um ein altes Regime in neuer Verpackung den Weg zu ebnen. Die ökonomischen, militär- und gesellschaftspolitischen Administrationen, der westlichen Wirtschaftsmetropolen, deren [bDA-BDI-]Wirtschafts- und Monopolverbände, sind damit bereits beschäftigt.

     

    Denkende Menschen und insbesondere aber auch Journalisten, sie sollten sich nicht dem vorauseilenden Gehorsam verschreiben. Sie sollten nicht aus verständlicher Sorge, um die Lebenssituation der armen Bevölkerung, die Interessen der wirtschaftspolitischen Administrationen und Kapitalisten, an einen gesellschaftspolitischen Zusammenbruch in Venezuela, analog für ganz Lateinamerika, aus den Augen verlieren.

     

    Verrottete technische Anlagen und Produktionsmittel lassen sich durch gleichberechtigte Wirtschafts- u. Handelsbeziehungen ersetzen. Man sollte aber niemals die national- und sozialstaatliche Gestaltungsmacht und Verfügungsgewalt über Rohstoffe aus der Hand geben.

  • De facto sind die USA die größten Unterstützer des Maduro-Regimes, weil durch die Einnahmen der Ölverkäufe an die USA die dringend benötigten Devisen ins Land kommen. Mit der Zuteilung dieser Devisen an regimefreundliche Personen und Unternehmen konnten diese, auch in den letzten Monaten, so richtig reich werden.

     

    Dazu reicht es völlig aus, wenn man abwartet wie die Inflation die eigene Währung immer mehr entwertet. Noch besser wird es aber, wenn man die Devisen zum offiziellen Kurs kauft und später zum inoffiziellen Kurs wieder verkaufen kann.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Martin74:

      Eres un golpista, viva Pinochet...

      Nostalgie nach dem 11.September 1973?

    • @Martin74:

      Sie verkaufen hier wohl eine gewendete Ideologie aus der KAS des Clubs Deutscher Unternehmer (CDU)?

  • ...Devisen bereiststellen..intelligente Wirtschaftssanktionen...Hahn zudrehen...

    mit Verlaub, wo sind wir denn jetzt? Ärgerlich!