Kommentar IS-Kämpfer vor Kobani: Was ist das Ziel?
Bomben aus der Luft und bald wohl türkische Soldaten auf syrischem Boden. Und dann? Dem Einsatz in Nordsyrien fehlt das politische Konzept.
D as mit dem schnellen, truppenschonenden Krieg aus der Luft, es funktioniert nicht. Im Nahen Osten genauso wenig wie anderswo. Doch die demokratische Öffentlichkeit findet die Idee vom Krieg ohne Bodentruppen (und ohne Friedensarbeit) seit der Invasion in Libyen so verführerisch – sie lässt sie nur ungern fallen.
Genauso wenig will sie sich die Diskussion nehmen lassen, wie sehr das von der Terrormiliz IS betriebene Köpfeabschlagen zum Islam gehöre. Die unselige Geschichte der Guillotine wird dabei ebenso selten erwähnt wie konkrete Machtkonstellationen und Versorgungsfragen vor Ort Berücksichtigung finden. Wie armselig.
Gleichzeitig wird immer wahrscheinlicher, dass die türkische Armee in die autonomen kurdischen Gebiete in Nordsyrien einmarschiert. Damit endet der Friedensprozess zwischen den Kurden und der Türkei. Es liegt nahe, dass die kurdische PKK mit Anschlägen in der Türkei antworten wird. Eine Katastrophe.
Die Alternative dazu wäre die Bewaffnung der kurdischen Kämpfer in Nordsyrien gewesen. Flankiert von massivem Druck auf den zentralen Kriegsverantwortlichen Baschar al-Assad. Doch da die Nato-Verbündeten seine mörderische Politik nie auf die Prioritätenliste gesetzt haben, fehlt ihnen bis heute jedes politisch-militärische Konzept gegen ihn. Und auch die Öffentlichkeit trägt zur grassierenden Ignoranz bei. Warum fragt sie so selten nach dem Naheliegenden? Etwa: Wie wird Baschar al-Assad auf die türkische Invasion reagieren? Oder: Was wurde ihm angeboten, damit er kooperiert?
Trotz heftiger Gegenwehr kurdischer Kämpfer ist die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) am Montagabend in die nordsyrische Grenzstadt Kobane eingedrungen. Die IS-Kämpfer lieferten sich „erstmals“ Straßenkämpfe mit den Kurden im Ostteil der Stadt, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte.
Kurdische Kämpfer und IS-Milizionäre kämpften „in den Straßen, zwischen den Gebäuden“, sagte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman. Laut der Beobachtungsstelle waren IS-Kämpfer bereits in der Nacht zu Montag nach Kobane eingedrungen, doch dort in einen Hinterhalt der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) geraten. 20 Dschihadisten seien getötet worden. (afp)
Assad ist in dem viel diskutierten Kampf gegen IS der Elefant im Raum, über den niemand sprechen mag. Er, der täglich weiter bombardieren lässt, profitiert von der Anarchie, die Millionen von Menschen ins Exil zwingt und Hunderttausende tötet – genauso wie IS.
Bei allem Unwägbaren: Mit Baschar al-Assad an der Spitze der syrischen Diktatur wird kein Friedensprozess beginnen können und IS weiter Zulauf bekommen. Die größte durch Krieg ausgelöste humanitäre Katastrophe des 21. Jahrhunderts an der Grenze zur Türkei zeigt: Es gibt keine Alternative zu einer neu koordinierten internationalen Außenpolitik.
Denn es geht nicht allein um die Frage: Wer opfert Soldaten? Sondern vor allem: Was ist das Ziel des Einsatzes, was das flankierende politische Konzept? Kurzum: Was passiert nach dem Einsatz?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht