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Kommentar Grenzwerte für StickoxidNicht verzagen, Scheuer fragen

Heike Holdinghausen
Kommentar von Heike Holdinghausen

Verkehrsminister Scheuer spricht im Zusammenhang mit den Stickoxid-Grenzwerten von „Willkür“ – und stellt so EU-Politik infrage. Das ist skandalös.

So simpel, wie Andreas Scheuer argumentiert, kann er einfach nicht sein Foto: dpa

M it Wonne bringt Verkehrsminister Andreas Scheuer einen Begriff in die Umweltpolitik ein, der das Zeug hat, sie mit Krawums zu zertrümmern. Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid basierten auf „Willkür“, meint der Minister, sie seien „politisch festgelegt“ – und damit also beliebig. Der Politiker Scheuer entwertet den Begriff des Politischen sowie den Prozess der wissensbasierten Entscheidungsfindung der Politik. Das ist skandalös.

Scheuer stellt die gesamte Politik in Frage, mit der die Europäische Union – deren einflussreiches Mitglied die Bundesrepublik ist – Luft, Wasser, Böden und Produkte sauberer machen will. In dem Prozess, in dem etwa festgelegt wird, welche Chemikalien in welchen Anwendungen benutzt werden dürfen, entscheiden nicht alleine Chemiker und Biologen nach wissenschaftlichen Kriterien. Zum Glück für die Industrie!

Die Wissenschaftler würden mit vielen Substanzen nämlich kurzen Prozess machen und sie verbieten. Es gibt aber, häufig zum Ärger von Umwelt- oder Ärzteverbänden, in dem Prozess noch die „sozio-ökonomischen“ Kriterien. Wie viele Arbeitsplätze würde das Verbot einer Chemikalie kosten? Wie teuer wäre es für Unternehmen, es zu ersetzen?

Solche Fragen berücksichtigt das Parlament, wenn es über Chemikalien oder Schadstoffgrenzwerte urteilt. Merkwürdig, dass Minister Scheuer nicht schon im vergangenen Sommer aufheulte, weil die EU Hormonschadstoffe nur in einem wachsweichen Gesetz regelte. Da hatten sich Ärzte beschwert, weil medizinische Erkenntnisse über die schädliche Wirkung der Substanzen gegenüber ökonomischen zurückgestanden hatten.

Politisch, das bedeutet eben nicht willkürlich, sondern verschiedene Interessen abwägend, in Einklang bringend. Natürlich weiß das Andreas Scheuer, denn so simpel, wie er derzeit argumentiert, kann er einfach nicht sein. Das heißt, er entwertet sein eigenes Tun – die Politik – für einen kurzen Applaus bei den Gelbwesten-Symphatisanten. Wer lernen will, wie man das demokratische System untergräbt, der soll Scheuer fragen.

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Heike Holdinghausen
Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
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17 Kommentare

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  • Scheuer klingt nach ATA, welches ein grobes Scheuermittel ist.



    Ich denke, sein Wunschtraum ist es, Ludwig zu heißen, und zwar ohne Nachnamen, vielleicht nur mit einer Zahl dahinter: Ludwig II oder so, das klingt auch viel bayrischer. Außerdem wäre er dann befreit von dem Druck, Argumente auf Grundlagen zu stellen, wissenschaftliche, gesetzliche oder einfach auch nur realistische Erkenntnisse.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Herr Scheuer ist eine 'wunderbare' Projektionsfläche, auf dessen 'Leinwand' sich vieles abbilden lässt. Im Glücksfall sogar ein Ausschnitt der REALITÄT.

    Auch der Kommentar von Frau Holdinghausen ist nicht frei von diesem Dilemma. Ihre Aussagen sind im Kern richtig. (An den Spekulationen darüber, was Herr Scheuer 'wirklich' meint, kann und will, mag ich mich nicht beteiligen.)

    Der Mangel des Textes liegt in der Kürze - und damit: seiner Ver-Kürzung des Themas. Das Problem der GroKo ist nicht die Person Scheuer. Auf seine Eitelkeit lässt sich prächtig verbal einschlagen. Seine Installierung als Verkehrminister hat jedoch eine andere Quelle: sie ist Teil eines unsäglichen Proporzes innerhalb der GroKo-Parteien, sich selbst zu kontrollieren und zu lähmen.

    Als junger und mittelalter Mensch bin ich stets davon ausgegangen, es gäbe so etwas wie einen SYNERGIEeffekt. Verkürzt dargestellt: das Wissen und Handeln der Vielen sei von höherer Qualitätät als das der Wenigen.

    Jeder Blick auf das Weltgeschehen überzeugt mich jedoch Tag für Tag vom Gegenteil. Es gibt sehr kluge Einzelwesen. Doch das Handeln der selbst ernannten politisch-wirtschaftlichen Eliten zeugt von Destruktivität, fehlendem Weitblick und grenzenloser Dummheit.

    Für mich ein umgekehrter Synergieeffekt.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Das Problem, um das Sie sich schlängeln, ohne es zu nennen, ist der Pluralismus.

      In dem ist es durchaus NICHT angelegt, dass sich die unterschiedlichen Sichtweisen zwangsläufig gegenseitig befruchten und aus ihren unterscheidlichen Perspektiven den bestmöglichen Weg heraussynthetisieren. Das KANN passieren, viel häufiger aber agieren die unterscheidlichen Sichtweisen als Bremsen für die eine klare Sicht, wie es einzig richtig sein sollte, weil die eben andere Leute auch haben, aber mit völlig anderem Inhalt. Und da wir keinen allwissenden UND öffentlich wahrnehmbar präsenten Gott haben, der uns auf Zuruf sagen kann, welche der divergierenden Ansichten denn nun wirklich DIE richtige ist, haben wir uns für das Problemn irdische udn mithin per se fehlbare Wege ausgedacht, um überhaupt irgendwelche Entscheidungen fällen zu können. Aus humanistischer Sicht, die dem Individuum die Einzigartigkeit UND die Verantwortungsfähigkeit zuschreibt, sein Glück selbst zu formulieren, ist die pluralistische Herrschaftsform der Demokratie unter den vorhandenen die am wenigsten fehlerhafte. Und Leute wie Scheuer sind tatsächlich veritable Vertreter einer der vielen Sichtweisen, die die richtige sein KÖNNTEN - so unvorstellbar dsas auch den Vertretern anderer potenziell einzig richtiger Sichtweisen auch erscheinen mag.

      Der Schlüssel dürfte darin liegen, die gleichberechtigung verschiedner Sichtweisen anzuerkennen und nicht für die eigene Vorrechte wegen offensichtlicher überlegener Richtigkeit zu beanspruchen ("Aristokratie der Besserwissenden" - so da haben Sie's wieder). Dann klappt's auch mit dem Scheuer...

      • @Normalo:

        Dafür, was „die richtige“ Sichtweise ist, ist der jeweils aktuelle Stand der Wissenschaft zur Kenntnis zu nehmen, gerade weil er sich, im Gegensatz zu anderen Interessen (und so er nicht über Drittmittel oder sonstige Zuwendungen gekauft wurde) ständig selbst infrage stellt und ggf. korrigiert. Das ist immer noch näher am Ziel einer „klaren Sicht“, als der sogeannte „gesunde“ Menschenverstand, der oft nicht mehr ist als ein Synonym für das Verweigern der Aufnahme von Kenntnissen, die nach dem Ende der eigenen Schullaufbahn zutage gefördert wurden. Dann kann man Maßnahmen treffen und sie gegen andere Faktoren aufwiegen. Sie von vornherein à la CxU als irrelevante „Meinungen“ zu ignorieren, führt sicher nicht zu ausgewogenen Lösungen.

        • @Volker Maerz:

          Da haben Sie Herrn Leiberg und mich ein ganzes Stück weiter auf der Metaebene erwischt, also danke für die Rückholung.

          Meines Wissens geht es bei dem Kommentar über Herrn Scheuer genau um die Frage, wo wissenschaftlich die Wahrheit zu finden ist:

          Die aktuelle Rechtslage basiert auf einer wissenschaftlichen Einschätzung, und die wurde von den pneumologischen Briefschreibern mit wissenschaftlichen Argumenten hinterfragt (epidemologische vs. toxikologische Argumentation). Und Scheuer findet es - sicher auch interessengeleitet - eine gute Idee, diesem Hinterfragen nachzugehen und die Validität der bisher als richtig akzeptierten Erkenntnisse zu überprüfen. Seine politischen Gegner halten das - sicher auch nicht ganz ohne dabei politische und nicht wissenschaftliche Ziele zu verfolgen - für eine Nebelkerze und lehnen es ab bzw. finden Scheurers Vorgehen "skandalös".

          Ist eine der beiden Seiten neutral? Klares Nein. Hat eine von beiden die unumstößliche wissenschaftliche Wahrheit auf ihrer Seite - kann man nach Ihrer eigenen Argumentation wohl nicht behaupten, denn als unumstößlich sollten wissenschaftliche Erkenntnisse nunmal gerade nicht betrachtet werden. Was also tun?

          Ergebnisoffen Weiterforschen, wäre die konsequente Antwort. Inwiefern muss man sich dafür an Herrn



          Scheurer reiben?

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Doch doch - der Scheuer ist so simpel. Na klar. Immer die „Mitte“ der WählerInnen im Auge, die Bild im Rücken und und dem Populismus zugewandt. Jede ernsthafte Diskussion verbietet sich, weil sie die Ernsthaftigkeit in Frage stellt. So wie bei Seehofi auch. Offenbar verdienen wir so ein Leistungsgespann in der Regierung.

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Eine gute Ansicht von Frau Holdinghausen.



    Aber es sieht eher so aus, als ob Scheuer von der CSU als Saboteur der CDU eingesetzt worden ist, vielleicht als Rache für das sanfte Ausbooten des großen Seehofer.



    Gründe: Scheuer sagt, daß die gesamte CDU/CSU-Verkehrspolitik der letzten 13 Jahre Mist war. Er will nichts mit EU-Grenzwerten zu tun haben. Er sei Europäer nach britischem Muster, also was Deutschland nicht mag, soll weg. Und - raffiniert - er sagt, daß seine Kollegen Ramsauer und Dobrindt absolute Totalversager waren.



    Seine Methode: Er gibt sich als typischer Kläfferhund, laut und populistisch, als Lobbyist und als Vertretertyp, immer in der Hoffnung, daß die Leute (und die CDU) nicht merken, was er für einen blödsinnigen Stuss erzählt.



    Er ist ein Hund, der wegen jeder Gartenschnecke bellt und nicht merkt, daß er selbst und seine Auftraggeber die Schnecken sind.

  • mit seinen Äußerungen macht Hr. Scheuer wiedermal



    deutlich, wie im besondern die CSU und CDU aber auch viele andere Politiker anderer Parteien Ihren demokratisch von Wählern legitimierten Auftrag verstehen - selbstherrlich, autokratisch, letztlich willkürlich.

    Warum Politiker solcher Art nicht angeklagt werden können ist mir ein Rätsel. Schließlich versuchen diese alles Erdenkliche, um dem "Volke" Schaden zu zuführen, um ihren eigenen Posten zu sichern. Entgegen Ihrem Eidesspruch Schaden vom Volke abzuwenden.

    Aber Besseres ist aus der CSU wohl nicht zu erwarten.



    Wer seine (zukünftigen) Einkünfte auf Kosten der Gesundheit der Bürger macht, hat sein Amt als Repräsentant der Bürger verwirkt.

    Hier hilft einfach nur abwählen!

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...Scheuer vergisst dabei ganz und gar unsere gemeinsamen Vorfahren, die Nazis. Sie lebten von 1933 bis 1945 in Deutschland und beschäftigten sich ausführlich mit den Auswirkungen von Stickoxiden auf den menschlichen Organismus.



    Ergebnis?



    Die Menschen starben.

  • VOR der gemeinsamen Erklärung der 100 Mediziner wurden die Grenzwerte immer als rational-wissenschaftlich ermittelt dargestellt: Ein Gramm/m3 mehr und die Leute fallen vom Stängel.



    Jetzt das Rückzugsgefecht: "Natürlich" seien das politisch ermittelte Werte, und das sei auch "gut so". Aber warum sollte man nicht jetzt, wo doch eine eindeutige „sozio-ökonomische“ Unwucht erkennbar wird, die Grenzwerte noch einmal einer (politischen) Prüfung unterziehen?

    • @weaver:

      Ich stimme Ihnen zu.

      Im Übrigen untergräbt es nicht das demokratische System, wenn Politiker politische Entscheidungen, die in der Vergangenheit getroffen wurden, kritisieren und auf ihre Änderung hinarbeiten. Derartiges Handeln ist vielmehr elementarer Bestandteil eines demokratischen Systems. Wenn nämlich alle einmal getroffenen Regelungen unveränderbar wären, wären Wahlen weitgehend überflüssig, weil es für die Gewählten nichts mehr zu entscheiden gäbe.

  • Herr Scheuer ist einfach nur hoffnungslos. Leider wie alle bayerischen CSU Politiker ein Totalausfall und Interessensvertreter der Industrie. Die CSU züchtet solche Gestalten in Serie, hauptsache er ist derb und reissts Maul weit auf.



    Ich komm selber aus Bayern und hoffe seit meiner Jugend vergeblich auf einen Politikwandel.....

    • @Opossum:

      Wie kommen Sie auf das schmale Brett, dass es die Industrie ist, die am meisten Angst vor Fahrverboten in den Städten hat? Die baut längst Diesel, die von denen nicht betroffen wären.

      Das Problem sind die Wähler, die ältere Diesel fahren.

      • @Normalo:

        Ja, die Industrie freut sich doch über Fahrverbote für 4-5 Jahre alte Autos. Abwrackprämie light. Dumm nur, dass diesmal nicht der Staat sondern die kleinen Dieselfahrer die Zeche zahlen ...

  • "Das ist skandalös."

    Nee, is klar. Letzte Woche verteilte er angeblich Denkverbote, jetzt verstößt er offenbar gegen eines.

    Seid doch ehrlich: NATÜRLICH sind diese Werte willkürlich festgelegt. Es gibt überhaupt keine Methoden, um die "richtige" Schadstoffkonzentration - dann noch aufgeteilt nach Art und Quelle - mit der Präzision bestimmen, mit der die Politik Grenzwerte festlegt.

     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

    • @Normalo:

      Selbst die Euro 6 Diesel würden von Fahrverboten betroffen sein. Das sind Autos ab Baujahr 2014, also nicht wirklich alt. Das die Autoindustrie "längst" Diesel baut die von Fahrverboten nicht betroffen wären ist wohl doch ein Euphemismus.

      Und natürlich sind die Grenzwerte NICHT willkürlich festgelegt worden.

  • Bitte keine Verunglimpfung von Gelbwesten-Sympathisantinnen durch Assoziierung mit Herrn beScheuert. Dieser Herr sucht seinen Applaus sowieso vor allem bei Autoindustrie und Autojunkies.



    Auch einige Ärzte haben sich offensichtlich vor den Karren spannen lassen. Heute in der Süddeutschen:



    Das Forum der Internationalen Lungengesellschaften (FIRS) hält die deutschen



    Grenzwerte für Schadstoffe in der Luft für sinnvoll. Damit widersprechen sie



    einer Gruppe deutscher Lungenfachärzte.

    www.sueddeutsche.d...enaerzte-1.4305946

    Solange wir in der EU sind, sind wir diesen korrupten Heinis zum Glück nicht vollends ausgeliefert.