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Kommentar Gewalt gegen FrauenWegsehen und Verharmlosen

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Es fehlt nicht an den Gesetzen, um körperliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen zu stoppen. Doch mangelt es an einer konsequenten Anwendung.

Über 350 Frauenhäuser gibt es in Deutschland. Das Problem liegt woanders Foto: dpa

J ede vierte Frau in Deutschland hat mindestens einmal in ihrem Leben körperliche, sexuelle oder seelische Gewalt erfahren, am häufigsten von ihrem Partner oder Ex-Partner. Bei nahezu der Hälfte aller Morde an Frauen sind die Täter Männer, mit denen die Frauen unter einem Dach lebten.

Kann man dagegen nichts tun?

Kann man. In Deutschland gibt es vergleichsweise gute Gesetze, die Frauen – und Männer – vor Übergriffen jeglicher Art schützen sollen. Seit 2002 gilt das Gewaltschutzgesetz, das prügelnde Täter und Täterinnen aus der Wohnung weist. Seit diesem Sommer wird Stalking schärfer bestraft. Im Sexualstrafrecht heißt es jetzt „Nein heißt Nein“: Wer jemanden gegen den erkennbaren Willen zum Sex zwingt, wird bestraft.

Es gibt bundesweit über 350 Frauenhäuser und rund 40 Zufluchtswohnungen mit insgesamt 6.000 Plätzen. In Präventions- und therapeutischen Projekten sollen Täter lernen, mit ihrer Aggression umzugehen statt zuzuschlagen. Jugendämter, Familiengerichte, Mediatoren sollen Kinder in gewalttätigen Familien schützen. Fragt man Menschen auf der Straße, sagen die meisten: Gewalt ist ein Tabu.

Trotzdem werden jeden Tag Frauen verprügelt, gewürgt, verfolgt, vergewaltigt. Das Problem sind aber nicht fehlende oder unzureichende Gesetze. Vielmehr mangelt es häufig an deren konsequenter Anwendung: Wenn der prügelnde Mann wieder nach Hause geschickt wird – ohne Auflagen. Wenn das Gericht dem Vergewaltigungsopfer nicht glaubt. Wenn dem getrennten Prügler der Umgang mit seiner Tochter erlaubt wird – obwohl die Behörden wissen, dass er bei der „Kinderübergabe“ zuhauen wird. Wenn Frauenhäuser und Täterprogramme nicht ausreichend finanziert werden. Wenn Nachbarn die Schreie der Frau nebenan egal sind.

Es ist eine Mischung aus Ignoranz, Wegsehen und Verharmlosen, die Gewalt gegen Frauen nach wie vor legitimiert.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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6 Kommentare

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  • Wir steuern in eine Sackgasse, die nur ein Ziel zu haben scheint, die Geldtöpfe auf ewig zu erhalten. Die UN fordert die Abschaffung jeglicher Gewalt gegen Frauen. Das hört sich gut an, ist aber genauso wie jemand die Abschaffung von jeglichem Mord, jeder Schlägerei etc. fordert. Das Ziel ist nicht erreichbar. Daneben müssen wir sehen, dass es die niedrigsten Gewaltzahlen in totalitären Systemen gibt. Freiheit hat also auch gewisse negative Nebenwirkungen.

    Dies bedeutet nicht, dass der Kampf gegen Gewalt verkehrt wäre. Realistische Ziele wären jedoch wichtig. Wir wäre es z.B. mit dem Ziel der Halbierung?

    Daneben sollten wir den Tunnelblick beim Thema Gewalt ablegen. Männer sind deutlich häufiger Gewaltopfer als Frauen. In der öffentlichen Darstellung sieht es aber ganz anders aus. Das ist wie beim Tierschutz, da machen sich Robbenbabys einfach viel besser als der Schutz von Haien. Wer einen Hund schlachtet, gilt als grausam aber das Schlachten von Schweinen erscheint ok. Das Thema ist aber zu ernst, um hier so oberflächlich und sexistisch vorzugehen:

    Es gibt Bereiche, in denen Gewalt noch mehr oder weniger "akzeptiert" wird. Da ist sicher Partnerschaftsgewalt ein wichtiges Thema. Dabei sollten wir aber nicht unsere Geschichte ignorieren. Wir feiern gerade erst den 20. Geburtstag, dass Vergewaltigung in der Ehe (als Vergewaltigung) strafbar ist. Die Leute, die heute über 40 Jahre als sind, sind also in einer Gesellschaft gross geworden, in der es Staatsräson war, von offizieller Seite bei dieser Art von Gewalt wegzusehen.

    Gewalt bekämpfen muss ganzheitlich und unideologisch schon von klein auf beginnen. Wenn wir zwischen "schlechter", "guter" oder auch nur "hinzunehmender" Gewalt unterscheiden, werden wir das Ziel nicht erreichen.

  • Äh - können wir bei diesem Thema mal bitte nicht nur das Thema Frauen anschauen, sondern auch körperliche und sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen und auch gegenüber Männern beleuchten? Das ist nämlich alles schlimm und es wäre schön, wenn man da gemeinsam aktiv werden kann und es nicht zu einer exklusiven Frauensache wird.

     

    Die Hauptprobleme sind doch nach wie vor, dass diese Gewalt in einem gewissen Rahmen immer noch als normaler Ablauf angesehen wird und dass noch immer Opfer gesellschaftlich eine Mitschuld erhalten ("haben irgendwie provoziert" bis "eigentlich wollte sie/er es doch").

    Und da hilft nur Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung, das Thema nie verschwinden lassen, Kindern von Kleinauf energisch körperliche Selbstbestimmung vermitteln. Das fängt schon damit an, dass man endlich aufhört, kleine Kinder zu Umarmungen und Küsschen zu zwingen, obwohl sie Tante oder Onkel oder Nachbarn nicht mögen. Es geht weiter mit den Bildern, die über Medien vermittelt werden, und natürlich auch um die Vorbilder im realen Leben.

     

    Solange die öffentliche Reaktion beim Missbrauch eines Mannes "hihi, der ist bestimmt eigentlich schwul" oder "was für ein Waschlappen, konnte sich nicht wehren" ist, solange es bei Frauen "was zieht die sich auch so an", "warum war die zu der Uhrzeit dort auch alleine unterwegs" oder "sie kannte den Täter doch, will dem bestimmt nur eins reinwürgen" lautet, solange haben wir ein Problem.

    Dagegen kommen wir aber nicht durch Täterbestrafung alleine an. Opferstärkung und Prävention sind genauso wichtig.

  • Es ist doch echt zum Heulen: Ob in Kabul, Köln oder der privaten Küche – nirgendwo auf dieser Welt wird Gewalt gegen Frauen anders bekämpft als... – nun, womit? Genau: Mit Gewalt gegen Männer. Protektionismus statt Selbstbehauptung, Staatsmacht gegen Selbstermächtigung.

     

    Schon klar, wenn Leben in Gefahr sind, kann man nicht lange diskutieren. Dann hilft nur Flucht. Frauenhäuser müssen also sein. Sie müssen genau so finanziert werden, wie die Polizisten, die Männer notfalls daran hindern können, gewaltsam einzudringen in die Frauenhäuser. Aber genug ist das bei weitem nicht.

     

    Wenn die erste Gefahr vorbei ist für die Frauen, müssen Alternativen her. Und zwar für die Frauen UND für die Männer. An diesen Alternativen hapert es derzeit erheblich. Die angeblich modernen Gesellschaften der Gegenwart basieren auf den selben archaischen Regeln, auf denen schon das römische Reich gegründet war. Die Macht des Starken ist noch immer legitim. Nicht weil sie vernünftig ist, sondern weil nichts dagegen getan werden kann. Das muss sich dringend ändern.

     

    Männer wachsen auch heute noch auf in der Überzeugung, ein Mann ohne Macht sei eigentlich kein Mann. Der Stärkere, lernen sie, muss seine Stärke jederzeit beweisen können, vor allem aber im Konfliktfall. Auch Frauen werden geprägt in dieser Männerwelt. Sie werden von Männern aber auch von anderen Frauen nur dann wirklich respektiert, wenn sie entweder selbst Macht haben, oder einen Mann an ihrer Seite, der größer ist und stärker als sie selbst. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig und dem Status nach.

     

    Das fängt schon in der Kita, wo Kinder mit dem großen Bruder und Eltern mit dem Anwalt drohen, und es hört da, wo deutsche Politiker eine "Führungsmacht" preisen, noch längst nicht auf. Unsere weitgehend unhinterfragten Regeln des Zusammenlebens sind immer wieder Basis der Gewalt, auch und gerade gegen Frauen, Kinder und Zugewanderte. Sie werden als die ohnmächtigsten Gemeinschaftsmitglieder betrachtet.

    • @mowgli:

      Nach Teil 1 des Kommentars (Problem) nun Teil 2 (Lösungsansatz):

       

      Wenn überhaupt wer einen guten Grund hat, gegen Gewalt anzugehen, sind es die Frauen, die Gewalt erfahren haben. Hier müsste die taz ansetzen, wenn sie sich selbst ernst nehmen wollte. Sie müsste diesen Frauen zeigen, dass es eben nicht normal ist, Besitzansprüche anzumelden. Nicht in der Partnerschaft und auch sonst nirgends. Es darf auch nicht normal im Sinne von normsetzend sein, wenn Stärke Macht bedeutet. Sollten Menschen also – wo auch immer – Besitzansprüche nicht nur anmelden, sondern auch mit Macht legitimieren wollen, muss eine rote Lampe angehen. Bei allen, nicht nur bei den Frauen.

       

      Auch die taz muss sich bewusst machen, dass Machtmissbrauch kein "Ausrutscher" ist, sondern ein Ausdruck falscher (Denk-)Strukturen, der sofortiges und solidarisches Handeln erfordert. Sie muss klar machen, dass Machos (nur) dann eine Chance auf Gemeinschaft haben, wenn sie sich an die Regeln halten. Und zwar nicht an die selbst aufstellten, sondern an die, die besagen, dass Kraft kein Argument ist. Niemals und nirgends. Wer diese Regel nicht beachtet, wird sein "Eigentum" verlieren. Früher oder später. Auf die eine oder andere Art.

       

      Das glaubhaft zu vermitteln, wird schwer werden. Im konkreten Konfliktfall neigen wir alle zu falschen Entscheidungen. Uns allen mangelt es deswegen an Glaubwürdigkeit. Wir bieten Frauen mit Gewalterfahrung keine echten Alternativen an. Wir erlauben ihnen lediglich, sich eine neue Schutzmacht auszusuchen. Im Zweifel aber unterwerfen wir uns doch lieber der Macht, die wir schon kennen oder doch zu kennen meinen - die Frauen, die taz und selbst Obama.

       

      Es bleibt also noch viel zu tun. Viel Arbeit bei relativ viel Risiko. Lohnen würde es sich aber. Wenn die Gewalt gegen Frauen und Kinder in unserem ganz privaten Umfeld erst mal kein Thema mehr sein wird, ist vermutlich auch der Weltfrieden gesichert – und das Klima gerettet.

      • 3G
        35730 (Profil gelöscht)
        @mowgli:

        Da wirft sich die emanzipierte Machofrau wieder in die undefinierte Feindesmasse "Mann", obwohl der in ihren Kreisen längst zum wehrlosen Schürzenträger getreten wurde.

         

        Solange häusliche Gewalt mit Gewalt gegen Frauen gleichgesetzt wird, bleibt das Frauenressort eine Zelle der Verantwortungslosigkeit. Viele Mütter werden zwar Opfer von Gewalt, aber mindestens ebenso viele gehen in den Selbstbedienungsladen Jugendamt und greifen dort maximale Unterstützung ab, obwohl sie selbst Gewalt gegen Väter und Kinder ausüben oder/und ihnen keine Gewalt angetan wurde. Geprüft wird das von den Reptilien dort nicht.

         

        Die größten Kämpferinnen gegen Gewalt sind oft selbst kinderlos und rechtfertigen ihre Selbstgefälligkeit nur mit dem Frausein. Es ist eine Aufwertung, so wie für viele das Muttersein eine Aufwertung und Einladung zum Netzwerken ist - irgendwann fliegt die Lügengesellschaft auf, dann fliegen die Fetzen. Ach ja, und die Frauen haben dann das Exklusivrecht, geschlagen zu werden.

         

        Bildung ist nicht der Schlüssel, denn auch Mißbrauch geht durch alle Schichten und Geschlechter. Das hundertjährige Konzept der Frauenbewegung muß endlich auf den heutigen Stand gebracht werden, Familie und Frauen in der Hand einer Frau, da fängt das Übel an. Dann sollten wir uns gesamtgesellschaftlich fragen, warum wir uns eigentlich aufwerten müssen.

  • Wenn Frau Schmollack der Ansicht ist, unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung würde den Frauen nicht genügend Schutz bieten, dann empfehle ich, das alte Schutzhaftgesetz ("Verordnung zum Schutz von Volk und Staat", § 2) wieder einzuführen. Damals haben die Behörden auch genau gewusst, wer später einmal wieder "zuhauen" bzw. straffällig werden würde.