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Kommentar Freilassung von MollathEin politisches Urteil

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Entscheidung, den Fall Gustl Mollath neu aufzurollen, ist für Bayerns Regierung praktisch. Das Thema wird so aus dem Wahlkampf gehalten.

Moralischer Sieger: Gustl Mollath. Bild: dpa

S o schnell kann die bayerische Justiz arbeiten – und dabei alle Beteiligten glücklich machen. Das Oberlandesgericht Nürnberg hat jetzt die Wiederaufnahme im Fall Gustl Mollath und seine sofortige Freilassung aus der Psychiatrie angeordnet, nur zwei Wochen nachdem das Landgericht Regensburg die Wiederaufnahme abgelehnt hatte.

Für die bayerische Landesregierung ist der Beschluss äußerst praktisch, weil damit der mutmaßliche Justizirrtum weitgehend aus dem Landtagswahlkampf herausgehalten wird. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) muss sich nun nicht mehr ständig für die vermeintlichen Fehler ihrer Justiz rechtfertigen.

Auch die bayerische Justiz kann zufrieden sein. Die Wiederaufnahme wurde mit einem Nebenaspekt begründet: einem Attest, das vom falschen Arzt stammte. Die Rechtsbeugungsvorwürfe gegen das Landgericht Nürnberg bleiben damit offen und ungeklärt.

Stattdessen sieht es nun so aus, als habe die bayerische Justiz doch noch ihre bisherigen Fehler selbst korrigiert. Dabei kam man aber nur einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zuvor, das vermutlich in wenigen Wochen die Fortdauer der Psychiatrie-Unterbringung von Mollath als schlecht begründet und unverhältnismäßig beanstandet hätte.

Auch Gustl Mollath selbst dürfte zufrieden sein. Immerhin kann er nach langen sieben Jahren endlich die Psychiatrie verlassen. Auch wenn das Oberlandesgericht in Nürnberg seinen Vorwürfen nur in einem Randaspekt stattgegeben hat, ist er doch der moralische Sieger des Tages.

Lehren aus dem Fall Mollath

Der ursprüngliche Vorwurf, hier werde ein Kritiker von Schwarzgeldgeschäften gezielt psychiatrisiert, hat sich bisher allerdings noch nicht bestätigt. Mollath ist nicht „der Mann, der zu viel wusste“, wie nun ein Buchtitel nahelegt. Vielmehr ist es wohl eher umgekehrt. Weil Mollath so schnell für irre erklärt wurde, hat die bayerische Justiz seine Schwarzgeldvorwürfe von vornherein nicht ernst genommen und als Phantastereien abgetan.

Als Lehre aus dem Fall Mollath muss daher vor allem über einen besseren Schutz gegen vorschnelle Psychiatrisierung und übertriebene Gefahrenprognosen diskutiert werden.

Denn mit großer Wahrscheinlichkeit ist der freigelassene Franke nämlich kein Einzelfall.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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17 Kommentare

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  • Mollath ist endlich frei. Eine juristische Selbstverständlichkeit wurde zum Hype.

     

    Die Rechtsbeuger sind noch in Amt und Würden. Auch eine juristische Selbstverständlichkeit?

  • AU
    Andreas Urstadt

    Es ist bekannt, dass die Justiz luegt, die luegen wie gedruckt. Die erbaermlichen Argumente des Richters, Schreibmaschine sei kaputt, man habe keine Kraft, den Bericht zu tippen (vielleicht gibts fuer die Leute Muellkippen bzw Entsorgungsparks).

     

     

     

    Dass Beamte so ernaermlich logen, wusste Mollath. Wie muss der sich vorgekommen sein. Dazu seine luegende Ex und die Mobbingdrohungen, angesagt war fiesester Psychoterror. Wer von sowas keine Ahnung hat schreibt ggf bloede Briefe in alle moeglichen Richtungen wie Mollath.

     

     

     

    Haette er Psychologie etc studiert, selbst Polizist haette er sein koennen, waere die Adressauswahl besser gewesen, geholfen haette es ihm ggf aber auch nichts.

     

     

     

    Beamte, die sich wie beschrieben verhalten, gehoeren sofort gefeuert. Merk hat das Wort Empathie immer noch nicht begriffen.

  • GS
    günter scholmanns

    Der leitende Klinikarzt hat 7 Jahre lang, mit Mollath Tag um Tag verbracht.Ist somit nicht eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung fällig?

  • AU
    Andreas Urstadt

    Zufaellig auch noch durch s Fernsehen erfahren. Ein Verbrechensopfer, das vor den Gerichtsverhandlungen eine Opfertherapie antritt, ist bereits bei Gericht nicht mehr glaubwuerdig. Der Weisse Ring raet dringend davon ab (durch den Hinweis kann man sich gleich sehr viel mehr schlauer machen und sich entsprechende Gesetze ansehen - auch wer hier ganz schnell unten durch ist - gestern zufaellig gesehen, was man ja nicht weiss: reihenweise werden verurteilte Moerder nach 7/8 Jahren entlassen, die Urteile sind gar nicht hoeher).

     

     

     

    Was Mollath s Ex ihm androhte nennt man Mobbing. Was die Richter machten mit Begruendungen wie Schreibmaschine kaputt oder keine Lust einen Bericht zu schreiben, nennt man Bossing und ist in der Konstellation strafbar.

     

     

     

    Waere Mobbing unter StGB und endlich Gesetz, muesste der Staat Milliarden an Opferentschaedigung zahlen, was er ohne Gesetz nicht tun muss. Das sind hier griechische Verhaeltnisse, es merkt nur keiner. Man nimmt pro Jahr ueber 5000 Suizide wg Mobbing hin, das ist barbarisch. Mit Gesetz haette den Drohungen von Mollath s Ex nachgegangen werden muessen. Stattdessen lief die Sache voellig grotesk.

     

     

     

    Ich halte meine Kommentare by the way besser als die taz.

     

     

     

    ...

    • @Andreas Urstadt:

      Häh? Wer wegen Mord einwandert, bekommt "lebenslang" und das heißt mindestens 15 Jahre, im Schnitt knapp 19 Jahre bis zur Entlassung auf Bewährung.

       

      Wieso soll ein Opfer nicht mehr glaubwürdig sein, wenn es eine Therapie macht? Gib doch mal einen Link zu dieser diffusen Behauptung, die angeblich auch der Weiße Ring aufstellt.

  • G
    gerechter

    Uhh hoffentlich bekommt die ex Frau jetzt 10 jahre wegen der hilfe mit dem schwarzgeld...

     

    erst wollte er sie schützen jetzt muss er sie in den knast bringen

     

    dann glaube ich wieder an gerechtigkeit

  • Y
    yssup

    Lieber Herr Dr. jur. Rath,

     

    nur zwei Punkte:

     

    1. Ohne den Nachweis, dass das ärztliche Attest ein unechte Urkunde ist, wäre eine Wiederaufnahme de facto un möglich gewesen. Also alles andere als ein Nebenaspekt!

     

    2. Noch wichtiger als die "Wegsperr-Problematik" ist eine vordringliche Neuregelung des Wiederaufnahmeverfahrens. Bisher ist bei bestätigtem (!) Urteil eine Wiederaufnahme in aller Regel von vorneherein ausgeschlossen! Damit bleiben die wichtigsten Grundprinzipien unseres Rechtsstaats unerfüllt: " Errare humanum est" und " in dubio pro reo". Stattdessen werden Macht- und Rechtsvollzugsvorstellungen des 19.Jhd. perpetuiert.

     

    Sind das nicht die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Fall Mollath? Nur eine brillante Idee des OLG Nürnberg(Datierung des Attests auf den 3.6.2002 und damit generelle Unzulässigkeit der Unterschrift von Dr. Markus Reichel!) haben uns alle vor einem kafkaeskem Dauer-Alptraum bewahrt.

    • @yssup:

      "In dubio pro reo", ja, aber nach ein oder zwei Tatsacheninstanzen und einer weiteren Rechtsinstanz (konkret: Verurteilung durch Amtsgericht, Bestätigung durch Landgericht und weitere Bestätigung durch Revisionsgericht) ist dann irgendwann der Punkt, wo der Angeklagte zum (nachgeprüft) Verurteilten geworden ist.

       

      Leider lassen sich Fehlurteile nicht ausschließen, und das ist sehr, sehr misslich. Aber mit der vermeintlichen Nichterfüllung des Zweifelsgrundsatzes (in dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten) hat das nichts mehr zu tun.

    • @yssup:

      bleibt nur unverstaendlich, dass das LG regensburg mehrere monate gebraucht hat, um den antrag abzulehnen, der dann vom OLG revidiert wurde eben wegen dieses sachverhalts der falschen urkunde, was gar keine abwaegungssache war oder richterliche entscheidung, sondern eben ZWINGENDE sachlage nach der strafprozessordnung. also basierend auf fakten, die seit 2006 existieren. das muss man sich mal vorstellen.

  • MC
    Ömür Cömür von Kölün

    Ihr habt ja einen tollen Rechtstaat.

     

    Mollath ist doch nur einer von vielen, die bei Euch rucki-zucki in die Klapse entsorgt werden. Für die anderen Opfer interessiert sich keine Sau bei Euch.

     

    Wenn die Medien den Fall nicht aufgebauscht hätten, wäre der Mann dort verrottet.

     

    Und jetzt rühmt Ihr Euch auch noch, dass Euer Justizsystem angeblich so toll sei.

  • J
    jetzaber

    "Als Lehre aus dem Fall Mollath muss daher vor allem über einen besseren Schutz gegen vorschnelle Psychiatrisierung und übertriebene Gefahrenprognosen diskutiert werden."

     

     

     

    Als Lehre aus dem Fall Mollath und als Folge der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention müssen ALLE psychiatrischen Sondergesetze nun endlich fallen!

     

    Und was, Herr Rath, sind "übertriebene Gefahrenprognosen"?

     

     

     

    Pschiatrischen Gutachten sind generell Willkür-Einschätzungen von Menschen über Menschen!

     

     

     

     

     

    Gustl Mollath sollte daher jetzt seine Chance nutzen, eine PatVerfü machen, und sich NIE mehr psychiatrisch Begutachten lassen (Willkür-Gutachten!).

     

    Dann kann ihm zumindest schon mal keine "Gefährlichkeit aufgrund einer Geisteskrankheit unterstellt werden.

     

     

     

    Geisteskrank? Ihre eigene Entscheidung!

     

     

     

    http://www.patverfue.de/

     

     

     

    PatVerfü. Die schlaue Patientenverfügung!

     

     

     

    (Diese Chance sollten übrigens ALLE BRD-Bewohner, denen ihre Freiheit und Selbstbestimmung am Herzen liegt, nutzen.)

  • Der ursprüngliche Vorwurf, hier werde ein Kritiker von Schwarzgeldgeschäften gezielt psychiatrisiert, hat sich bisher allerdings noch nicht bestätigt. Mollath ist nicht „der Mann, der zu viel wusste“, wie nun ein Buchtitel nahelegt. Vielmehr ist es wohl eher umgekehrt. Weil Mollath so schnell für irre erklärt wurde, hat die bayerische Justiz seine Schwarzgeldvorwürfe von vornherein nicht ernst genommen und als Phantastereien abgetan.

     

     

     

    ich wuerde sagen, so ganz richtig ist die schlussfolgerung nicht.

     

    der richter brixner, der 2006 das fatale urteil ueber mollath sprach, hatte bereits zwei jahre zuvor, bevor er ueberhaupt beruflich im fall mollath involviert war, beim zustaendigen steuerfahnder, bei dem mollaths detaillierte anzeigen eingegangen waren, angerufen, um mollath als nicht ernst zu nehmende person darzustellen und den steuerfahnder von seiner arbeit abzubringen, was dann tatsaechlich auch eingetreten ist.

     

    richter brixner war frueher handballtrainer des jetzigen lebenspartners der damals angezeigten exfrau mollaths.

  • G
    Gewaltenteilung

    Offensichtlich kann man sich in der taz nicht vorstellen, daß Gerichte unabhängig sind. Da wo Linke regieren und die Bewegung ihre Leute in Gerichten und bei der polizei hat ist es so. Es genügt sich den Mord an Richterin Heisig oder das Vorgehen beim Prozess um den ermordeten Jungen vom Alex anzusehen. In Bayern scheint die Gewaltenteilung außerhalb vom roten München noch zu funktionieren. Die Presse nur noch im lokalen Bereich.

  • H
    Horsti

    Mollath erging es ähnlich wie vor ihm Kachelmann oder Horst Arnold: Alle wurden von ihren Partnerinnen falsch beschuldigt.

  • Diese Entscheidung ist enorm stabilisierend für das System Psychiatrie. Die Mollath-Wutbürger sind ab jetzt wieder Psychiatriefans,wenn mit derselben irrationalen "Wissenschaft" nun andere weggesperrt werden. Mich stört dabei nicht das wegsperren ,sondern die Wissenschaft nur vortäuschende psychiatrische Methode. Mollath hatte insofern Glück,als daß sein Spezialthema inzwischen bedingt durch "Bankster"-Methoden zu einer "folie á beaucoup" geworden ist. Wer dieses Glück nicht hat,kommt wohl nur als Lügner raus http://www.amazon.de/Wie-Kriminelle-ihre-Therapeuten-austricksen/dp/384485293X/ref=tmm_pap_title_0 Das Erschreckende dabei: gerade perverse Sexualstraftäter haben diesbezüglich oft ein Talent. Die irrationale Psychiatrie ist also vor allem gefährlich für die Bevölkerung,siehe die Rückfälle.

  • HF
    Heinz-Erwin Fischer

    Herzlichen Glückwunsch Herr Mollath, zur wiedererlangten Freiheit, und das sogar in Bayern !

  • RR
    Rudi Ratlos

    Es wäre ja auch extrem peinlich für die bayrische Justiz gewesen, wenn erst das Bundesverfassungsgericht, das ja auch noch in ein paar Tagen über die Verfassungsbeschwerde im Namen Mollaths entscheiden wird zu diesem Ergebnis gekommen wäre.