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Kommentar Frankreich und SyrienDas Völkerrecht zählt nicht mehr

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Präsident Hollande will den IS nun auch in Syrien mit Bomben bekämpfen. Damit gibt er die bisherige Doktrin französischer Auslandsoperationen auf.

Das französische Militär schickt seine Mirage-Kampfjets künftig auch über syrisches Staatsgebiet. Foto: dpa

W as auf den ersten Blick wie eine logische oder rein geografische Erweiterung der bisherigen militärischen Intervention aussieht, stellt in Wirklichkeit eine grundlegende Änderung der Doktrin der französischen Auslandsoperationen dar.

Bisher lautete das Prinzip, dass entweder ein Mandat der Vereinten Nationen oder wenigstens eine Resolution des Weltsicherheitsrates vorliegen muss. Andernfalls bestand auch die Möglichkeit, auf ausdrücklichen Wunsch einer befreundeten und möglichst demokratisch gewählten Regierung zur Wiederherstellung des Friedens oder zum Schutz von Flüchtlingen und insbesondere französischen Staatsbürgern in einem bewaffneten Konflikt einzugreifen.

Wenn es um die Legitimierung einer militärischen Operation im Ausland ging, nahm es Frankreich, gerade in ehemaligen Kolonien, bislang sehr genau mit dem Völkerrecht. Im Gegensatz zur USA, die einzig auf den Anspruch gestützt, ihre Interessen zu verteidigen oder zur Bekämpfung von externen bewaffneten Feinden ihre Streitkräfte weltweit zum Einsatz beriefen, UN-Mandat oder nicht.

Jetzt verlässt also auch Hollande den Boden des Völkerrechts, indem er das Recht zur Selbstverteidigung gegen den Terrorismus des IS geltend macht, den er in seiner Rechtfertigungsrede auch gleich als Hauptursache des Flüchtlingselends nennt.

Das heißt nicht, dass Hollande sich mit seinem Recht, Krieg zu führen, nicht moralisch im Recht fühlen kann. Aber mehr als ein binäres Weltbild von Gut und Böse scheint er nicht zu haben. Übrigens auch keinen Plan, wie künftig mit dem syrischen Machthaber Assad oder dem schwelenden türkisch-kurdischen Konflikt umzugehen wäre.

Man könnte also auch sagen: Hollande ist mutig. Denn so weit war nicht einmal sein Vorgänger Nicolas Sarkozy gegangen, der sich nicht gescheut hatte, von einem „Krieg der Zivilisationen“ zu reden.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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9 Kommentare

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  • Der IS ist überall, vornehmlich mitten unter der tatsächlich friedlichen Zivilbevölkerung.

     

    Insoweit hat Hollande etwas Wesentliches versäumt. Er hätte vorrangig dem Rest der Europäer erklären müssen, warum die schon in Europa angekommenen Flüchtlinge vor Freude jubeln, wenn sie hören, daß ihre in Syrien vebliebenen nächsten Angehörigen von französischen Bomben zerfetzt werden. Oder werden sich die Flüchtlinge überhaupt nicht freuen? Dann müßte Hollande vorab erklären, warum er es einfach hin nimmt, wenn in der Folge überall in Europa Terroraktionen stattfinden. Oder zieht er es vor, späterhin zu beteuern, daß das niemand ahnen konnte?

  • Das ist riskant, aber ein UN-Mandat wird von Putin und Peking blockiert.

     

    ansonsten siehe

    "Kommentar USA-Bashing der Linken

    Politik aus der Mottenkiste"

     

    Zu dem Unterschied zwischen dem Sturz Gaddafis durch Libyer und dem Kampf gegen die Jihadisten und die Militarisierung seit 2013 ist dieser 9Minuten-Film sehenswert: https://www.youtube.com/watch?v=aWla-oBZ7gc

    Libya: Wake Up, Benghazi! | The Trials of Spring https://www.hrw.org/news/2014/06/26/libya-tribute-salwa-bughaighis

  • Wenn es dadurch gelänge, Syrien zu "befrieden", dann nur mit der Gewissheit, den Konflikt weiter in die Zukunft zu verschieben. Dem radikalen Islamismus wachsen so ständig neue Köpfe nach. Diese Ideologie ist auf dem Ungerechtigkeitsgefühl gebaut, dessen Ursache auf das Abendland zurückgeführt wird.

    Der IS ist ein Kind der Irakkriege.

    Die Kriege von heute nähren die von morgen.

  • Frankreich hat schon 2011 in Libyen massiv gegen das Völkerrecht verstoßen: die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats ermächtigte lediglich zur Einrichtung einer Flugverbotszone und der Ergreifung "„aller notwendigen Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung“ - faktisch dienten die Einsätze der NATO-Staaten (darunter Frankreich) als Luftwaffe der Aufständischen.

     

    Und nein, ich bedauere Ghaddafis Sturz keineswegs!

  • Bei Hollande kann man jedenfalls davon ausgehen, daß er sich mit Russland und dem Iran abstimmt.

  • Die Frage ist, was zählt!

    Das Völkerrecht oder die Menschenrechte, Leider haben sich die Deutschen für das Völkerrecht entschieden! 250.000 Tote, darunter 50.000 Kinder und zehn Millionen Flüchtlinge sind ihnen herzlich egal!

  • Mal ganz abgesehen vom Völkerrecht, kann Militär ohnehin niemals eine dauerhafte Lösung anbieten. Andererseits ist das, was der IS macht, mit dem Begriff "Völkerrecht" schon gar nicht in irgendeine Verbindung zu bringen. Man hat es mit einer organisierten Mörderbande zu tun und es gibt derzeit keinerlei Hinweise, dass man diese ohne Gewaltanwendung noch aufhalten könnte. Ob Bomben da das richtige Mittel sind, bezweifele ich sehr, aber dass man diese Leute möglichst bald irgendwie stoppen muss, daran kann eigentlich überhaupt kein Zweifel mehr bestehen.

    • @Rainer B.:

      Nein, Militär kann keine dauerhafte Lösung bieten. Aber ich möchte, dass Wege gefunden werden, das Töten zu stoppen.

      • @nzuli sana:

        Wer möchte das nicht?