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Kommentar FlüchtlingspolitikBesser kein Wahlkampfthema

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Der Umgang mit Geflüchteten spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle. Das ist gut so. Denn das Thema würde der AfD nur so passen.

Herbst 2015: Flüchtlinge folgen einem Polizeiwagen in Bayern. Das sieht man in 2017 nicht mehr Foto: dpa

E infache Frage: Welches politische Thema hat die Menschen in Deutschland in den letzten Jahren am meisten beschäftigt, aufgeregt und emotional berührt? Natürlich die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Viele sprachen vor Kurzem noch davon, Angela Merkels sogenannte Grenzöffnung habe das Land ganz neu politisiert. Warum aber spielt der Umgang mit Geflüchteten im Wahlkampf bisher so gut wie keine Rolle?

Einfachste Antwort: weil nur noch wenige Flüchtende bis nach Deutschland kommen. Selbst die AfD kann deshalb keine akute Krise herbeihetzen. Wirklich dringende Probleme haben nicht mehr die deutschen Kommunen und Turnhallennutzer, sondern nur noch die Menschen, die vor Krieg und Elend zu fliehen versuchen – und einige Länder rund ums Mittelmeer.

Die EU schottet sich immer rigoroser ab. Weil kein Land zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge in nennenswerter Zahl bereit ist, werden nun private Retter vom Retten abgehalten und libysche Warlords dafür bezahlt, dass sie Menschen schon vor der Überfahrt stoppen. Eine nur noch auf Abwehr zielende, teilweise zynische Politik, die von Italien organisiert und von Merkel unterstützt wird. Ihr „humanitärer Imperativ“ von 2015? Fast vergessen.

Diese Härte scheint allerdings nur noch wenige Deutsche so sehr zu berühren, dass sie zu großen Debatten führt. Sie macht eher: sprachlos. Das liegt aber nicht nur am Desinteresse, sondern auch an Ratlosigkeit. Die meisten Wähler wollen weder komplett „offene Grenzen“ noch komplett „geschlossene Grenzen“. Doch alles dazwischen ist kompliziert.

Die meisten Wähler wollen weder komplett offene Grenzen noch geschlossene

Klar: Man muss die unterlassene ­Hilfeleistung im Mittelmeer kritisieren. Man sollte Italien unterstützen, weiter Menschen aufzunehmen. Dann aber hört es, realpolitisch gesehen, auch schon auf. Italien die Versorgung der Flüchtlinge allein zu überlassen, kommt dauerhaft nicht infrage. Eine Verteilung innerhalb der EU ist derzeit leider völlig aus­sichtslos.

Was also tun? Mitten im Wahlkampf anbieten, dass Deutschland als einziges Land Flüchtlinge aus Italien dauerhaft einreisen lässt und aufnimmt, egal aus welchen Gründen sie geflohen sind? Kann man kaum erwarten von Politikern, die (weiter)regieren wollen.

Natürlich müssen wir über Hilfe reden und in Zukunft wieder mehr Geflüchtete aufnehmen. Über Zahlen und Kriterien kann man streiten. Aber es ist nicht wirklich erstrebenswert, dass die Flüchtlingspolitik zum Hauptwahlkampfthema wird. Das würde der AfD nur so passen. Nein, der mühsame und langwierige Kampf für eine halbwegs humanitäre Politik ist außerhalb von Wahlkampfzeiten aussichtsreicher. Wie sich 2015 gezeigt hat.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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26 Kommentare

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  • Der reiche Mensch schaut auf sich und fürchtet sich sehr.

     

    »Abends schauen sich die Selbstoptimierer im Fernsehen zu, wie sie dem „Internationalen Terrorismus“ durch unbeirrtes Biertrinken und Möbelkaufen trotzen. Der reiche Mensch schaut auf sich und fürchtet sich sehr. Der Arme gräbt derweil im Müll oder ertrinkt im Mittelmeer.«

     

    »Die wirklich bestimmenden Strukturen unserer Gesellschaft sind schwierig, insbesondere die Wirkungszusammenhänge im wirtschaftlichen Bereich, während das Totschlagen eines Menschen oder das Überfallen einer Tankstelle mit einer Waffe nicht ganz so kompliziert ist. Das kann jeder verstehen. Da gibt es einen Bösen, der einzusperren ist, und ein gutes Opfer, das ist einer von uns. Diejenigen aber, die die Welt durch Vernichtung der Ozeane oder Kriege oder durch Zerschlagung aller Sozialstrukturen zugrunde richten, können wir nicht fassen. Weil wir scheinbar alle die Täter sind, oder alle mit drinstecken. Wir wollen keine 100 Euro für einen „Sozialbetrüger“ zahlen, aber einhunderttausend Millionen Euro für die systemrelevanten Banken. Denn sonst könnte am Ende ja unsere Durchschnittsrente weniger als das 25fache des Durchschnittseinkommens eines Afrikaners betragen, oder das Superbenzin teurer werden.«

     

    »Naja, das sind halt Stimmungen. Die Medienwelt, insbesondere diese Fernsehwelt, lebt in hohem Maße davon, Stimmungen zu simulieren und hieraus wieder Stimmungen zu generieren. Man muss nur zwei Tage hintereinander Nachrichtensendungen auf mehreren Kanälen verfolgen und vergleichen, dann weiß man, dass der Anteil an relevanten Informationen außerordentlich gering ist {...}«

     

    Quelle: Der Freitag: "Die SPD hat den Löffel längst abgegeben"

    Interview Der Vorsitzende Thomas Fischer verlässt den Bundesgerichtshof. Er beendete auch seine kontroverse Kolumne bei ZEIT Online. Rastlos und streitbar bleibt er

    Jan C. Behmann

     

    Vgl.: http://www.freitag.de/autoren/jan-c-behmann/frau-emcke-hat-immer-recht

    • @Reinhold Schramm:

      Danke für den link.

      Fischer - wer sonst!

      "Einen hatten wir." K.T.

      • @Lowandorder:

        hm - etwas flottsalopp;)

         

        Thomas - heißt "der Ungläubige"!;)

        Nu. Kommt mir irgendwie -

        bekannt vor.)

  • Ich frage mich mit welchen Themen sollte man denn Punkten - was wühlt die Leute gegen Merkel auf.

  • "Nein, der mühsame und langwierige Kampf für eine halbwegs humanitäre Politik ist außerhalb von Wahlkampfzeiten aussichtsreicher."

     

    Heißt, was der dumme Wähler will, interessiert sowieso nicht.

    • @A. Müllermilch:

      Conclusio -

       

      Ich sachs mal so -

      Was ein abgrundtiefasi -

      Antidemokratischdreister -

      Griff ins Klo!

       

      Oder mit @Rolf B.

      "Selten einen solchen Stuss gelesen. Schweigend sollen wir uns selbst vergötzen?"

      &

      EndeGelände

      So geht das.

    • @A. Müllermilch:

      Ja, diesen Tipp am Kommentarende fand ich auch wenig plausibel. Die damalige Grenzöffnung wurde ja mehr als rückgängig gemacht, gerade weil der Wähler nicht vergisst, was ihm gegen den Strich geht - nicht einmal unserer Kanzlerin, wenn sie ihre Politik nicht um 180 Grad gedreht hätte.

  • Alle haben gesagt, dass die Flüchtlingssituation Deutschland viele Jahre vor große Herausforderungen stellen wird.

     

    Und plötzlich soll das kein Thema sein, weil es vielleicht irgendjemandem mehr nützt als anderen? Das finde ich fatal.

     

    Im Übrigen gibt es durchaus auch aktuelle Probleme, siehe aktuelle Meldungen wie:

     

    "„Stoßen an Grenzen“ – Kommunen fordern Stopp der Flüchtlingsverteilung"

     

    Quelle: https://www.welt.de/politik/deutschland/article167948204/Stossen-an-Grenzen-Kommunen-fordern-Stopp-der-Fluechtlingsverteilung.html

  • Ja, aber. Nein, aber.

     

    Nein, es „ist nicht wirklich erstrebenswert, dass die Flüchtlingspolitik zum Hauptwahlkampfthema wird“ anno 2017. Aber das liegt weder am Prinzip Wahlkampf, noch daran, dass das Thema nicht für eine Profilierung taugt oder gar an der AfD und ihrer (angeblichen) Power. Es liegt daran, dass die etablierten Parteien noch immer keine eigenen Alternativen zu den Vorschlägen der AfD entwickelt haben, die sie uns präsentieren könnten.

     

    Seit spätestens 1945 wäre Zeit gewesen, sich zu überlegen, was zu tun ist, wenn Deutschland – was Gott verhüte – dank Wertewandel irgendwann als attraktives Einwanderungsland wahrgenommen wird von Menschen aus Nicht-EU-Staaten. Die einzige Antwort, die „der Politik“ in 72 Jahren eingefallen ist (und bis heute einfällt) lautet: Grenzen dicht! Was allerdings nicht heißt, dass gleichzeitig die Eigenwerbung (Deutschland einig Schlaraffenland!) eingestellt wird.

     

    Nein, sie wollen nicht, dass jenes instabile Gleichgewicht, dem sie ihre Macht verdanken, ins Wackeln kommt, die Spitzenpolitiker der diversen Parteien. Sie wollen, dass alles bleibt, wie es gerade ist. Weil: Grade haben sie ja einen Super-Job. Wenn sich was ändert, ist der vielleicht futsch.

     

    Ich verstehe das. Leider schert sich der Rest der Welt sich nicht um das Bauchgrummeln deutscher Verantwortungsträger. Er verändert sich, ob es uns passt oder auch nicht. Die Parteien sollten also endlich aus der Hüfte kommen. Wir haben nicht mehr 1950. Sich – im Vertrauen darauf, dass auch der Gegner sich nicht zucken wird – von einer Wahl zur nächsten herumzudrücken um die Zuwanderungsfrage, ist keine Option mehr. Auch, weil zwischen den Wahlen erst recht keine Zeit bleibt für Streits. Da muss nämlich gearbeitet werden. Zum Beispiel an der Umsetzung von Wahlversprechen.

  • Die Erkenntnis macht sich breit, dass eine sachgerechte Diskussion nicht möglich ist, da an beiden Enden grundfalsche Einstellungen herrschen, die sehr absolut verfolgt werden:

    a) Abschottung - ignoriert Anwesende, Vollzugsprobleme und Rechtsstaatsprinzip

    b) "Menschenfreunde" - ignorieren, dass Menschenrechte durch die BRD in Deutschland gewährleistet werden können. Nicht woanders, erst recht nicht überall. Gastfreundschaft heißt nicht, die Welt einzuladen.

    Wer im Mittelmeer ertrinkt, hat sich als eigenverantwortlich handelnder dorthin begeben. Dafür ist nicht die Deutsche Politik verantwortlich.

    Seenotrettung heißt helfen wenn man da ist. Es heißt nicht, extra eine Mission zu starten, damit die Leute die sich erst in Zukunft "gezielt in Seenot begeben" gerettet werden können.

    Dieser hemmungslos überzogene Hilfebegriff behindert die Lösungsfindung mehr als er nützt. "Hilfsmissionen" sind freiwillig!

    • 3G
      39167 (Profil gelöscht)
      @mensch meier:

      Gut auf den Punkt gebracht, danke!

  • pragmatisch/realistische Kommentierung - Danke!

    Dass die ganz Entschiedenen nach der einen oder anderen Seite damit nicht zufrieden sind - klar. Mir geht Hobbes' "homo homini lupus" nicht mehr aus dem Kopf. Unsere eigene Verstrickung in Fluchtursachen ist einigen rational klar, andere erahnen es - aber letztlich sind alle klammheimlich froh, dass es uns nicht ans Fell geht und das Elend woanders weit weg bleibt.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Das soll kein Wahlkampfthema sein?

    Wo leben Sie denn, Herr Wallraff?

    Überall wird darüber diskutiert!

    Das interessiert die Wähler/innen und ist zur zeit DAS Thema, das wichtig ist.

    Das sollten wir nicht der AfD überlassen und mitnichten sind die Kommunen jetzt nicht mehr belastet.

    Die Sozialleistungen, die diese zu leisten haben, sind bald nicht mehr zu stemmen.

    Einfach mal googeln. Das bringt vielleicht auch für Sie völlig neue Erkenntnisse.

    Mir wird schlecht, angesichts der Verharmlosung und des unter den Teppich kehren. Es werden, auch aufgrund des Klimawandels und der daraus entstehenden Folgen, noch mehr Menschen Zuflucht suchen und darüber muss man reden und zwar JETZT!

  • Ja wie? Eine Kombi -

    Vogel-Strauß & Appeasement-Regenschirm - sine Hirn!

    Das muß frauman erst mal hinkriegen!

    &

    Sowas. Geht in der Redaktionssitzung

    Unbeanstandet. Über den Tisch - kerr!

    Der TAZ! Nich tonn. Glöben.

    kurz - Nix im Kopp! - & doch - doch!

    'nen zynisch trump - Ins Sommerloch!

    Rein tonn katolsch warrn!

    • @Lowandorder:

      Ich lese Ihre Kommentare immer mit Gewinn!

      • @Hartz:

        Fein. Bleibe dran. Versprochen!;)

  • Irgendwie erinnert mich das an die Nachkriegsgeneration, man drückt sich vor unangenehmen Wahrheiten und geht faule Kompromisse ein. Anstatt das Thema einfach mal zu besprechen. Ja, es ist kompliziert aber es gibt auch mehr als nur 2 extreme Positionen dazu. Aber schön in der Tradition der Grossväter (sic!) wird alles unters Sofa geschoben, bis es einem um die Ohren fliegt.

    • @püppi von Wegen:

      na dann sagen sie mal welche Optionen es gibt ? zB Fähren einsetzen das alle Menschen die zu uns wollen direkt nach Deutschland kommen. Von den Linken wird immer so getan als ob es eine gute Lösung gebe. Gibt es aber nicht. Entweder öffnet man die Türen für alle (zB auch für 1.1 Milliarden Afrikaner die vielleicht einfach nur besser leben wollen) oder man muß auch Nein sagen können, sprich die Leute abweisen.

  • aha, Kopf in den Sand, Zeitung drauf, dann ist alles gut.

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    "Aber es ist nicht wirklich erstrebenswert, dass die Flüchtlingspolitik zum Hauptwahlkampfthema wird."

     

    Es hat für Politiker jeden Tag Thema zu sein. Basta.

    Alle übrigen mögen selbst entscheiden, ob sie Anteil nehmen oder weiter schlafen und sich nur quartalsmäßig zu Wort melden oder nicht mal das. Letzteres ist nicht gut, aber es steht ihnen nun mal frei.

  • Ihr Postulat "wir müssen mehr Flüchtlinge aufnehmen" kotzt mich an.

     

    Die Flucht nach Europa kostet viel Geld und treibt Familien in die Schuldenfalle. Zusätzlich ist die Flucht so gefährlich und anstrengend, dass nur die Starken (meist junge Männer) dabei überleben.

     

    Wir müssen dafür sorgen, dass niemand mehr flüchten muss. Das sollte das Ziel sein und nicht ein Ehrenamt im Flüchtlingsheim als modernes Äquivalent zum Ablassbrief.

  • Ein Thema, das die letzte Legislaturperiode bestimmt hat wie kein anderes und welches mit hoher Wahrscheinlichkeit die kommende betimmen wird wie kein anderes soll nicht Wahlkampfthema werden. Kann mir bitte jamand erläutern, weshalb ich noch zur Wahlurne gehen soll.

     

    Selbstverständlich müssen wir nicht über Hilfe reden und in Zukunft nicht wieder mehr Geflüchtete aufnehmen, den wir haben ja grundsätzlich die Wahl Vertreter zu wählen, welche sich gerade dagegen aussprechen.

  • Selten einen solchen Stuss gelesen. Schweigend sollen wir uns selbst vergötzen?