Kommentar Flüchtlingsgipfel: Flüchtlinge, euch geht‘s wohl zu gut
Die grün-rote Regierung in Stuttgart berät ihre Asyl-Strategie. Das Ergebnis ist von den Vorstellungen der Union praktisch nicht zu unterscheiden.
I nnenminister Thomas de Maizière soll vor einem „Kollaps“ des Aufnahmesystems gewarnt haben. Im sächsischen Freital legen Unbekannte eine Bombe unter das Auto eines Linken-Politikers, der sich für Flüchtlinge eingesetzt haben soll, die Polizeigewerkschaft fordert angesichts immer neuer Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte eine Bannmeile um solche Einrichtungen. Die Kommunen müssen in diesem Jahr mit Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen von mehr fünf Milliarden Euro rechnen.
Das ist nur eine Auswahl der wichtigsten Meldungen in Sachen Asylpolitik von Montag. Das Thema beschäftigt den politischen Betrieb derzeit wie kaum ein zweites.
Der Bund hätte es am ehesten in der Hand, die Lage zu entspannen. Würde er endlich die Kosten für die Flüchtlingsaufnahme übernehmen, wäre das ein substanzieller Schritt zur Entlastung der Kommunen und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Flüchtlinge. Und es würde den Rechten eines ihrer zentralen Argumente nehmen: Dass die Ankunft der Flüchtlinge auf Kosten der Menschen gehe, die schon da sind.
Doch am Montag bekräftigte die Bundesregierung ihre Weigerung, mehr als ein Fünftel dieser Kosten zu übernehmen – und verkauft das noch als Zugeständnis. Ursprünglich sollte es nur ein Zehntel sein.
Der SPD fällt nichts besseres ein, als der Union einen fatalen Deal anzubieten. Sollte die Union einem Einwanderungsgesetz zustimmen, wollen die Sozialdemokraten weitere Länder zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklären. Damit tritt genau das ein, was viele 2014 befürchtet hatten, als Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina für „sicher“ erklärt wurden: Die Liste wird nach Gutdünken immer weiter verlängert. Der SPD-Vorschlag ist deshalb so überflüssig, weil erstens der Druck aus den Wirtschaftsverbänden, Arbeitskräftemigration zuzulassen, derzeit so groß ist, dass die Union ohnehin an einem Zuwanderungsgesetz nicht vorbeikommt. Und zweitens hat der CDU-Parteivorstand selbst sich jüngst für ein solches Gesetz ausgesprochen.
Zwei-Klassen-Asylrecht
Länder und Kommunen bleiben derweil weitgehend auf sich allein gestellt. Auf einem „Flüchtlingsgipfel“ am Montag beriet die Landesregierung in Stuttgart ihre neue Strategie in Sachen Asyl. Das Ergebnis ist von den Vorstellungen der Union praktisch nicht zu unterscheiden.
Baden-Württemberg will die Erstaufnahmeeinrichtungen ausbauen und Flüchtlinge ohne Aussicht auf ein Bleiberecht dann nicht mehr auf die Kommunen verteilen. Das entspricht genau dem, was das Bundesinnenministerium im Frühjahr als Devise ausgegeben hatte, um die Zahl der Roma-Flüchtlinge zu drücken. Diese sollen direkt aus den Erstaufnahmeeinrichtungen heraus abgeschoben werden.
Bislang hatte nur Bayern angekündigt, hierfür eigene Aufnahmezentren zu schaffen, was – völlig zurecht – als „Sonderlager für Roma“ kritisiert wurde. Nun also will auch das grün-geführte Baden-Württemberg das stigmatisierende Modell aufgreifen und ein Zwei-Klassen-Asylrecht mittragen. Denn die neuen Erstaufnahmeeinrichtungen sind nicht bloß andere Gebäude. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen dort gesonderte Verfahren zu gesonderten – schlechteren – Bedingungen stattfinden.
Auch dass Kretschmann ankündigt, abgelehnte Asylbewerber, die sich „ihrer Rückführung entziehen“ mit „Leistungskürzungen und Beschäftigungsverboten belegt werden müssen“ ist ein typisches Muster schwarzer Innenminister: Was der grüne Ministerpräsident da verlangt, ist nämlich keine zu behebende Lücke vermeintlich lascher Flüchtlingspolitik, sondern seit jeher Standard.
Dazu passt, dass Kretschmann ankündigt, Abschiebungen „konsequenter“ angehen zu wollen – als habe Baden-Württemberg bislang aus humanitären Erwägungen heraus auf Abschiebungen verzichtet. Im Gegenteil: Vor allem was Balkan-Abschiebungen angeht hat sich das Bundesland besonders hervorgetan. Wenn Kretschmann trotzdem solche Forderungen erhebt, dann suggeriert er dabei mit Absicht, den Flüchtlingen gehe es hier noch zu gut – und dürfte die militanten Flüchtlingsfeinde in ihrer einschlägigen Überzeugung bestärken.
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