Kommentar FDP und Jamaika-Koalition: Die Angst vorm Regieren
Das forsche Auftreten von Parteichef Lindner täuscht: Tatsächlich fürchten die Liberalen, der CDU und den Grünen unterlegen zu sein.
D ie Jamaika-Verhandlungen geben ein erstaunliches Bild ab. Eigentlich müssten die Grünen öffentlich schmerzvoll Zerrissenheit bekunden, der linke Flügel müsste querschießen und Ökos mit krachenden Auftritten rote Linien bei Klimaschutz und Agrarpolitik ziehen. Auch wenn Teile der Ökopartei sich politisch und lebensweltlich der Merkel-CDU angenähert haben – mit der schwer berechenbaren CSU und der neoliberalen FDP zu regieren ist für die Grünen ein Risiko. Auch wenn darüber niemand redet.
Doch die Rolle als skeptische Zauderer, die überzeugt werden wollen, dass regieren nicht wehtut, spielt die FDP. Deren forscher Chef Christian Lindner vermittelt einigermaßen glaubhaft, dass Regieren ein Opfergang ist, zu dem man durch die Verhältnisse genötigt wird. Und Wolfgang Kubicki, der mal als Clown, mal als Bad Cop auftritt, klingt wie jemand, der jetzt schon Opposition gegen die eigene Regierung probt. Warum eigentlich?
Ein Blick zurück: Die altbundesrepublikanische FDP neigte als Funktionspartei zum Umfallen. Egal wer regierte, die FDP war dabei. Das schien in den Genen der Liberalen zu stecken. Aber das ist vorbei. Die FDP will seit rund 15 Jahren nicht mehr als die etwas langweilige, stets machtorientierte Staatspartei gelten. Sie kokettiert schon seit Westerwelle und Möllemann damit, Container des Wutbürgertums zu sein.
Die Liberalen von 2017 haben nichts mehr von dem Bedächtigen, Bürgerlich-Bräsigen früherer Zeiten. Sie pflegen einen auftrumpfenden Ton und bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen bürgerlichem Seriositätsversprechen und rechtspopulistischem Krach. Dazu passt, dass Lindner mit dröhnendem Selbstbewusstsein erklärt, dass er Neuwahlen nicht fürchtet.
Scheitern wie Westerwelle
Das ist nicht nur Pose oder Taktik – die FDP hat Angst vor dem Regieren. Denn wer mit Merkel und den Grünen koaliert, kann nicht gleichzeitig mit markigen Sprüchen die Affekte des Wutbürgertums bedienen.
An einer ähnlichen Rollenkonfusion ist vor sieben Jahren schon Guido Westerwelle gescheitert. Damals zog er über den Sozialstaat her, als wäre er noch immer der scharf attackierende neoliberale Oppositionsführer – allerdings war er Außenminister, mithin Repräsentant des Staates, den er rhetorisch in die Tonne trat.
In den Jamaika-Verhandlungen hat die FDP noch einen Nachteil – wenig Ahnung. Lindner, eine Art politisches Einmannunternehmen, hat überstrahlt, was nun in den Sondierungen auffällt. Die Liberalen haben wenige kundige Fachpolitiker und gewiefte Taktiker. Auch das verstärkt die Furcht, Merkel und dem effektiven Apparat der Grünen hoffnungslos unterlegen zu sein.
Das liegt nicht nur an vier Jahren APO-Existenz, sondern hat tiefere Gründe. Die jungen, ehrgeizigen Erfolgsorientierten, die Kernklientel der Lindner-FDP, haben ein eher konsumistisches Verhältnis zur Politik und wenig Bock auf die Strapazen der Gremienarbeit und Landespolitik.
Deshalb haben es die Grünen, scheinbar paradox, einfacher mit Jamaika. Sie wissen, was sie wollen und wie sie es bekommen. Sie werden eine Reihe dreckiger Kohlekraftwerke stilllegen und ein paar Ökofortschritte erreichen – und damit weitgehend eins mit sich selbst sein.
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Die FDP wird indes nicht bekommen, was sie als fordert. Die sofortige Abschaffung des Soli hält sogar der Wirtschaftsflügel der Union für ein No-Go. In der Europapolitik kann Merkel keinesfalls das Ende des ESM oder einen etwaigen Euroausstieg Griechenlands durchwinken – die Schäden wären unkalkulierbar. Daneben aber hat die FDP kaum identitätsstiftende Themen. Wie schon 2009 ist die Fallhöhe zwischen Schein und Sein bei den Liberalen groß.
Also? Wahrscheinlich wird die FDP am Ende doch irgendwie Ja sagen. Die Angst, allein für Neuwahlen oder Unregierbarkeit verantwortlich gemacht zu werden, dürfte größer sein als die Angst vor dem Regieren. Wer der wackelnde Stein in der Merkel-Özdemir-Lindner Koalition wird, ist auch klar.
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