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Kommentar FDP und Jamaika-KoalitionDie Angst vorm Regieren

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Das forsche Auftreten von Parteichef Lindner täuscht: Tatsächlich fürchten die Liberalen, der CDU und den Grünen unterlegen zu sein.

Zuversicht sieht anders aus: Wolfgang Kubicki (l.) und Christian Lindner Foto: dpa

D ie Jamaika-Verhandlungen geben ein erstaunliches Bild ab. Eigentlich müssten die Grünen öffentlich schmerzvoll Zerrissenheit bekunden, der linke Flügel müsste querschießen und Ökos mit krachenden Auftritten rote Linien bei Klimaschutz und Agrarpolitik ziehen. Auch wenn Teile der Ökopartei sich politisch und lebensweltlich der Merkel-CDU angenähert haben – mit der schwer berechenbaren CSU und der neoliberalen FDP zu regieren ist für die Grünen ein Risiko. Auch wenn darüber niemand redet.

Doch die Rolle als skeptische Zauderer, die überzeugt werden wollen, dass regieren nicht wehtut, spielt die FDP. Deren forscher Chef Christian Lindner vermittelt einigermaßen glaubhaft, dass Regieren ein Opfergang ist, zu dem man durch die Verhältnisse genötigt wird. Und Wolfgang Kubicki, der mal als Clown, mal als Bad Cop auftritt, klingt wie jemand, der jetzt schon Opposition gegen die eigene Regierung probt. Warum eigentlich?

Ein Blick zurück: Die altbundesrepublikanische FDP neigte als Funk­tions­partei zum Umfallen. Egal wer regierte, die FDP war dabei. Das schien in den Genen der Liberalen zu stecken. Aber das ist vorbei. Die FDP will seit rund 15 Jahren nicht mehr als die etwas langweilige, stets machtorientierte Staatspartei gelten. Sie kokettiert schon seit Westerwelle und Möllemann damit, Container des Wutbürgertums zu sein.

Die Liberalen von 2017 haben nichts mehr von dem Bedächtigen, Bürgerlich-Bräsigen früherer Zeiten. Sie pflegen einen auftrumpfenden Ton und bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen bürgerlichem Seriositätsversprechen und rechtspopulistischem Krach. Dazu passt, dass Lindner mit dröhnendem Selbstbewusstsein erklärt, dass er Neuwahlen nicht fürchtet.

Scheitern wie Westerwelle

Das ist nicht nur Pose oder Taktik – die FDP hat Angst vor dem Regieren. Denn wer mit Merkel und den Grünen koaliert, kann nicht gleichzeitig mit markigen Sprüchen die Affekte des Wutbürgertums bedienen.

An einer ähnlichen Rollenkonfusion ist vor sieben Jahren schon Guido Westerwelle gescheitert. Damals zog er über den Sozialstaat her, als wäre er noch immer der scharf attackierende neoliberale Oppositionsführer – allerdings war er Außenminister, mithin Repräsentant des Staates, den er rhetorisch in die Tonne trat.

In den Jamaika-Verhandlungen hat die FDP noch einen Nachteil – wenig Ahnung. Lindner, eine Art politisches Einmannunternehmen, hat überstrahlt, was nun in den Sondierungen auffällt. Die Liberalen haben wenige kundige Fachpolitiker und gewiefte Taktiker. Auch das verstärkt die Furcht, Merkel und dem effektiven Apparat der Grünen hoffnungslos unterlegen zu sein.

Die FDP bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen bürgerlicher Seriosität und rechtspopulistischem Krach

Das liegt nicht nur an vier Jahren APO-Existenz, sondern hat tiefere Gründe. Die jungen, ehrgeizigen Erfolgsorientierten, die Kernklientel der Lindner-FDP, haben ein eher konsumistisches Verhältnis zur Politik und wenig Bock auf die Strapazen der Gremienarbeit und Landespolitik.

Deshalb haben es die Grünen, scheinbar paradox, einfacher mit Jamaika. Sie wissen, was sie wollen und wie sie es bekommen. Sie werden eine Reihe dreckiger Kohlekraftwerke stilllegen und ein paar Ökofortschritte erreichen – und damit weitgehend eins mit sich selbst sein.

taz am wochenende

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Die FDP wird indes nicht bekommen, was sie als fordert. Die sofortige Abschaffung des Soli hält sogar der Wirtschaftsflügel der Union für ein No-Go. In der Europapolitik kann Merkel keinesfalls das Ende des ESM oder einen etwaigen Euroausstieg Griechenlands durchwinken – die Schäden wären unkalkulierbar. Daneben aber hat die FDP kaum identitätsstiftende Themen. Wie schon 2009 ist die Fallhöhe zwischen Schein und Sein bei den Liberalen groß.

Also? Wahrscheinlich wird die FDP am Ende doch irgendwie Ja sagen. Die Angst, allein für Neuwahlen oder Unregierbarkeit verantwortlich gemacht zu werden, dürfte größer sein als die Angst vor dem Regieren. Wer der wackelnde Stein in der Merkel-Özdemir-Lindner Koalition wird, ist auch klar.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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17 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Umgekehrt, nicht die FDP, sondern die Grünen haben Angst vor dem Regieren, weil es sie spalten könnte.

  • Wirre Kommentare hier:

     

    "Wieso sollten gerade die Grünen mit den wenigsten Wählerstimmen, also dem schwächsten politischen Mandat unter den Regierungsparteien, rote Linien einziehen dürfen ?"

     

    Politik ist nicht eine Frage des Dürfens, sondern eine des Könnens.

     

    Wer das nicht verstanden hat, sollte lieber Alu-Hüte basteln.

  • Alle reden von der FDP und den Grünen, Journalisten kommentieren sich über deren Gegensätze die Finger wund, lassen aber die Zwei-Parteien-Fraktion völlig außer acht.

     

    Kanzlerin und CDU scheinen souverän zu moderieren wie sich das gehört, aber die CSU wird sich erst äußern, wenn alles scheinbar festgeklopft auf dem Tisch liegt.

     

    Dann erst kommt die Stunde der schon jetzt in Lauerstellung liegenden Söder-CSU . Diese Regionalpartei mit der jahrzehntelang praktizierten Anmaßung, eine Bundesparteia mit permanentem Regierungsanspruch zu sein, wird vor der Landtagswahl nicht versäumen, Jamaika total in Frage zu stellen.

     

    Was gäbe es besseres für eine neuformierte CSU aus Donauland, als eine Bundestagsneuwahl 2018, termingleich durchgeführt mit der bayrischen Landtagswahl ?

     

    Da kann man ja auch die jetzt drohende Koalition mit den unbequemen Jamaikanern platzen lassen !

  • Eigentlich müssten die Grünen öffentlich schmerzvoll Zerrissenheit bekunden, der linke Flügel müsste querschießen und Ökos mit krachenden Auftritten rote Linien bei Klimaschutz und Agrarpolitik ziehen.

     

    Wieso sollten gerade die Grünen mit den wenigsten Wählerstimmen, also dem schwächsten politischen Mandat unter den Regierungsparteien, rote Linien einziehen dürfen ? Ihre Erfolge im Bund und den Ländern sind äußerst bescheiden. Weite Teile der Bevölkerung lehnen ihre politischen Vorstellungen grundlegend ab.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Nikolai Nikitin:

      "Weite Teile der Bevölkerung lehnen ihre politischen Vorstellungen grundlegend ab."

      Ja, und?

      Die haben auch was anderes gewählt.

       

      Rote Linien machen für alle Sondierer Sinn, nämlich das jeweilige Gesicht zu wahren, und seien sie noch so klein und unbedeutend, was sich ja schnell ändern kann.

      Für die FDP wird es diesbezüglich schwierig - mangels Profil.

      • @571 (Profil gelöscht):

        Ich würde mich schon sehr wundern, wenn die verantwortungsbewussten unter den politischen Vertretern der anderen Parteien dazu beitragen würden, grüne Hirngespinste mit umzusetzen.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Danke für diesen Kommentar, Herr Reinecke!

  • Ein Satz hat mir gut gefallen. Die FDP hat ein konsumistisches Verhältnis zur Politik. Sieht man sich diesen Party-Verein in NRW etwas näher an, so sind es unerfahrene, unwissende Möchtegern Koofmichs, die tatsächlich meist in ihren Lofts Party machen, sich Pizza ins Haus bestellen, weil in der Designerwohnung kein Platz für eine Einbauküche war und zum Protzen geht man eben in angesagte Locations. Das ist die Partei des "Irgendwie", Spätpubertierende, sozial verwahrlost, aus Rechtsanwalts- Lehrer- oder Sparkassenchefsfamilien, die irgendwie mitgekriegt haben, wie das zu Hause läuft und so nun "unheimlich gut drauf"-Regieren wollen.

     

    Was man einem Westerwelle noch nachgesehen hatte, weil er typmäßig den ewigen Halbwüchsigen gab, ist nun bei der FDP nervend. Denn die neoliberalen Ansichten sind bei der AfD zwar nicht so offen, doch wesentlich radikaler verankert.

     

    Der Asoziale, also Liberale vom Schlage Bentham, Smith und Malthus entscheidet sich für die AfD. Sie verspricht Armenhäuser, Almosen für den Abschaum und gesetzliche Schrankenlosigkeit für Marktanbeter und alle, die sich zu dieser Schicht dazurechnen. Die FDP ist überflüssig.

  • "Tatsächlich fürchten die Liberalen..." - schon in der Unterzeile der Überschrift eines Kommentars wird eine (angebliche) Tatsache behauptet. Später: "Das ist nicht nur Pose oder Taktik – die FDP hat Angst vor dem Regieren." Das ist m. E. mindestens ein Verschwimmen der eigenen Meinung mit der Feststellung (scheinbarer!) Fakten. Muss das sein? Oder gibts Belege, dass dem so ist?

    Mit Verlaub: Das nervt. Weshalb kann sich da nicht differenziert ausgedrückt werden? Etwa 'Die Liberalen fürchten anscheinend/offenbar/augenscheinlich...' etc.? Gerne auch als Konjunktiv oder auch als Frage in den Raum stellen und dann die Hinweise anführen...

    Das macht einen prinzipiell interessanten Artikel leider kaputt - "ist auch klar"

  • Die Grünen verkaufen ihre Inhalte für nix an ihre Gegner und das wird sich rächen.

     

    Dass die FDP Merkel und ihren Apparat nicht will, ist echte politische Klugheit: Bislang gabs dafür immer einen rüber.

     

    Kein Partner hat von der CDU/CSU profitiert, man kann bei Merkel nur verlieren.

     

    Und das gilt für die Grünen gleich doppelt, weil die eigentlich gar nicht zusammen passen, weil die Grünen mit ihren Gegnern eine Regierung der Vernunft bilden, obwohl es genau darum in der Politik nie geht.

     

    Wer setzt sich durch?

     

    Da sieht es für die Grünen schlecht aus, eigentlich müsste es so sein, wie Eingangs im Artikel erklärt, aber das Gegenteil ist der Fall: Tritin ist reaktiviert und soll das Gewissen der Linken sein, wenn er nicht mehr im nächsten Bundestag sitzt, interessiert es auch niemanden mehr. Vielleicht muss man es so herum verstehen.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @Andreas_2020:

      "Die Grünen verkaufen ihre Inhalte für nix"

       

      Welche sollten das sein? Haben Sie den Koalitionsvertrag schon vorliegen? Dann raus mit der Sprache!

      • @74450 (Profil gelöscht):

        In den letzten Tagen Nachrichten gehört?

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Ja - keine Koalitionsvertrag. Schau'n wir doch mal, was da am Ende drin steht. Und dann kann man ja mal 'ne Liste aufmachen, wer was in dem Basar bekommen hat für welche Gegenleistung.

  • Jamaikas Tourismusbüro kam auf den Trichter, dass die Insel von der Suche nach einem deutschen Regierungsbündnis profitieren könnte.

    Im 8500 km entfernten Deutschland nutzen Politikfreaks derweil weiter Jamaika-Wortspielereien.

     

    Beispiel: Alexander Dobrindt Ende Oktober 2017: Wenn es keine 200.000 Obergrenze im Jahr gäbe, bliebe Jamaika eine Insel in der Karibik und würde keine Koalition in Berlin.

     

    Was auch immer kommt, Dobrindt wird Recht behalten: auch ohne Koalition bleibt Jamaika eine Insel in der Karibik. Welch eine Erkenntnis !

  • Die FDP ist anders als die Grünen tatsächlich in einem Dilemma. Jedem ist klar dass ein Grossteil der Stimmenzuwächse am 24.Sept. auf Wähler zurückgehen die auf keinen Fall Merkel wählen wollten. Die aber noch nicht so weit waren AfD zu wählen.

    Also kann Lindner strategisch in dieser Koalition verlieren, und zwar existenzgefährdend! Das wäre dann das Totenglöcklein der FDP.

    Natürlich wird er jetzt von CDU und Grünen mit dem Argument Staatsverantwortung vor sich hergetrieben. Das ist tatsächlich schwierig.

    Er, die FDP, kann sich da nur durch sehr klare Kante und Ansprache rauswinden. Aufzeigen welche absurden Forderungen die Grünen haben und Tschüss zu Koalitionsverhandlungen.

  • Eine der besten Analysen der (neo)liberalen Partei.

    Bei dem ganzen Wandel bleibt die FDP allerdings immer noch ihrem Klientelismus für die oberen 10-20% treu. Dabei bemüht sie immer noch die "Mittelschicht" und bedient sich einer weit verbreiteten Steueraversion (obwohl die Steuerquote seit der Gründung der BRD um 20% konstant bleibt).

  • Wenn's auch - sorry - was schwatzgrün -

    Rüberkommt.

     

    Endlich mal was mit Durchblick -

    Inne taz!:)

    Gern. & Da! Bitte -

    Weitermachen - the whole crew.

    Besser is das.

    &

    Dank im Voraus.

    Fein.