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Kommentar Eskalation in der OstukraineUm eine Hoffnung ärmer

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Vieles spricht dafür, dass der Angriff auf Mariupol auf das Konto der Aufständischen geht. Doch man sollte vorsichtig sein mit vorschnellen Urteilen.

Sonntag in Mariupol: vom Raketenbeschuss zerstörte Autos. Bild: ap

M it dem Angriff auf Mariupol sind alle, die geglaubt hatten, die Konfliktparteien hätten die Waffenstillstandslinie als Trennlinie akzeptiert, einer Hoffnung beraubt. Angriff ist die beste Verteidigung, scheint nun das Motto zu sein. Möglicherweise werden bald weitere Orte im Gebiet Donezk nicht mehr von Kiew kontrolliert werden. Die derzeitige militärische Stärke der Aufständischen ist nicht nur auf eine die gesamte männliche Bevölkerung erfassende Rekrutierung zurückzuführen. Ohne russische Soldaten wären die Aufständischen in der Defensive.

Auch die Kiewer Zentralregierung greift an. Ihre Wut ist nachvollziehbar. Gnadenlos hatten die Aufständischen die ukrainische Öffentlichkeit gedemütigt. Nach der Einnahme des Flughafens von Donezk wurden die dort gefangen genommenen Soldaten entwürdigend in der Öffentlichkeit präsentiert. Jeder Ukrainer kann sich davon auf YouTube ein Bild machen.

Vieles spricht dafür, dass der Angriff auf Mariupol auf das Konto der Aufständischen geht. Doch wir sollten vorsichtig sein mit vorschnellen Urteilen. Zu viele Ungereimtheiten hatte es in der Vergangenheit bei ähnlichen Tragödien gegeben.

Noch immer ist nicht aufgeklärt, wer die Erschießung von hundert Maidan-Aktivisten in Kiew zu verantworten hat. Ähnlich ist es mit den Toten des Brandes des Gewerkschaftshauses in Odessa. Dort waren am 2. Mai des vergangenen Jahres einige Dutzend Anti-Maidan-Aktivisten bei einem Brand ums Leben gekommen. Und auch zum Angriff auf einen Bus in Wolnowacha gibt es widersprüchliche Erklärungen.

Inzwischen wollen sich die Donezker Separatisten nicht mehr an Friedensverhandlungen beteiligen. Aber auch Kiew scheint derzeit Verhandlungen nicht als erstrangige Option anzusehen.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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21 Kommentare

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  • Was die Bestätigung durch den "Rebellenführer" Sachartschenko betrifft, so hat er lediglich die Offensive bestätigt, aber NICHT den Beschuß durch Grad-Raketen.

    Die OSZE hat vermeldet, daß die Geschosse aus nördlicher und nordöstlicher Richtung kamen. Daß sie von den Gebieten der Separatisten kamen, sieht man ja wohl den Einschlagskratern nicht an, oder?

    So.

    Was liegt im Norden/Nordosten von Mariupol? Die Ortschaft Sartana, und dort gibt es ukrainische Grad-Stellungen.

    Soweit die Fakten.

    Gut möglich also, daß es fehlgeleitete Raketen der Ukrainer selbst waren, die die Separatisten beschießen wollten, die gerade dabei waren, die Ortschaft Winogradnoje zu erobern. Entweder durch Wind oder Fehler der Feuerleitstelle landeten diese Raketen dann aber nicht in Winogradnoje, sondern auf dem Marktplatz. Ein Versehen also? Möglich.

    • @Der_Peter:

      Was ist so schwer an der OSZE Meldung zu verstehen? "aus Separatistengebiet". Es ist immer wieder erstaunlich, wie manche Foristen meinen die Fakten zu verdrehen. Natürlich ist es kein 100%iger Beweis, aber wer wäre schon so doof einzugestehen das verursacht zu haben? Die denken wohl auch "was nicht sein darf, kann auch nicht sein". Es wird Zeit, das Russland endlich den Nachschub unterbindet und die Grenze dicht macht, damit die düsteren Gestalten kein Unheil mehr anrichten können und die Ukraine die Rechtsstaatlichkeit wieder herstellen kann (incl. der Entwaffnung ALLER Milizen).

      • @Micha Mille:

        Russland soll die Grenze dicht machen? aber dann kommen doch ihre Soldaten und Geschütze nicht mehr raus und rein. Nääh. der ganze Talk vonwegen Russland sollte die "Unterstützung der Separatisten beenden" ist Unsinn - Russland ist "die Separatisten"

        • @ingrid werner:

          Wie bilden Sie sich eig Ihre Meinung? Lesen Sie Bild Spiegel etc? Oder Sind sie persönlich in der Ukraine gewesen und haben das was Sie Russland ständig unterstellen mit eigenen Augen gesehen?

           

          hier ist ein kleiner Beitrag:

           

          https://www.youtube.com/watch?v=IUOjf81Inj8&x-yt-ts=1422327029&x-yt-cl=84838260

           

          Das beweist nichts aber dass was die Mainstream Medien berichten ist genau so hinfällig zusammen mit Ihrerer einseitig geschliffenen Meinung.

          • @Ben Nebelt:

            Zwischen freien unabhängigen Medien und gleichgeschalteter Propaganda ist eben ein entscheidender Unterschied - aber das wollen Sie nicht wahr haben, denn sonst funktioniert Ihre Propaganda nicht mehr...

  • Haben die ukrainischen Streitkräfte nicht anhaltend mit Raketen , Artillerie und per Luftwaffe auf Donezk , Lugansk et al reingeschossen ? Hängt die Frage der moralischen Verwerflichkeit davon ab , ob dabei jeweils "nur" fünf , zwölf oder dreißig Zivilisten als "Kollateralschaden" zu Tode kommen ? Zu Beginn des Bürgerkrieges mußten sich die Separatisten in den Städten des Donbas vor den Angriffen der Gegenseite verbarrikadieren . Habe bisher nichts darüber mitbekommen , dass sich die ukrainischen Streitkräfte in Mariopul selbst verbarrikadiert hätten , zum Schutz vor den Angriffen der Separatisten . Warum also sollten Letztere mit Raketen in diese Stadt reinballern ? Um bei dem nur ungefähr bestimmbaren Einschlag vielleicht zufällig auch ein paar Soldaten auszuschalten ? Das wäre unter j e d em Gesichtspunkt abwegig , als Motiv bliebe nur Mordlust .

    Warum wird man den Verdacht nicht los , dass es sich bei dem Vorgang um eine "Inszenierung" Kiews handeln könnte ? So wie auch bei dem seltsamerweise nicht eindeutig aufgeklärten "Raketenangriff" auf den Bus an dem Checkpoint ? Kiew ordnet Staatstrauer an wegen Mariopul , Poroschenko wendet sich an Brüssel , Klimkin an die Gemeinschaft der Staaten mit der Bitte um Hilfe . Psychologische Kriegsführung mit allen Mitteln ?

    • @APOKALYPTIKER:

      Die Geschosse kamen aus dem von den Separatisten kontrollierten Gebiet.

       

      Sie ignorieren die Fakten und versuchen sich in Verschwörungstheorien. Typisch putinsche Propaganda mal wieder...

       

      Im Übrigen hat doch der Rebellenführer selbst die Offensive bestätigt, was wollen Sie also???

  • Gut. Von Angriff in Odessa gibt es Videos, die eindeutig die Täter zeigen. Außerdem war es keine Kriegshandlung.

     

    Anders sieht es mit den neusten Ereignissen aus. Zivilisten werden getroffen und schon geht das gegenseitige Beschuldigen los. Und es wird eigentlich immer unterstellt, dass die Zivilisten absichtlich getroffen wurden. Dabei ist es kaum möglich, mit einem Grad Raketenwerfer aus großer Entfernung (so 15...20km) einen einzelnen Bus zu treffen. Die Teile wurden als billige und einfach zu bauende Flächenwaffen entworfen. Nicht für die Bekämpfung von Punktzielen. Bedenkt man noch, dass die Raketenwerfer meist von mäßig gut ausgebildeten Soldaten bedient werden, so kann man getrost von Fehlschüssen ausgehen. Und so ist Krieg nun einmal. Krieg ist eben nicht das Computerspiel, das uns viele Politiker verkaufen wollen.

     

    Statt also ständig mit Schuldzuweisungen ums sich zu werfen, sollten die verantwortlichen Politiker lieber ernsthaft daran arbeiten, die eigentliche Ursache, den Krieg selbst, zu bekämpfen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Habe bisher nichts darüber mitbekommen , dass sich die ukrainischen Streitkräfte in Mariopul selbst verbarrikadiert hätten , zum Schutz vor den Angriffen der Separatisten . Warum also sollten Letztere mit Raketen in diese Stadt reinballern ? Um bei dem nur ungefähr bestimmbaren Einschlag vielleicht zufällig auch ein paar Soldaten auszuschalten ? Das wäre unter j e d e m Gesichtspunkt abwegig , und die Separatisten werden militärisch nicht von Idioten geführt . Als Motiv für den Angriff bliebe nur Mordlust , die Opfer Menschen , die sie - die Separatisten - für sich gewinnen wollen .

      • @APOKALYPTIKER:

        Der Vorfall war in einem Vorort. Ob Stellungen in der Nähe sind wissen wir beide nicht. Poroschenko hatte aber im Sommer angekündigt die Stadt stark zu befestigen.

         

        Es ist auf große Entfernungen auch nicht besonders schwer, weit daneben zu schießen. Da reichen schon kleine Fehler.

      • @APOKALYPTIKER:

        Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung verbreiten - könnte wohl auch ein Grund sein?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Völlig richtig! Der verantwortliche Politiker heißt übrigens Wladimir Putin...

      • @Grisch:

        Er allein? Ist er allmächtig?

         

        Nein. Natürlich zählt er zu den Verantwortlichen. Aber zum Kriegführen gehört mehr als einer.

         

        Es ist jedoch einfach, immer die gleiche Platte aufzulegen. Putin ist Schuld. Putin ist Schuld. Putin ist Schuld...

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Warum hält er sich nicht an die Minsker Vereinbarung und schließt die Grenze?

          Das stünde in seiner Macht und würde den Konflikt wohl schnell beenden.

          • @Grisch:

            In Minsk wurde angeblich auch vereinbart, die Privatbataillone aufzulösen. Warum tut sich da nichts?

             

            Sie sehen. Es ist leicht, mit gegenseitigen Vorwürfen um sich zu werfen. Aber es führt zu nichts.

          • @Grisch:

            In der Tat völlig richtig. Und genau DAS ist einer der Gründe, die die russische Position als völlig doppelzüngig erscheinen lassen. Den Brüdern kann man inzwischen leider nicht mehr vertrauen.

            • @Micha Mille:

              Ein Glück, dass nur die russische Position Doppelzüngig ist.

      • @Grisch:

        Ihre Gebetsmühle ist nicht mal als Schlafmittel zu brauchen .

        • @APOKALYPTIKER:

          Ich will auch niemanden schläfrig machen, ganz im Gegenteil...

  • Äh, ich dachte, zumindest der Angriff auf das Gewerkschaftshaus sei eindeutig geklärt?

  • "Vieles spricht dafür, dass der Angriff auf Mariupol auf das Konto der Aufständischen geht."

    Auch wenn ich diesem Satz zustimme - ärgerlich finde ich, dass man bei einem Raketenangriff auf Donezk mit zivilen Opfern den analogen Satz (mit "Aufständischen" durch "Ukrainische Armee" ersetzt) in der taz und anderen Mainstream-Medien nicht findet.