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Kommentar EU und BrexitWas ihr (nicht) wollt

Eva Oer
Kommentar von Eva Oer

Wer nun erwartet, dass die EU Großbritannien entgegenkäme, übersieht: Politik ist kein Wunschkonzert. Vor allem nicht in diesem Fall.

Kein Wunschkonzert: der Brexit Foto: dpa

D er Ball liegt jetzt im Spielfeld der EU – das scheint Brexit-BefürworterInnen die Metapher der Wahl zu sein, nachdem das britische Unterhaus am Dienstag Premier­minis­terin Theresa May beauftragt hat, das Austrittsabkommen noch einmal nachzuverhandeln. Jetzt, so sagen die Brexiteers, müsse die EU ihnen entgegenkommen. Stellt sich nur die Frage: Wobei denn eigentlich?

Am Dienstag haben die Abgeordneten in Westminster May zwei Aufträge gegeben: Sie stimmten zum einen für die Willensbekundung, einen Austritt ohne Abkommen – einen No-Deal-Brexit – abzuwenden. Zum anderen stimmten die Abgeordneten mit 317 zu 301 Stimmen dafür, das zwischen EU und der Premierministerin ausgehandelte Austrittsabkommen nachzuverhandeln und den sogenannten Backstop durch „alternative Arrangements“ zu ersetzen.

Mit diesem Votum droht aber gerade das, was doch eigentlich niemand wollen kann: ein harter Brexit ohne Abkommen. Denn die 317 ParlamentarierInnen haben sich genau den Punkt ausgesucht, den die EU nicht fallen lassen kann, ohne dabei zutiefst unsolidarisch gegenüber ihrem Mitgliedsland Irland zu sein.

Brüssel und die EU-Staaten hatten seit Dezember immer wieder fast unisono betont, den Deal nicht noch einmal nachverhandeln zu wollen. Als alternativlos hatte einst auch May das Abkommen beworben – bis die Abgeordneten es abschmetterten und sie nun im Parlament zur Kehrtwende aufrief.

taz am wochenende

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Der Backstop ist ein politisches Sicherheitsnetz, das eine offene Grenze zwischen Nordirland und Irland garantieren soll. Bei einer harten Grenze wäre zu befürchten, dass alte Konflikte wieder aufflammen und der Frieden gefährdet wird.

Wenn es nach der Übergangsphase nicht zu einem Handelsabkommen zwischen EU und Großbritannien käme, würde der Backstop dauerhaft in Kraft treten, Großbritannien in der Zollunion verbleiben und Nordirland noch dazu im Binnenmarkt. Den BefürworterInnen eines harten Brexits ist das nicht recht – sie fürchten, ewig der EU-Handels­politik unterworfen zu bleiben.

Der „Malthouse Compromise“

Die Lesart vieler Brexiteers ist nun: Wir haben der EU gesagt, was wir wollen – jetzt sollen die anderen sich bewegen. Sie sind irritiert, dass PolitikerInnen wie der deutsche Außenminister Heiko Maas immer noch die Frage vorbringen, was das Vereinigte Königreich wolle. Doch wer der EU Sturheit vorwirft, sollte selbst einen realistischen Vorschlag machen können. Aber: Die BritInnen haben schlicht keine Idee vorgebracht, die noch nicht aus guten Gründen in den Verhandlungen längst verworfen wurde.

Brüssel kann sich erst dann rühren, wenn die BritInnen einen praktikablen Kompromissvorschlag mitgeteilt haben

Diskutiert wird derzeit etwa der „Malthouse Compromise“, für dessen Entstehen sich verfeindete Tory-Lager zusammengerauft haben. Dieser Plan schlägt zuvörderst technologische Lösungen an der Grenze vor, die eine feste Grenzinfrastruktur verhindern sollen. Schade nur, dass eine solche Technologie noch nicht existiert, das sagten ExpertInnen schon während der Verhandlungen zum abgelehnten Austrittsabkommen.

Brüssel kann sich erst dann rühren, wenn die BritInnen einen praktika­blen Kompromissvorschlag mitgeteilt haben – und wenn sie sagen, was sie dafür zu geben bereit sind. Der Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza schrieb ganz zutreffend auf Twitter, die korrekte Frage an Großbritannien laute: „Welche Abstriche seid Ihr für Brexit bereit zu akzeptieren?“ Nur zu sagen, man wolle reibungslosen Handel, keine harte Grenze zu Nordirland, keine Zollunion, keinen Binnenmarkt und keinen Backstop, sei keine Politik, sondern eine Wunschliste.

Gäbe es Zugeständnisse seitens der Briten, einen mehrheitsfähigen Vorschlag, dann – und nur dann – müsste sich die EU bewegen. Ein No-Deal-Brexit hätte zwar ebenfalls zur Konsequenz, dass Irland Grenzen errichten müsste. Aber Brüssel kann nicht aus Angst vor einem ungeregelten Austritt Großbritanniens in vorauseilendem Gehorsam einwilligen, die berechtigten Sorgen Irlands und seiner Wählerschaft in den Wind zu schlagen.

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Eva Oer
Redakteurin
*1985, seit November 2017 Redakteurin für europäische und globale Politik im taz-Auslandsressort. Hat seit 2014 immer mal wieder für die taz gearbeitet, meistens für das Ressort Wirtschaft und Umwelt, und schreibt gern über die EU und über Entwicklungspolitik.
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12 Kommentare

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  • Leider scheint auch in diesem Artikel die Tatsache, dass der Backstop ja ein Vorschlag der britischen Seite war, völlig vergessen zu werden.



    Es gibt mit der EU nichts zu verhandeln, entweder die Briten halten ihre Zusagen bezüglich "take control" und "our borders" und brechen das Friedensabkommen



    oder sie lassen die einzige grüne Grenze die sie haben weiter unkontrolliert und brechen damit ihre Zusagen gegenüber "vote leave".



    Diese "Verhandlungen" dienen doch nur dazu die Schuld an dieser Doppelzüngigkeit irgendwie auf Brüssel abzuschieben.



    Die EU sollte grosszügige Fonds einrichten die unbürokratisch den Opfern dieses Wahnsinns dieseits und jenseits des Kanals unter die Arme greifen. aber die Regierung May den Karren gegen die Wand fahren lassen.

  • Die Großmachtdenker von der Insel seien nur daran erinnert, dass ein Aufknüpfen des Brexitvertrages mit EU auch so heiße Eisen wie Gibraltar auf die Tagesordnung bringen könnte.

    Mit welchem Recht besitzt Großbritannien immer noch eine Kolonie auf spanischem Boden?

    Spanien ist damit eine sichere Bank für ein deutliches Nein zu Extrawürsten für die Briten.

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

  • In Gemeinschaften aller Art, von Kommunen und Projekten bis zu Klöstern und Ashrams, gibt es immer wieder wunderliche Charaktere, die sich scheu zurückziehen, gerne vor sich hinwursteln, aber eigentlich harmlos sind. Manchmal reparieren sie das Fahrrad, ersetzen fehlende Dachziegel oder brauen ihr eigenes warmes Bier, aber reden tun sie nicht viel.



    Darauf wirds jetzt wohl bei England hinauslaufen.

  • "Politik ist kein Wunschkonzert."

    Nein, Politik ist die Kunst der Kompromisse und dazu scheint die EZ nicht willig/fähig, damit hier ein Exempel statuiert wird.

  • Entschuldigung, aber wer oder was sind den BritInnen? Wenn schon, dann sind mit dieser Bezeichnung in dem Artikel doch wohl ganz konkret Menschen jeden Geschlechts in Parlament und Regierung Großbritaniens gemeint, oder nicht? Dann kann man das doch auch jeweils so schreiben, und muss nicht auf derartige Gebilde zurückgreifen. Zumal dadurch nicht mehr, sondern weniger Information vermittelt wird.

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @Hannes Hegel:

      Das ist doch die allgemein vereinbarte Schreibweise, wenn man BloggerInnen, LeserInnen, WeintrinkerInnen, SUV-FahrerInnen beiderlei (oder dreierlei) Geschlechts beschreiben will.



      Oder wollen Sie lieber die im Bundestag so verbreitete und zeitraubende Formulierung haben: 'Sehr verehrte Kollegen und Kollegen ...' Beim zweiten Wort 'Kollegen' ist immer 'KollegInnen' gemeint, wird aber einfach verschluckt.

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Ich würde ganz diplomatisch vorschlagen: Die EU nimmt, sagen wir mal, 18-24 Rosinen aus britischer Fertigung und legt sie auf ein Küchenbrett. Gut sichtbar und gleichmäßig verteilt.Und dann kann die britische Regierung sich die richtigen Rosinen rausnehmen und dann kann man den Briten einen geeigneten Wunschvertrag anbieten. (Natürlich: Ausländer, Flüchtlinge oder Geld an Brüssel ist ausgeschlossen).



    Dieses bißchen Entgegenkommen der EU (Preis ca 3 € einschließlich wiederverwendbares Küchenbrett) an das geschundene britische Volk wäre doch mal ein echtes Friedensangebot.

  • Guten Tag Frau Oer,



    Ihren Kommentar zum Brexit und zur EU habe ich mit viel Sympathie und Zustimmung gelesen. Im Gegensatz zu dem May-Fan und Brexitier Dominick Johnson - und leider Leiter der Auslandsredaktion - der meint, der Ball läge nun im Feld der EU, werden hier die Fakten klar und deutlich benannt. Ich bin froh, dass der vielschreibende Dominick Johnson, dessen Kommentare ein nochmal nachschauen lassen, ob man auch wirklich die TAZ und nicht ein rechtskonservatives Kampfblatt in der Hand hat, nicht allein steht. Ich hoffe, dass die TAZ sich sehr bald von diesem kalten Krieger, May- und Brexitfans zumindest in der Leitung der Auslandsredaktion trennt. Er hat Artikel über Afrika mit großem Sachverstand geschrieben, aber seine leitende Stelle in der Auslandsredaktion und die Kommentare und Berichterstattung zu England passen garnicht zur TAZ (oder inzwischen leider doch?). Vielen Dank für die klärenden Worte.

    • @PeterHH:

      Interessant der Einblick in Ihr Verständnis von Meinungsfreiheit.



      Was dem deutschen Michel nicht passt muss weg?

    • @PeterHH:

      Sehe ich auch so. Gut dass Johnsons Kommentar nicht die einzige Stimme aus der taz zum Stand des Brexit ist. Eva Oer hat vollkommen recht mit ihrem Kommentar. Könnte von mir sein. :)

  • 9G
    95823 (Profil gelöscht)

    Vielleicht sollte sich Nordirland und meinetwegen auch Schottland so langsam mal Gedanken machen ob sie nicht lieber aus dem "vereinigten" Königreich austreten, statt aus der EU. Beide waren gegen einen Brexit, aber jetzt müssen sie die Faxen aus London notgedrungen mitmachen, ob sie wollen oder nicht.



    So könnten die Iren ihre offene Grenze behalten und die Schotten waren nie wirklich glücklich mit der Zwangsvereinigung, die Briten können aus der EU austreten und machen was immer sie vorhaben, die anderen bleiben drin, haben ihre Unabhängigkeit vom Kingdom, alle bekommen was sie wollen.