Kommentar Diesel-Konzept der GroKo: Die Angst, Politik zu machen
Die Regierung ist hilflos gegenüber Autolobby und Autofahrern und hofft, dass ihr Diesel-Konzept aufgeht. Dabei könnte sie auch anders.
Nur mit Euch“ steht auf den Fahnen, die zum Nationalfeiertag draußen vor dem Kanzleramt wehen. Drinnen hat die Koalition versucht, mit einem Konzept ihre Angst in den Griff zu bekommen: Vor der Gesundheitsgefahr für die Menschen, die in den Städten atmen wollen; vor dem Unwillen der Diesel-Fahrer wegen drohender Fahrverbote. Vor dem Niedergang der deutschen Autoindustrie. Und vor allem: Ihre Angst, Politik machen zu müssen. Verkehrspolitik.
Denn „nur mit Euch“ steht unbemerkt auch auf diesem „Konzept für saubere Luft und Sicherung der individuellen Mobilität“. Es beruht praktisch vollständig auf Freiwilligkeit. Wenn nicht die meisten Autofahrer einige tausend Euro in die Hand nehmen für ein neues Auto, wird es nichts bringen. Wenn nicht die Hersteller einige Milliarden Euro zahlen, wird das Konzept ebenfalls nicht aufgehen. Wenn nicht die Gerichte der Argumentation der Regierung folgen, hagelt es Fahrverbote in den großen Städten.
Verkehrsminister Andreas Scheuer hat recht: Wir leben nicht in einer Planwirtschaft, die Regierung kann weder die Industrie noch die Kunden zwingen, Autos nachzurüsten, beziehungsweise zu tauschen. Aber ihr fällt nun auf die Füße, dass sie seit Jahren die Straßenverkehrspolitik den Autokonzernen überlassen hat. Alle wussten, dass deutsche Autos zu viel Stickoxide und Kohlendioxid ausstoßen. Alle wussten, dass die Hersteller legal und illegal tricksten.
Keine Regierung hat die Autoindustrie daran erinnert, dass Normen so einzuhalten sind, wie sie gedacht waren. Ohne Not hat die Regierung Merkel ihre Druckmittel wie Bußgeld, Rücknahme der Typenzulassungen oder Gerichtsverfahren aus der Hand gelegt – ganz anders als etwa die US-Behörden, die mit den Autobauern kräftig Schlitten fahren.
Da ist das Konzept der Regierung nur konsequent: Bangen und hoffen, dass alles gut wird. Sie könnte anders handeln und Druck ausüben. Einerseits verbal, aber auch hinter den Kulissen. Sie könnte klar machen, dass etwa beim Zukunftsmarkt Digitalisierung die Konzerne den Staat brauchen, dass die Milliarden im Bundesverkehrswegeplan auch in die Bahn oder das Fahrrad fließen könnten. Sie könnte darauf drängen, dass sich die Konzerne viel stärker als Mobilitätsdienstleister sehen und nicht nur als Blechverkäufer.
Aber dafür müsste die Angst der Regierung vor der Autolobby schrumpfen. Und ihre Angst vor einer unzufriedenen Bevölkerung noch wachsen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken