Kommentar CDU und AsylbewerberInnen: Bemerkenswert gestrig
Behörden schieben AsylbewerberInnen ab, die die Zukunft des Landes sein könnten. Das sagt viel aus über das konservative Deutschlandbild.
![Zwei junge Männer in Arbeitsoveralls erfassen im Vertriebszentrum Brandenburg der Volkswagen OTLG eingehende Ware. Zwei junge Männer in Arbeitsoveralls erfassen im Vertriebszentrum Brandenburg der Volkswagen OTLG eingehende Ware.](https://taz.de/picture/2900743/14/21195981.jpeg)
S chleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther ist aufgefallen, dass es schlau sein könnte, gut integrierten, aber abgelehnten AsylbewerberInnen eine Zukunft in Deutschland zu ermöglichen. Man möchte dem CDU-Mann zurufen: Herzlichen Glückwunsch, willkommen in der Realität.
Eine solche Reform, auch „Spurwechsel“ genannt, ist überfällig. Dass Merkels CDU sie bis heute blockiert, zeigt, wie bemerkenswert gestrig die Regierungspartei ticken kann. Immer wieder schieben Behörden AsylbewerberInnen ab, die die Zukunft des Landes sein könnten: Sie sprechen gut Deutsch, haben einen Job, engagieren sich im Fußballverein. Aber, und das ist ihr Pech, sie haben kein Recht auf Asyl.
Diese Abschiebungen, die oft erst nach Jahren erfolgreicher Integration verkündet werden, sorgen regelmäßig für Empörung. ArbeitskollegInnen solidarisieren sich, ChefInnen loben ihre MitarbeiterInnen, NachbarInnen schreiben wütende Briefe an die Lokalzeitung. Der humanitäre und ökonomische Schaden ist enorm.
Der Vorschlag aus den Reihen der CDU, Asylbewerbern einen "Spurwechsel" in ein Zuwanderungsverfahren zu ermöglichen, findet bei Gewerkschaften, Flüchtlingshelfern und Politikern Zustimmung, Widerstand hingegen kommt von der CSU. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Holger Stahlknecht (CDU), sagte, der "Spurwechsel" könne helfen, den Fachkräftemangel zu beheben. Er kündigte an, das Thema auf die Tagesordnung der nächsten Innenministerkonferenz im Herbst zu setzen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte hingegen, abgelehnten Asylbewerbern den Zugang zu erleichtern, könne Deutschland attraktiver für illegale Zuwanderung machen. Sonderregelungen könne er sich nur für dringend benötigte Pflegekräfte vorstellen.
Der Missstand ließe sich leicht beheben. Es bräuchte eine Regelung, die es AsylbewerberInnen erlaubt, aus dem Asylrecht in ein Zuwanderungsrecht zu wechseln – eben einen Spurwechsel. Nicht mehr die Schutzbedürftigkeit wäre dann entscheidend, sondern der Nutzen für den Arbeitsmarkt.
Die SPD wäre dabei, FDP, Grüne und Linke auch. Ein solches Gesetz wäre in mehrfacher Hinsicht ein Fortschritt. Es würde Menschen belohnen, die sich anstrengen. Es wäre eine Maßnahme, um den demografischen Wandel abzufedern. Auch die Wirtschaft wäre glücklich. Schließlich klagen Firmen seit Jahren, dass es ihnen an Auszubildenden fehlt.
Leider ist es unwahrscheinlich, dass Günther sich in der Union durchsetzen wird. Die Konservativen haben sich zu lange an die Illusion geklammert, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, als dass sie zu beherztem Pragmatismus fähig wären. Und das ist wirklich eine traurige Nachricht.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben