Kommentar Bundespräsidenten-Kandidat: Einer für alle? Das ist eine Illusion
Steinmeier als Bundespräsident? Ein unsinniger Vorschlag. Nur: Einen Konsenskandidaten wie Gauck hat man nicht alle fünf Jahre zur Hand.
G ewissermaßen ist Frank-Walter Steinmeier der Idealtypus des Anti-Gaucks: Am Sonntagmittag wirft der SPD-Chef Sigmar Gabriel seinen Außenminister als potenziellen Präsidentschaftskandidaten auf den Markt, am Sonntagabend ist dieser bereits durchgefallen.
Den Grünen kommt der Vorschlag zu plötzlich, der Union ist der Kandidat zu sozialdemokratisch, der Linkspartei zu neoliberal. Stand jetzt könnte die SPD für einen Kandidaten Steinmeier höchstens auf die Unterstützung der FDP zählen, was zusammen 421 Stimmen in der Bundesversammlung machen würde – 570 weniger, als Joachim Gauck erhielt, als er vor fünf Jahren als ganz großer Konsenskandidat von Union, SPD, Grünen und FDP angetreten war.
Das Modell Gauck lässt sich nun mal nicht beliebig wiederholen, auch wenn ein neuer Konsens natürlich hervorragend ins harmonieorientierte Zeitalter der Großen Koalition passen würde. In einem Koalitionsvertrag lassen sich Differenzen zwischen den politischen Lagern vielleicht noch einigermaßen austarieren (die einen bekommen den Mindestlohn, die anderen dafür die Pkw-Maut). Die eine Person aber, die zumindest die Illusion erweckt, sämtliche Interessen der Bundesversammlung zu vereinen, findet sich einfach nicht alle fünf Jahre.
Es ist doch so: Den Kandidaten mit Migrationshintergrund, aber bloß kein Muslim, zumindest kein praktizierender, lieber noch einer aus einem christlich geprägten Kulturkreis, am besten also einen glücklich verpartnerten Pfaffen aus dem Schwarzwald mit konservativem Wertesystem und Solarzellen auf dem Dach – den gibt es nicht. Schon die Vorstellung, dass Joachim Gauck die Interessen von Grünen-, SPD-, CDU-, CSU- und FDP-Wählern gleichermaßen abbildet, war im Grunde genommen nicht mehr als Selbstbetrug.
Wer sich dennoch wünscht, dass im Schloss Bellevue die unterschiedlichen Positionen des Parteiensystems möglichst breit gespiegelt werden, kommt an einer Verfassungsänderung nicht vorbei: Höchstens eine Doppelspitze für die Bundesrepublik würde annähernd für Parität sorgen. Ein Mann, eine Frau, für jedes Lager ein Vertreter. Wolfgang Schäuble und Claudia Roth zum Beispiel, die sich in den kommenden fünf Jahren mit der Weihnachtsansprache abwechseln.
Taugt auch nichts? Schon aus praktischen Gründen? Dann müssen wir uns von der Vorstellung eines vermeintlich neutralen Staatsoberhaupts in einer heterogenen Gesellschaft vielleicht verabschieden.
Natürlich, das Amt des Bundespräsidenten ist aus guten Gründen überparteilich angelegt. Ein Bundespräsident lässt seine Parteimitgliedschaft ruhen und mischt in den Niederungen der Tagespolitik nicht mit. Überparteilichkeit bedeutet aber nicht, auf eigene Positionen zu verzichten. Umso weniger, als in den kommenden Jahren ein Präsident gefragt ist, der gegen antidemokratische Tendenzen Stellung bezieht – der also geradezu gezwungen sein wird, sich in aktuellen Debatten zu positionieren.
Der nächste Präsident, die nächste Präsidentin darf ruhig anecken. Ein Konsens, der bloß niemanden stört, ist überhaupt nicht nötig. Dass nun eine Regierungspartei vorprescht und ohne Absprache einen eigenen Kandidaten präsentiert, dass sie damit in letzter Konsequenz eine Kampfabstimmung zwischen den einzelnen Parteien mit jeweils eigenen Kandidaten provozieren könnte, ist nur folgerichtig. Und wenn am Ende ein Bundespräsident Wolfgang Schäuble (ohne Kopräsidentin Claudia Roth) steht? Dann lernen wir eben wieder, Differenzen zu ertragen. Kann in einer Demokratie auch nicht schaden.
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