Kommentar Brief an die Deutschtürken: In guten wie in schlechten Zeiten
Außenminister Sigmar Gabriel wendet sich an die türkischstämmigen Deutschen. Das zeugt nicht von staatsbürgerlicher Gleichheit.
![Zwei Männer lachen gemeinsam Zwei Männer lachen gemeinsam](https://taz.de/picture/2153344/14/18549176.jpeg)
V ia Bild-Zeitung richtete sich Außenminister Sigmar Gabriel mit einem Brief an die Deutschtürken, um ihnen mitzuteilen, sie gehörten auch in schwierigen Zeiten „zu uns“. Dieser Brief ist eine schlechte Botschaft, da er vor allem sagt: Auch im Jahr 2017 betrachtet die Bundesregierung die Bürger mit türkischem Hintergrund als äußere Angelegenheit.
Diesen Brief hätte es nicht geben dürfen. Denn das republikanische Selbstverständnis verlangt, dass Staatsbürger unabhängig von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit als Gleiche unter Gleichen behandelt werden. Das sollte man nicht extra betonen müssen.
Muss man aber, denn mit dem Bewusstsein staatsbürgerlicher Gleichheit ist es in Deutschland nicht weit her. Auch 17 Jahre nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ist die Auffassung weit verbreitet, es gäbe Deutsche erster und zweiter Klasse. Deutschtürken gehören für viele nicht zum republikanischen Wir.
Angesichts der angespannten Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland hätte es eines anderen Briefes bedurft. Eine hochrangige Repräsentantin der Bundesregierung hätte die Mehrheitsgesellschaft daran erinnern können: Die Bürgerinnen und Bürger mit einem biografischen Bezug zur Türkei gehören auch in schwierigen Zeiten zu Deutschland. Um sie dann aufzufordern, die polarisierenden Debatten zu beenden, die die Gesellschaft in ein Wir und Ihr teilen.
Das hätte ein wichtiges Signal an die Deutschtürken sein können. Viele von ihnen sind dieser Tage beunruhigt. Sie wissen, dass sie in den zurückliegenden vierzig Jahren häufig die Zeche zu zahlen hatten, wenn es zu Verwerfungen im deutsch-türkischen Verhältnis gekommen war. Manches Mal mussten sie auch bluten und sterben, weil die Mehrheitsgesellschaft und ihre missratenen rechtsradikalen Kinder einfach schlechte Laune hatten und Sündenböcke brauchten.
Dass sich Interessenvertretungen wie die Türkische Gemeinde in Deutschland beim Außenminister artig für den Brief bedankten, kann nun zweierlei bedeuten: Entweder man ist in seinen Ansprüchen sehr bescheiden geworden. Oder aber die Türkische Gemeinde und ihre Mitglieder teilen die Sicht, dass man nicht zum republikanischen Wir Deutschlands gehört. Das wiederum wäre sehr, sehr schade.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!