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Kommentar Ausnahmen vom MindestlohnKein Ausdruck von Gerechtigkeit

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die Versuche, das Mindestlohngesetz aufzuweichen, sind Ausdruck von purem Lobbyismus. Und sie zeigen, wie breit der Billiglohnsektor geworden ist.

MinijobberInnen stehen mit der allgemeinen Lohnuntergrenze vergleichsweise gut da. Bild: imago/Sven Simon

E s wird ein historischer Akt sein, wenn am Donnerstag eine gesetzliche Lohnuntergrenze verabschiedet wird von 8,50 Euro brutto in der Stunde. Jetzt, im Vorfeld der Abstimmung, in den Versuchen der Lobbyisten, noch diese und jene Ausnahme in das Gesetz hineinzuschmuggeln, zeigt sich, welche Panik herrscht. Die Debatte enthüllt schlaglichtartig, wie breit der Billiglohnsektor in einem der reichsten Länder der Erde geworden ist, mit ApfelpflückerInnen, Aushilfskellnern, FilmpraktikantInnen, ZeitungsausträgerInnen und Hühnchenentbeinern.

Die Ausnahmen, die jetzt verhandelt werden, sind dabei Ausdruck von purem Lobbyismus und nicht etwa von Gerechtigkeit. So sollen Zeitungsvertriebe den Mindestlohn von 8,50 Euro für ihre ZustellerInnen erst mit zeitlicher Verzögerung zahlen müssen, da werden sich die Arbeitgeber im Gastgewerbe fragen, warum sie das nicht auch dürfen nach der verfassungsrechtlich garantierten Gleichbehandlung.

Die Lohnuntergrenze wird zudem Nebenwirkungen haben. So vermindert ein Mindestlohn die Entgeltunterschiede im Betrieb, wenn etwa der Spüler in der Küche dann genauso viel bekommt wie die qualifizierte Servicekraft im Restaurant. MinijobberInnen stehen mit der allgemeinen Lohnuntergrenze vergleichsweise gut da, denn ihr Brutto von 8,50 Euro bringt ihnen die gleiche Summe im Netto – sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hingegen müssen hohe Abgaben zahlen. Manche Effekte sind nicht wünschenswert, aber man wird sie hinnehmen müssen.

Jede vierte erwerbstätige Frau wird vom Mindestlohn profitieren, erklärt der Deutsche Frauenrat mit Verweis auf entsprechende Rechnungen. Der Mindestlohn in Deutschland hat eine Tragweite, die er bei der Einführung in Großbritannien vor vielen Jahren nicht hatte. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Doch die Wirtschaftslage ist gut. Ein besserer Zeitpunkt für die Einführung einer Lohnuntergrenze wäre nicht gekommen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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7 Kommentare

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  • Ein Mindestlohn mit Ausnahmen, ist das Papier nicht wert auf dem er steht.

  • Der Mindestlohn wird nicht nur durch Lobbyismus, sondern auch durch Stückzahlen, Scheinselbständigkeit und andere Abrechnungsmodi umgangen werden. Es gibt heute in Hamburg Gaststätten, die keinen Lohn zahlen, die Kellner arbeiten fürs Trinkgeld und das ist oft sogar drastisch besser als, wenn der Wirt ihnen 8,50 EURO geben würde. Grundsätzlich gibt's in Deutschland zu viele Kostenniveaus: Was in Erfurt vielleicht noch geht, passt in Düsseldorf oder München eben nicht. Der Mindestlohn kommt eben mit dicken Problemen daher und er verleitet, jede Arbeit mit diesen 8,50 EURO zu vergüten, weil es geht, weil es offiziell gerecht ist, so viel zu zahlen.

     

    Dass dann zig Ausnahmen diesen Mindestlohn gleich so zerschreddern, dass nach ver.di-Berechnungen 3 Mio. Leute davon ausgeschloßen werden, ist dann schon fast Ironie, diesen Mindestlohn überhaupt einzubringen. Andererseits wird die Debatte über Gerechtigkeit und Lohnentgelte auf Jahre durch dieses Gesetz zerdeppert werden - die Gewerkschaften haben es gänzlich verschlafen für den Mittwoch und Donnerstag überhaupt Druck aufzubauen.

     

    Der neue DGB-Chef bekommt gleich die kalte Agenda-Dusche aus der Politik ab. Sollte das so kommen, wird's bunt weitergehen und positive Effekte werden extrem bescheiden ausfallen.

  • Von einem Mindestlohn kann man überhaupt erst dann reden, wenn wirklich ausnahmslos Jeder für eine Arbeitsstunde mindestens den Betrag X zu bekommen hat.

    Dieses "Mindestlohngesetz" ist eine einzige Mogelpackung, die nichts anderes zum Ziel hat, als einen Mindestlohn zu verhindern und weitere soziale Spaltung zu befördern. Das kommt dabei raus, wenn man Leute Gesetze machen lässt, die von Lohnarbeit so entfernt sind, wie Ruderer von der Luftfahrt.

  • Nun ist es also geschafft. Es bekommen die Mindestlohn die schon seit Jahren mehr verdienen als dieser garantiert. Für all die anderen bleibt es wie es ist. Sklavendasein bei unterirdischer Bezahlung.

     

    Danke liebe Kümmerer in Politik und Wirtschaft.

  • Leute, was soll denn bitte

     

    "Doch die Wirtschaftslage ist gut. Ein besserer Zeitpunkt für die Einführung einer Lohnuntergrenze wäre nicht gekommen."?

     

    Höherer Mindestlohn heisst höhere Kaufkraft, höhere Kaufkraft heisst mehr Konsum; mehr Konsum heisst Wirtschaftswachstum heisst Investitionen heisst Arbeitsplätze heisst mehr Konsum etc.

     

    Wissen wir (spätestens) seit den 1930ern und sehen wir gerade in der negativen Variante (was passiert, wenn man die Kaufkraft durch Entlassungen und Lohnsenkungen zerschiesst) in der sogenannten Europeripherie.

     

    Doch statt "Mindestlohn ist gut für die Wirtschaftslage" produziert selbst die TAZ nur "Mindestlohn kann die Wirtschaftslage verkraften".

     

    Wenn man die Argumente des politischen/sozialen Gegners reproduziert, kann auch direkt einpacken!

  • Mehr Geld = steigende Preise -, steigende Preise - , man braucht mehr Geld ! Dieses System ist totaler Schwachsinn ." Der freie Markt wird alles ( zugrunde ) richten" ! Wer hier das Geld macht , sind die Ausbeuter , Spekulanten und anderes Gewürm . Man fragt sich warum braucht es Politiker , wenn der Markt doch der Herrscher ist . Wenn sich Arbeit nicht mehr lohnt , dann hat der Kapitalismus versagt . Dieser Kapitalismus hält sich nur am Leben , durch Korruption und Übervorteilung der "Nummern" , die für ihn arbeiten .

    • @Frost:

      Mehr Geld=steigende Preise gilt nur dann, wenn das Angebot zu niedrig ist. Bis das System an die physikalischen Grenzen stösst (z.B. bei einer Arbeitslosenquote nahe 0%), ist das allerdings kein Problem.