Gerechte Löhne, unbefristete Verträge: Schreck der Wirtschaftsbosse
Sina Trinkwalder belegt mit ihrer Firma Manomama, dass Stundenlöhne für Näherinnen von mindestens 10 Euro wirtschaftlich tragbar sind.
AUGSBURG taz | Die Textilfabrik Manomama liegt mitten in Augsburg. In der lila gestrichenen, hellen Halle arbeiten 140 Menschen – vorwiegend ältere Frauen, alleinerziehende Mütter und Menschen mit einem Handicap. Alle hier Angestellte verdienen mindestens 10 Euro die Stunde.
Während die großen Marken ihre Stoffe dort bestellen, wo sie weltweit gerade am billigsten sind, lässt sich Manomama von einer Weberei in Osnabrück und einer Färberei auf der schwäbischen Alb beliefern. Der Laden läuft, die Belegschaft wächst. „Das geht alles, wenn man keine riesigen Margen verdienen will“, meint Sina Trinkwalder.
Inzwischen ist die 36-Jährige mit den schwarzen langen Haaren, der dunklen Brille und dem großen Mundwerk zum Schreck vieler Wirtschaftsbosse geworden, die sich in Talkshows mit ihr konfrontiert sehen. Sina Trinkwalder ist spontan und direkt, schaut ihrem Gegenüber in die Augen, lacht viel und widerlegt mit ihrer Firma die Glaubenssätze der Ökonomen.
Angefangen hat alles nach der Geburt ihres Sohnes. Bis dahin hatte Sina Trinkwalder zusammen mit ihrem Mann sehr erfolgreich eine Werbeagentur betrieben und war auch als Unternehmensberaterin gefragt. „Ein großes Auto, mit 25 schon fünf Rolex-Uhren und jeden Abend essen gehen“, beschreibt sie ihren Lebensstil.
Doch plötzlich erschien ihr die Aussicht, immer mehr Geld zu verdienen, öde. Und so kam sie eines Abends nach Hause und war sich plötzlich absolut sicher: Sie wollte ein Unternehmen aufbauen, das Menschen würdig ernährt und das einen Sinn ergibt.
Gegründet wurde das Augsburger Textilunternehmen Manomama 2010 von der Unternehmensberaterin Sina Trinkwalder.
Rund 140 Mitarbeiterinnen hat das Unternehmen derzeit.
Es werden nur Verträge über unbefristete Arbeitsverhältnisse abgeschlossen.
Die Stundenlöhne betragen mindestens 10 Euro.
Es wird Wert auf sozialverträgliche Arbeitszeiten gelegt, die mit einem Familienleben vereinbar sind.
Die höheren Produktionskosten werden an die Kunden weitergegeben und von diesen auch akzeptiert.
Warum nicht an die alte Textiltradition ihrer Stadt anknüpfen? 20.000 Menschen hatten in der Branche in Augsburg gearbeitet, bis in den 1970er Jahren der Niedergang begann, weil deutsche Näherinnen auf dem Weltmarkt als viel zu teuer galten. In den 1990er Jahren waren dann fast alle Bekleidungsfabriken nach Asien verschwunden.
Solche Frauen, deren Können und Erfahrung die Globalisierung entwertet hatte, müsste es in Augsburg noch zuhauf geben, überlegte Sina Trinkwalder, und so stand für sie fest, dass das ihr künftiges Einsatzfeld sein würde. Ihren Mann zu überzeugen war nicht schwer – im Gegenteil war er sofort bereit, das gemeinsam Ersparte in den Neuanfang zu stecken.
„Ich hatte von Mode überhaupt keine Ahnung“, sagt die Frau mit dem bayerischen Akzent. „Aber Pippi Langstrumpf hat gesagt: Ich kann alles. Und ich ergänze: Was ich nicht kann, kann ich lernen.“
Die Anfängerin an der Nähmaschine
Bei einem Fachhändler orderte sie die beste Nähmaschine, die es auf dem Markt gibt, und steppte zunächst ein paar krüppelige Stofftiere zusammen. Doch der Rückwärtsgang schien nicht zu funktionieren, und so forderte sie den Verkäufer auf, die defekte Maschine auszutauschen. Der kam vorbei und stellte voller Verwunderung fest, dass die Kundin absolute Anfängerin war.
Noch viel erstaunter war er, als er von ihren Plänen erfuhr, in Kürze eine Näherei mit mehreren Angestellten zu eröffnen. „Du spinnst, Mädle“, war sein Kommentar – und dann reagierte er, wie viele Menschen auf die energiegeladene junge Frau reagieren, die mit Witz, derbem Charme und Idealismus die Gabe hat, andere Menschen zu überzeugen und mitzureißen: Seit jener Begegnung unterstützt er sie nach Kräften.
Sina Trinkwalder lernte in ein paar Wochen leidlich nähen, bald wusste sie auch über Maschinen und Stoffqualitäten Bescheid. „Ich hör gerne zu und lass mir brutal viel sagen. Je mehr Input ich von irgendwoher kriegen kann, desto besser.“
2010 eröffnete sie eine kleine Manufaktur, die im Internet T-Shirts und Kleider anbot.
Qualität von Anfang an
Bioqualität war dabei von Anfang an selbstverständlich, alles andere hätte ihrem Unternehmensziel widersprochen, gute und gesunde Jobs zu schaffen – im eigenen Haus und bei den Lieferanten.
Auf einer Veranstaltung lernte sie Erich Harsch kennen, den Chef der Drogeriemarktkette dm. Der machte den Vorschlag, eine dauerhafte Massenfertigung für bunte Einkaufstaschen aufzubauen. Sina Trinkwalder überschlug den Personalbedarf und war begeistert: Etwa 40 Frauen würde das eine Brücke bis zur Rente bauen.
Zwar fehlten ihr noch eine Fabrikhalle, Maschinen für einige Hunderttausend Euro und das passende Personal. Doch bis zum Liefertermin der ersten eine Million Beutel ein knappes halbes Jahr später würde sie das schon irgendwie alles hinkriegen. Sie sagte zu – und hielt Wort, obwohl ihr weder Banken einen Kredit gaben noch die Stadt in irgendeiner Weise half.
Heute ist sie froh darüber: „Ich bin völlig unabhängig und kann jedem Banker sagen, er soll sich verpissen.“
Breite Unterstützung
Unterstützung bekam sie dagegen von Freunden und Fremden, die sie als Fans gewinnen konnte. So erließ ihr ein Lieferant einen Teil des Kaufpreises für eine Maschine, nachdem er verstanden hatte, dass davon das gesamte Projekt abhing. „Sie ist wie der FC Bayern München: Entweder die Leute lieben oder hassen sie“, beschreibt ihr Mann das Phänomen.
Dass es funktioniert – was alle Ökonomen für unmöglich erklärt hatten –, hat mehrere Gründe. Zum einen macht Sina Trinkwalder ihre Preiskalkulation völlig transparent – und dabei wird klar, dass sie selbst wenig verdient und auch für Reklame kein Geld draufgeht. Zugleich dreht sie das ansonsten in der Branche herrschende Verhältnis von Lieferanten und Abnehmern um.
Sie addiert die Kosten für Material und Arbeitsaufwand und macht ihren Kunden unmissverständlich klar, dass sie weder die Stoffhersteller runterhandeln noch ihre Arbeiterinnen antreiben oder im Lohn drücken werde. Und siehe da – es geht: Inzwischen gehören auch Edeka und Real zu Manomamas Abnehmern. „Wunder muss man selber machen“ ist der Titel des sehr unterhaltsamen Buches, das Sina Trinkwalder geschrieben hat.
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