Kommentar Antisemitismus-Doku bei Bild: In jeder Hinsicht blamiert
Arte weigerte sich, eine Antisemitismus-Dokumentation auszustrahlen. „Bild“ springt ein und streamt den Film – ein Debakel für Arte und den WDR.
D ie Bild-Zeitung gehört zu den wirkmächtigsten Gegnern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Schon seit den 1960er Jahren greift das Blatt vor allem die ARD massiv an. Dass der Online-Ableger der Bild-Zeitung am Dienstag nun die Möglichkeit nutzte, sich als Akteur der Aufklärung im klassisch öffentlich-rechtlichen Sinne zu profilieren, indem man dort den Dokumentarfilm „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ (Youtube-Link) streamt –, das gehört fraglos zu den Treppenwitzen der jüngeren deutschen Mediengeschichte.
Möglich gemacht haben diesen Treppenwitz ein paar tollpatschige Manager von Arte und WDR. Sie haben es bisher aus fadenscheinigen Gründen abgelehnt, den 90-minütigen Dokumentarfilm auszustrahlen – und damit eine öffentliche Debatte heraufbeschworen, in der der Springer Verlag nun die Initiative ergriffen hat. Das Vorgehen der Strategen vom Boulevard ist rechtlich natürlich unzulässig, aber Arte hat schon verlauten lassen, man habe prinzipiell „keinen Einwand“ gegen diese Art der Zugänglichmachung.
Dank #Arteleaks kann nun jeder sehen, dass „Auserwählt und ausgegrenzt“ ein vielschichtiger Film ist, reich an Exkursen in die Geschichte des Nahen Ostens und reich an Perspektiven auf den modernen europäischen Antisemitismus, der bis in das protestantische Milieu reicht – und in die Mitte der Medien. Es ist ein dezidiert projüdischer Film, geprägt unter anderem von der Empathie für französische Antisemitismusopfer.
„Die Unterstellung, der Film passe aus politischen Gründen nicht ins Programm, ist schlichtweg absurd“, teilt Arte nun mit. Aber mal abgesehen von inhaltlichen Argumenten: Wie konnte man in Straßburg und Köln so naiv sein zu glauben, dass sich im Zeitalter der Leaks ein Film unter Verschluss halten lässt? Der Fall ist für Arte und den WDR nicht nur ein moralisches, sondern auch ein strategisches Debakel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“