Kolumne Wir retten die Welt: Steuersünder sollen zahlen, also alle
Wer soll für die Kosten des Dieselskandals aufkommen? Es gilt das Verursacherprinzip, hießt es von allen Seiten. Das klingt gut, ist aber falsch.
U nsere Küche sah aus wie nach einem Tornado. Tomatensauce auf dem Herd, Käsereste in der Spüle, die Kinder hatten Pizza gemacht. Lobenswert, aber mit Kollateralschäden. „Warum ich?“, fragte unser Jüngster, als ich ihm den Lappen in die Hand drückte. „Weil hier das Verursacherprinzip gilt“, war die Antwort.
Stimmt natürlich nicht. Auch in unserer Familie werden die Verursacher von Blut, Schweiß und Tränen nur selten zur Verantwortung gezogen. Da geht es uns wie der Politik. Denn wer soll im Dieselskandal dafür bezahlen, dass die Motoren nicht mehr so viel giftiges Stickoxid ausstoßen? Natürlich die Autoindustrie, weil sie betrogen hat, sagen alle. „Es gilt das Verursacherprinzip!“, donnert es von Grünen, FDP, SPD, Verbraucherschützern und Umweltverbänden. Keinen Cent Steuergeld für die Nachrüstung!
Das klingt gut. Aber es ist falsch. So bitter es sich anfühlt: Die öffentliche Hand sollte sich an der Nachrüstung der Diesel beteiligen – denn sie hat am Skandal kräftig mitgewirkt. Wenn das Verursacherprinzip gilt, muss der Staat blechen. Lug und Betrug der Konzerne hat die Bundesrepublik Deutschland auf allen Ebenen billigend in Kauf genommen.
Wir alle haben mitgemacht
Unsere ganze Autokratie hat mitgemacht: Die Behörden haben weggeschaut, auch wenn es zum Himmel stank; die Kommunen haben ihre dreckige Luft einfach ignoriert; die Ministerien haben alle Betrugsfälle versanden lassen; die Parteien haben genau die Abgeordneten zu Verkehrs„experten“ gemacht, deren Wahlkreise von der Autoindustrie beherrscht werden.
Wir alle haben mitgemacht. Wer ein Kraftfahrzeug mit Verbrennungsmotor lenkt, ist ein Steuer-Sünder, der „betrogene Autofahrer“ ist ein Märchen. Jeder sieht die Abgaswolken hinterm Auspuff, jeder riecht die Luft in den Städten. Jetzt spielen alle die Unschuld: Wenn das der (Fahrzeug-)Führer wüsste!
Also: Natürlich sollen die Autokonzerne bluten. Aber wer die Verursacher zur Kasse bittet, muss auch uns eine Rechnung schicken. Das deutsche Umweltrecht beruht auf Vorsorge, Kooperation zwischen Bürger, Staat und Unternehmen – und der Haftung des Verursachers. Die Vorsorge hat beim Dieselskandal komplett versagt. Die Kooperation dagegen hat so gut geklappt, dass sie zu einer Verschwörung wurde. Deshalb müssen jetzt auch alle dafür haften.
Außerdem gilt übrigens noch das „Gemeinlastprinzip“. Danach trägt die öffentliche Hand die Schäden, wenn die Verursacher es nicht können. Das klingt gemein. Aber so ist das, wenn man sich gemeinschaftlich jahrzehntelang Augen, Ohren und Nasen zuhält und das Gaspedal durchtritt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW