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Kolumne MachtDer Fall Weinstein(s)

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

So lange sexuelle Übergriffe und Gewalt auf Verständnis treffen – es sei denn, sie werden von Migranten verübt –, wird sich gar nichts ändern.

M acht, wie umfassend sie auch zu sein scheint, ist stets bedroht. Das Leben des einst einflussreichsten Filmproduzenten von Hollywood hat sich binnen weniger Tage in ein Trümmerfeld verwandelt. Die von Harvey Weinstein selbst gegründete Produktionsfirma hat ihn gefeuert, seine Ehefrau hat ihn verlassen, seine Anwältin ihr Mandat niedergelegt. Wer ihm noch gestern huldigte, kann sich jetzt nicht schnell genug von ihm distanzieren. Freunde scheint der Mann nicht zu haben.

Die Zahl der Frauen, die ein Verhaltensmuster von Weinstein beschreiben, das in sexuelle Übergriffe, Nötigung und sogar Vergewaltigung mündete, ist hoch. Allzu hoch, als dass der gesunde Menschenverstand noch Zweifel am Prinzip erlaubte, selbst wenn der Beschuldigte nicht – wie geschehen – zumindest eine Teilschuld eingeräumt hätte.

Es ist wahr: Die Unschuldsvermutung hat bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten, selbstverständlich auch für den Hollywood-Mogul. Aber entgegen einer weit verbreiteten Annahme sind es eben nicht nur Gerichte, die über die Plausibilität von Vorwürfen zu entscheiden haben.

Es geht ja gar nicht immer um strafrechtlich relevante Tatbestände. Leider. Theoretisch ist es möglich, dass Harvey Weinstein angeklagt und verurteilt wird, allerdings wird dies beim gegenwärtigen Stand der Dinge von Fachleuten für eher unwahrscheinlich gehalten. Was ein grelles Licht auf die geringe Bedeutung wirft, die in den USA – und bekanntlich nicht nur dort – sexuellen Übergriffen und Gewalt gegen Frauen beigemessen wird.

Wenn Mächtige fallen

Wenn Mächtige fallen, dann ist das fast immer mit der Verheißung auf neue, bessere Zeiten verbunden. Nun ist also zu lesen, Hollywood sei aufgewacht. Die Zeiten, in denen ein Mann wie Harvey Weinstein nichts zu befürchten gehabt habe, seien endgültig vorbei. Man schreibe das Jahr 2017. Letzteres ist unbestreitbar zutreffend, alles andere eher unwahrscheinlich.

taz.am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

„Alle wußten, was Harvey tat, und niemand hat etwas dagegen unternommen“, schreibt die französische Filmschauspielerin Léa Seydoux, die berichtet, dass sie selbst sich mit Gewalt gegen Weinstein habe zur Wehr setzen müssen. Andere Frauen schildern, wie sie sich mit Selbstvorwürfen quälten und sich mitschuldig fühlten. Vielleicht hätten sie sich nicht genug gewehrt, vielleicht habe ihr Peiniger wirklich angenommen, sie seien mit seinem Vorgehen einverstanden gewesen. Eine klassische Reaktion von Opfern sexueller Gewalt. Glaubt irgend jemand wirklich, damit werde es nun ein Ende haben? Träumt weiter.

Offensichtlich hat Harvey Weinstein schon vor den Enthüllungen an Einfluss in der Filmindustrie verloren und Gegner gehabt, die ihrerseits mächtig waren. Er war angezählt. Aber viele derjenigen, die sich jetzt von ihm abwenden, finden es zugleich falsch und ungerecht, dass Star-Regisseur Roman Polanski nicht in die USA einreisen kann, weil ihm dort ein Prozeß wegen der Vergewaltigung Minderjähriger droht. Seltsam widersprüchliche Moral. Und Donald Trump ist zum Präsidenten der USA gewählt worden, obwohl ein Tonbandmitschnitt schon vor der Wahl zeigte, dass er ein ähnliches Verhalten für normal und angemessen hielt wie der Filmproduzent.

Amazon-Studiochef suspendiert

Das zum Onlineriesen Amazon gehörende Filmstudio suspendierte seinen Chef Roy Price. Zuvor hatte die US-Schauspielerin Rose McGowan (44, „Death Proof – Todsicher“) Amazon-Chef Jeff Bezos auf Twitter öffentlich angegriffen: Sie habe Price „wieder und wieder“ gesagt, dass „HW“ sie vergewaltigt habe, ohne dass dieser reagiert habe. Price selbst wird vorgeworfen, eine Mitarbeiterin der Amazon Studios mit sexuellen Bemerkungen bloßgestellt zu haben. (dpa)

Übrigens haben ihm auch und gerade republikanische Frauen das nicht übel genommen. „So sind Männer halt“ – es gibt wohl niemanden, der diesen Satz, begleitet von einem wohlwollend-nachsichtigen Lächeln, noch nie gehört hat. Ja, manche sind offenbar so. Aber sie dürfen nicht so sein.

So lange sexuelle Übergriffe und Gewalt auf augenzwinkerndes Verständnis treffen – es sei denn, sie werden von Migranten verübt -, so lange wird sich gar nichts ändern. Weder in Hollywood noch sonstwo. Aber ein bißchen nachhelfen lässt sich. Gesetzesänderungen, die eine strafrechtliche Verfolgung von Männern wie Harvey Weinstein erzwingen würden, wären ein schöner Anfang.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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12 Kommentare

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  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    "Gesetzesänderungen, die eine strafrechtliche Verfolgung von Männern wie Harvey Weinstein erzwingen würden, wären ein schöner Anfang."

     

    1. Die Gesetze die eine strafrechtilche Verfolung von Tätern (männlich wie weiblich) ermöglichen sind ausreichend vorhanden. Wozu es aber bedarf sind Ankläger. Und in der Gesellschaft ist es immer noch mit Scham und Schuld behaftet Opfer gewesen zu sein. Das gilt übrigens noch mehr für männliche Opfer von sexueller Belästigung als für weibliche Opfer.

     

    2. Auch wenn alle Medien nun so tun als wäre dieser Weinstein scho überführt, auch für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Ob er schuldig ist oder nicht hat ein Gericht zuklären.

  • Sexuelle Übergriffe und Gewalt treffen also auf "augenzwinkerndes Verständnis (...) - es sei denn, sie werden von Migranten verübt".

     

    Das hat zwar mit Weinstein nichts zu tun, ist aber eine interessante Beobachtung!

     

    Könnten Sie zum besseren Verständnis vielleicht ein paar Beispiele für Sexualstraftaten geben, die nur deshalb nicht auf Verständnis gestoßen sind, weil sie von Migranten verübt wurden? Besten Dank im Voraus!

  • Hallo Frau Gaus, der Kommentar war eigentlich ganz ordentlich aber der Satz zu den Migranten war überflüssig.

     

    Zur Erinnerung: Direkt nach dem Jahreswechsel 2015/2016 wurde aus Köln Friede, Freude, Eierkuchen berichtet. Es dauerte etliche Tage bis die betroffenen Frauen das Schweigekartell aufbrechen konnten.

     

    Es würde mich befremden, wenn die Redakteurin einer sich links verstehenden Tageszeitung sexuelle Gewalt durch Migranten zukünftig wieder verschweigen möchte.

  • "So lange sexuelle Übergriffe und Gewalt auf augenzwinkerndes Verständnis treffen – es sei denn, sie werden von Migranten verübt -, so lange wird sich gar nichts ändern."

     

    Sind Sie sicher? Interessanterweise werden Übergriffe von Migranten in den Medien kaum beachtet und auch in der TAZ nur sehr versteckt und verschämt diskutiert.

     

    Es hat nach Polizei-Statistik und anderen Veröffentlichungen eine Zunahme von sexuellen Übergriffen auf Frauen seit 2015 gegeben, die zu 90% auf Migranten zurück zu führen sein soll. Das müsste eigentlich einen Sturm der Entrüstung und der Hashtags der sonst so lauten FeministInnen nach sich ziehen. Tut es aber nicht?!

     

    Insofern ist die Vermutung der Autoren nur zum Teil richtig: Sexueller Missbrauch wird immer nur dann thematisiert, wenn die vermeintlichen Täter auf der anderen Seite stehen. In den eigenen Reihen wird gerne darüber hinweg gesehen. .... und das ist der Skandal!

     

    Wer Beispiele benötigt: Internate und Eliteschulen, kath. Kirche, Pädophile bei den Grünen, Rituale bei der Bundeswehr, Missbrauch in linken Clubs durch Refugiés ...

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Liebe Frau Gaus,

    ich schätze normalerweise Ihre Beiträge sehr, zeugen sie doch von Sachverstand, Information und Klarheit.

    Dieser Satz aber:

    "es sei denn, sie werden von Migranten verübt –, wird sich gar nichts ändern."

     

    ist Ihrer nicht würdig und trifft das Problem nicht.

    Es geht immer nur um Machtausübung. Und je stärker oder mächtiger der Übergreifer ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er damit durchkommt. Das ist unabhängig von der Hautfarbe.

  • Komisch, dass in dem Artikel der Name "Bill Clinton" nicht gefallen ist...

  • Tja, aber auch Bill Cosby war lange Zeit Immun gegen Anschuldigungen für seine sexuellen Angriffe auf Frauen. Die These der Autorin zu Migranten ist schlicht falsch und verkürzt. Das Zauberwort hier ist nicht "Rasse" oder "Herkunft", vermutlich noch nicht mal "Geschlecht" sondern ziemlich singulär "Klasse" - solange du reich und einflussreich bist kannst du deine Macht missbrauchen und es dauert sehr lange bis jemand gegen dich aufsteht und dich anklagt - egal wo du herkommst, welche Farbe deine Haut hat, und was dein Geschlecht ist - das gilt vom Polizisten über Filmproduzenten und Firmenlenkerinnen bis hin zu Präsidenten. Das ist es worum es hier geht, und um nichts anderes.

    Jeder sollte für das verantwortlich gemacht werden was er tut, nicht was er ist - und das bei Migranten zu verschweigen macht keinen Sinn - es nicht zu verschweigen und zu verbergen ist aber nicht automatisch eine Überamplifizierung, sondern erst mal nichts anderes als das Berichten von Tatsachen, auch wenn die nicht ins Weltbild des immer nur guten Migranten der stets nur Opfer und nie Täter sein kann, passen.

    • @hup:

      Ja, jeder sollte für das verantwortlich gemacht werden, was er tut, nicht für das, was er ist. Aber das Verantwortlichmachen sollte, wie man so schön sagt, zeitnah geschehen, nicht erst dann, wenn der Mensch nicht mehr ist, was er mal war. Weil er nämlich nicht vorsichtig genug gewesen ist und sich zu viele zu mächtige Feinde gemacht hat.

       

      Die Schutzwürdigkeit von Frauen entdecken entschieden zu viele Leute erst in dem Moment, in dem es ihre etwas nützt. Und ich möchte auch lieber nicht wissen, wie viele von denen, die dann mit Steinen schmeißen, selber im Glashaus sitzen – wo sie sich leider sehr sicher fühlen dürfen, so lange die Gesellschaft noch nach ihrer Trillerpfeife tanzt.

    • 3G
      39167 (Profil gelöscht)
      @hup:

      Das sehe ich auch so.

    • @hup:

      Dieser entlarvende Reflex, bei Anschuldigungen, etwas sei rassistisch konnotiert, immer sofort in die Bresche zu hüpfen ohne Sinn und Verstand. Bill Cosby gilt wohl als US-amerikanischer Staatsbürger. Die Rechten in den USA sehen zwar auch auf die Black Community herab, ihren Sexismus projezieren sie aber - so wie hier zu Lande - dann doch ganz modern auf Muslime und all diejenigen, die davon so schwer zu unterscheiden sind (also alles im Spektrum zwischen den Polen "ganz asiatisch" und "ganz schwarz"). :)

       

      "Jeder sollte für das verantwortlich gemacht werden was er tut, nicht was er ist - und das bei Migranten zu verschweigen macht keinen Sinn" - aber umgekehrt macht es dann Sinn, bei Straftätern mit Migrationshintergrund denselben explizit zu erwähnen? Weil der ja eben was mit der Tat zu tun hat? Der Zusammenhang scheint sich Ihnen ja aufzudrängen..

      • @Karotte:

        @Karotte: Ich weiss nicht wo Ihre Phantasien und Unterstellungen herkommen, ich bezog mich auf das, was die Autorin ohne irgendeinen Beleg aus dem Hut gezogen hat - den sinnlosen Rückgriff auf Migranten, die mit Weinstein nun gar nichts zu tun haben, hat sie gemacht und damit das Fass geöffnet - ich habe nur gegen DIESEN Reflex gehalten in der Bubble immer sofort Migranten als Opfer hinzustellen - selbst wenn der Artikel gar keinen Bezug dazu hergibt. Von Foristen, deren Hauptanliegen es ist andere ständig als Rassisten "entlarven" zu wollen muss man da gar nicht erst anfangen, Sherlock. Da feiern Freud'sche Selbstbezüge fröhliche Urstände.

  • Es ist zwar auf English aber ich kann die Reaktion von Samantha Bee sehr empfehlen.

    https://m.youtube.com/watch?v=x8sFfsIiU2s