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Kolumne GrauzoneFalsche Friedenstauben für den Müll

Zum Jahrestag des Angriffskriegs auf die Ukraine verbreitete Russland Desinformation. Die angebliche geplante Provokation in Transnistrien fiel aus.

Proteste gegen die pro-westliche Regierung in Moldau Foto: Aurel Obreja/ap

D ie Angst ging rum zum Jahrestag des russischen Angriffskriegs in der Ukraine: Droht eine nächste Front, drüben in Transnistrien, in Moldau? Jedenfalls hatte dies das russische Verteidigungsministerium behauptet. Kyjiw plane eine bewaffnete Provokation in Transnistrien, eine False Flag Operation, die man als russischen Angriff inszenieren wolle. Ukraines Präsident Selens­ki gab direkt Entwarnung. Die Ukraine greife keine souveränen Staaten an, sagte er. „Wir respektieren die Unabhängigkeit anderer Staaten. Transnistrien ist Moldau.“ Die moldauischen Behörden riefen dazu auf, ruhig zu bleiben. Und der transnistrische „Präsident“ Wadim Krasnoselski verkündete, man wisse von keinem geplanten Angriff – sobald sich das ändere, werde Krasnoselski höchstpersönlich die Menschen im Land informieren. Nicht mal der belarussische Machthaber Lukaschenko glaubte den Mist: Dass „die Ukrainer durchdrehen“ und eine weitere Front eröffnen, halte er für unwahrscheinlich. Schließlich sei das zu ihrem Nachteil.

Ich saß mit Corona in meiner Wohnung und beobachtete fiebrig, wie deutsche Medien auf diese Nachricht angesprungen waren. Klickt sich halt gut. Was auffiel: wenige fundierte Einordnungen oder Wissen über die tatsächlichen Verhältnisse in Transnistrien, geschweige denn die Lage in Moldau.

Russlands Strategie war also aufgegangen. Während Transnistrien die Aufmerksamkeit hat, ist in der Hauptstadt Chișinău die Destabilisierung des Landes, ein Baustein russischer hybrider Kriegsführung, in vollem Gange. In Moldau ist diese Form der Einflussnahme ein alter Bekannter. Dabei nutzt Russland die sowieso vorhandenen innenpolitischen Kämpfe und Probleme Moldaus aus, da muss es gar nicht viel mehr tun als sich zurücklehnen und zusehen.

Die Interessen pro-russischer politischer Kräfte in Moldau überschneiden sich praktischerweise mit denen Russlands. Erstere, allen voran die Șor-Partei, deren Anführer Ilan Șor zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, weil er beim größten Korruptionsskandal des Landes 2014 rund eine Milliarde US-Dollar aus den drei größten moldauischen Banken verschwinden ließ, ein Oligarch auf der Flucht, der sich in Israel versteckt, will die Macht zurückerlangen – oder einfach nur dem Gefängnis entgehen. Die Șor-Partei versucht mit aller Kraft, die Bemühungen der pro-westlichen Regierung gegen Korruption im Land zu torpedieren. Tja, und Russland will genau diese Regierung geschwächt sehen. Da haben sich also zwei gefunden.

Es gibt Faktoren, die sind viel gefährlicher als 1.500 verarmte und unmotivierte russisch-transnistrische Soldaten. Moldau hat mit zahlreichen Krisen gleichzeitig zu kämpfen: energiepolitisch (weil lange Zeit abhängig von russischem Gas), wirtschaftlich (hohe Inflation), gesellschaftlich (Proteste).

Seit Monaten ruft die Șor-Partei zu Protesten auf, lässt Demonstranten bezahlen, aus dem ganzen Land in Bussen ankarren und nutzt die Armut dieser Menschen für ihre politischen Zwecke aus. Erst diese Woche fanden die größten Proteste seit Langem statt. Die Demonstranten riefen „Nein zum Krieg“ und „Nieder mit Maia Sandu“. Sie trugen Friedenstauben aus Papier, die später im Müll landeten.

Seit der russischen Falschbehauptung hat sich unter den Demonstranten ein neues Narrativ durchgesetzt: Chișinău und Kyjiw seien es, die eine zweite Front in Transnistrien eröffnen wollten und den Krieg nach Moldau brächten. Russland hingegen wird als „stabilisierende“ Kraft für Moldau dargestellt.

Alle blicken auf die eine Seite des Dnjestr, dem Fluss, der die abtrünnige Provinz Transnistrien vom Rest des Landes trennt, während auf der anderen die eigentliche Spannung herrscht. Russische Desinformation ist ein Ablenkungsmanöver.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Beobachtet antidemokratische Bewegungen beim Verein democ. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.
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4 Kommentare

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  • Das Desinteresse am post-sovietischen Raum kommt jetzt und rächt sich. Hätte man sich mehr mit dem russischen Vorgehen in Transnisitrien, Tschetschenien und Georgien auseinandergesetzt hätte man weder Nordstream 1 noch 2 gebaut und deutlich härter auf die Annexion der Keim reagiert. Aber bis heute gibt es Deutsche die in ihrer unendlichen Arroganz meinen es besser zu wissen als die Osteuropäer die ganz nah dran sind. Eingefrorene Konflikte klingt so schön nach Omas Rouladen die man an einem kalten Herbsttag aufgewärmt und sowieso sobald erstmal offiziell Frieden ist braucht man sich nicht mehr für die ganzen Verbrechennubter Besatzung zu interessieren, Folterkammern verkaufen sich medial auch schlechter als Bombenangriffe. Und wenn die Berichte dann dich ganz dicke kommen kann man ja immer nich leugnen, relativieren oder einfach ignorieren. Wer sind schon die Ukrainer, Moldawer oder Tschetschenen wenn der Deutsche seine Ruhe haben will.

  • Und immer wieder atemberaubend, wie viele Erzählungen und Versatzstücke der russischen Desinformationsaschine bis in diese kuschelige Kommentarkommune durchsickern!



    Die Querdenker/Linke/AfD-Demo am Samstag war ja quasi eine Karnevalsparade zu dem Thema.

    • @dites-mois:

      "Und immer wieder atemberaubend, wie viele Erzählungen und Versatzstücke der russischen Desinformationsaschine bis in diese kuschelige Kommentarkommune durchsickern"



      Einfach auf Durchzug stellen. Das wird eher noch schlimmer werden. Da Russland die militärischen Mittel ausgehen, verlagert es das Geschehen an die "Informationsfront".

  • Danke für die Einordnung!