Kriegsangst in Moldau: Gefahr beginnt nicht mit Panzern

Gezielt versucht Russland, in Moldau einen weiteren Krisenherd zu schaffen. Die Abhängigkeit von russischer Energie hat zu Rekordinflation geführt.

Eine Frau mit Kind in einem Shoppingcenter

Ungewisse Zukunft: Straßenszene in der moldawischen Hauptstadt Chișinău Foto: Sadak Souici/Le Pictorium/imago

Schon wieder ging diese Woche die Angst um, Russland könnte seinen Krieg in der Ukraine auf Nachbarländer wie Moldau ausweiten: In einem Fernsehinterview machte der moldauische Ge­heimdienstchef Alexandru Musteata deutlich, dass die Frage nicht sei, ob Russland einen neuen Angriff in Richtung Moldau starte, sondern wann das passiere: „Entweder Anfang des Jahres, im Januar, Februar, oder später im März, April.“ Das Interesse bestehe darin, in die abtrünnige Region Transnistrien zu gelangen und die Ortschaft Cobasna zu nutzen, in der das vermutlich größte Munitionslager Europas mit 20.000 Tonnen Explosivstoff aus Sowjetzeiten lagert, das nur von russischen „Friedenstruppen“ bewacht wird, erklärte er noch.

Nun kann man das für unwahrscheinlich halten. Zwar sind auf dem Gebiet Transnistrien, das im Westen an die Ukraine angrenzt, bis heute russische Truppen stationiert, die dort noch aus Sowjetzeiten untergebracht waren. Doch immer wieder ist zu hören, dass diese Truppen, die zum Großteil aus örtlichen transnistrischen Kräften bestehen, in einem miserablen Zustand seien. Veraltete Waffen und kaum Munition, damit könne niemand einen Krieg gewinnen, erzählte mir ein Mann, der seinen Wehrdienst im transnistrischen Militär absolviert hatte, einmal.

Also alles nur übertriebene Angst? Nun, für unwahrscheinlich hielten auch viele einen russischen Überfall auf die Ukraine. Um Panik zu vermeiden, ruderte Geheimdienstchef Musteata später zurück, bisher sei es ruhig in Transnistrien, sagte er sinngemäß. Aber seinen Punkt hatte er gemacht: Moldau ist jederzeit bedroht durch Russland.

Dass erst aufgehorcht wird, wenn von möglichen militärischen Angriffen die Rede ist, überrascht mich nicht. Dabei beginnt die Destabilisierung eines Landes schon viel früher. Alarmieren sollte Europa, dass Putin seit Monaten gezielt versucht, in Moldau einen weiteren Krisenherd zu schaffen. Panzer benötigt er dafür gar nicht. Moldaus Abhängigkeit von russischen Energieimporten hat zu einer Rekordinflation im Land geführt. Mittlerweile liegt sie bei 35 Prozent. Jedes Mal, wenn russische Raketen das Stromnetz in der Ukraine beschädigen, wird auch die Republik Moldau getroffen. Eine Abhängigkeit, die noch aus Sowjet­zeiten stammt.

Menschen weinen vor Schaufenstern

Schon mehrfach hatten Hunderttausende Mol­dau­er:in­nen deshalb keinen Strom. Für Gas fehlt vielen das Geld. Und auch die Lebensmittelpreise sind rasant gestiegen. „Ich sehe ältere Menschen, die vor dem Schaufenster weinen. Es ist nicht so, dass sie sich keine Salami leisten können; sie können sich nicht einmal das Nötigste wie Milch leisten“, berichtete eine Verkäuferin aus einem Vorort der Hauptstadt Chișinău vor Kurzem dem Guardian.

Ihr Frust hat viele Menschen über Wochen auf die Straßen getrieben. Manche schlugen ihre Zelte vor dem Regierungsgebäude auf. Sie riefen „Schande“ und forderten den Rücktritt der prowestlichen Regierung und Präsidentin Maia Sandu. Prorussische Oppositionspolitiker der Șor-Partei hatten die Proteste organisiert. Sie nutzen bis heute die Krise im Land aus, um gegen die europäische Ausrichtung Moldaus zu wettern. Investigative Recherchen örtlicher Jour­na­lis­t:in­nen fanden später heraus, dass viele De­mons­tran­t:in­nen für ihre Teilnahme bezahlt wurden. Man hatte sie aus den Dörfern in die Hauptstadt karren lassen.

Moldaus Regierung ist entschlossen, ihre junge Demokratie zu schützen. Erst vergangene Wochen verloren deshalb sechs Fernsehsender ihre Lizenz. Sie hätten Desinformationen über die Lage im Land und den Krieg in der Ukraine verbreitet. Die potentielle Bedrohung durch Russland ist seit dem Tag der Unabhängigkeit Moldaus da. Längst muss klar sein, dass der Krieg in der Ukraine auch die Nachbarländer bedroht – nicht nur mit Panzern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteurin für Gesellschaft im Ressort taz zwei. Schreibt über postsowjetische Migration, jüdisches Leben und Antisemitismus sowie Osteuropa. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.