Kolumne Filmmern und Rauschen: Schluss mit „Bild Dir Deine Meinung“
In der Berichterstattung der „Bild“ zum Chef des Verfassungsschutzes, ist Hans-Georg Maaßen selbst das Opfer und Andrea Nahles der Feind.
W er am Dienstag bei den KollegInnen von bild.de nach Hans-Georg Maaßen suchte, bekam als Erstes eine Anzeige der Preissuchmaschine spar77.de angezeigt, die mit dem Versprechen „Heute bestellen, versandkostenfrei“ bereits „Hans Georg Maaßen Restposten“ feilbot. Was immerhin beweist: Auch der Algorithmus hat Humor.
Deutlich spaßbefreiter sieht es dagegen mit der sonstigen Berichterstattung der auflagenstarken deutschen Postille aus: Bild bot zunächst mal dem obersten Verfassungsschützer ausführlich Gelegenheit, sich in die Nesseln zu setzen. Um dann mit einer seit Julian Reichelts Regentschaft wieder auferstandenen „Immer feste Druff“-Haltung Maaßen zum tragischen Helden und Sündenbock zu verklären.
Dabei schwenkte Reichelt ziemlich durchsichtig gegen Angela Merkel. „Die Kanzlerin und ihr Sprecher haben mit nicht abgesicherten Erkenntnissen und leichtsinnigen Formulierungen Zweifel an den Geschehnissen von Chemnitz gesät“, schrieb er am Tag nach dem Maaßen-Interview – obwohl das mit den abgesicherten Erkenntnissen bis heute so eine Sache ist und es eben nicht nur um das Zeigen des Hitler-Grußes geht. Am Montag drauf schaffte der Zoff um Maaßens Zweifel an der Authentizität des Videos „für alle Beteiligten eine ungemütliche Lage“.
Die Sozialdemokraten als Feind
Mit Maaßens Auftritt vor dem Bundestags-Innenausschuss vergangenen Donnerstag ging es dann wieder los – zunächst noch durchaus sachlich. Dass sich Bild dabei ein bisschen von Seehofers Truppen instrumentalisieren lässt, wenn es gleich im ersten Absatz heißt: „Die Chancen für Hans-Georg Maaßen stehen gut“ – geschenkt. Doch spätestens seit dem Scherbengericht bei „Anne Will“ und den Forderungen der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles, Maaßen zu entlassen, steht der Feind links, bei den Sozialdemokraten.
„Wahnsinn“ sei Nahles „Versprechen“, als Koalitionspartner alles zu tun, damit der Verfassungsschutzchef geht – was putzig ist für ein Blatt, das harte, für die Galerie gespielte Äußerungen anderer sonst durchaus zu kontextualisieren weiß. Jetzt aber wurde der Wunsch Vater des Gedankens: „Stolpert Nahles über Maaßen“, schlagzeilte Bild. Die SPD könne jetzt „vom Jäger zur Gejagten werden“, immerhin: Von Hetze war keine Rede. Und Merkel muss gleich mit.
Medienprofi (früher taz, NDR und ARD, jetzt MDR), bringt jeden Mittwoch Unordnung in die aufgeräumte Medienwelt.
Dienstag der bisherige Höhepunkt: „Lässt Merkel Terroristen-Jäger Maaßen fallen“, fragte die Seite 1, und damit es auch wirklich jeder begreift, fragte die Seite 2 nochmal „Kippt heute der Mann, der uns vor Terror schützt?“. Liebe Bild, bis zum Redaktionsschluss dieser Kolumne gab es zwar noch keine Entscheidung. Aber wir haben’s begriffen: „Bild Dir Deine Meinung“ ist nicht mehr. Ihr sagt uns endlich wieder, wo’s langgeht. Und wir? Wir wollen unsere Tanit Koch wiederhaben!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus