Kolumne Eier: Selbstfindung mit Säge

Handwerkskunst verhilft einem zum Gefühl der Schaffenskraft, ohne dass man befürchten muss, nachhaltig Schaden anzurichten.

Säge hängt am Griff einer Tür mit abgeblättertem Lack

Es gibt immer was zu tun Foto: dpa

Verzeihen Sie, falls diese Zeilen eine leichte Schlagseite haben sollten. Ich bin auf die Idee gekommen, mir selber einen Tisch zu bauen, und der ist jetzt natürlich schief.

Seit ich vor zwei Monaten ein größeres Renovierungsprojekt in Angriff genommen habe, scheint mir nicht nur die Welt komplett aus Sperr- und Massivholz, Universalgrund, Mörtel und aus Wänden unterschiedlicher Porosität zu bestehen. Ich bin außerdem der Verblendung erlegen, als Akademiker ganz bestimmt mit Stichsäge und Bohrer jedes Problem lösen zu können. Das Ergebnis wird dann halt, na ja, nicht ganz gerade.

Trotzdem übt die Arbeit an der unbelebten Natur – auch Handwerkerei genannt – so eine wahnsinnige Faszination aus. Traditionell stellen wir uns diese Arbeit ja eher als „Männerarbeit“ vor, während die Arbeit an der lebendigen Natur – Pflege und Erziehung – als Frauen­sache gilt. Diese Aufteilung nach Geschlecht ist ­natürlich Humbug, das Unterscheiden dieser Tätigkeiten hingegen nicht. Die Handwerkskunst verhilft zum Gefühl der Schaffenskraft und Selbstwirksamkeit, ohne dass man befürchten muss, nachhaltig Schaden anzurichten.

Ein schiefer Tisch oder eine angebohrte Leitung sind ärgerlich, aber nicht mal ansatzweise so schlimm wie die Fehler, die man bei einem Menschen anrichten kann, den man versorgt oder betreut. Männerarbeit, so scheint es, war schon immer die einfachere. Mir jedenfalls soll’s recht sein. Denn so flüchte ich mich, während um mich herum immer mehr Menschen sich ans Kinderkriegen machen, in einen Kosmos, in dem Begriffe wie Glattkantbrett, Silco­ferm und Gehrungslade beinahe poeti­sche Qualität gewinnen.

Gehrungsladenpoesie

Und übrigens bin ich nicht allein. In meiner Nachbarschaft haben reihenweise Geis­tes­wissen­schaft­le­r*in­nen Kneipen und Cafés aufgemacht und ihnen handwerkliche Namen gegeben. Obwohl dort überall Leute mit Laptops an allen anderen als handwerklichen Projekten arbeiten, heißen diese Orte Werkbank, Seilzug oder Zur Leuchtröhre. Die Sehnsucht nach der handwerklichen Arbeit ist ganz besonders groß im urbanen Kreativprekariat.

Kann ich verstehen. Ich halte ja gerade in diesem Moment auch einen Akkuschrauber in der linken Hand wie John Wayne seinen Colt und mache brrm-brrm, brrm-brrm.

Arbeit an der unbelebten Natur – auch Handwerkerei genannt – gilt eher als „Männerarbeit“, während wir uns die Arbeit an der lebendigen Natur – Pflege und Erziehung – als Frauen­sache vorstellen

Und daran ist ja auch nichts auszusetzen. Irgendjemand muss schließlich Bücher­regale bauen und Wände durchbrechen und ­dabei Gehrungsladenpoesie dichten. Wäre nur schön, wenn wir es demnächst hinkriegten, dass diese Geschlechtervorstellungen davon, wer lieber mit Holz und Metall und wer besser mit Pipi und Kacka arbeiten sollte, überwunden würden. Im Baumarkt habe ich leider nicht den Eindruck, dass Heimwerken auch nur annähernd gleichwertig Frauensache geworden wäre. Dafür haben aber wenigstens die Männer, die an der Bar der Leuchtröhre sitzen, hin und wieder mal ein Baby dabei.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Schreibt über Kultur, Gesellschaft, queeres Leben, Wissenschaft.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.