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Kolumne EierSie hätten da sicher anders gehandelt

Wird eine Frau bedrängt, dann schreiten Sie ein, nicht wahr? Dann sind sie anders als der gemeine S-Bahn-Passagier. Ich bin es nicht.

Alle fahren Bahn, aber schauen auch alle hin? Foto: imago/Ralph Peters

E s gibt zwei Möglichkeiten – entweder ich bin betrunken, dann mische ich mich gerne mal ein. Oder ich bin nüchtern, dann duck ich mich in die nächste Ecke. Und Sie so? Wer in den Hauptschlagadern eines urbanen Verkehrsnetzes unterwegs ist, erlebt immer mal wieder gewaltsame Situationen. Kein Wunder bei ein paar Millionen zusammengepresster Menschen, aber eben auch nicht schön.

Die Polizei Bremen hat in dieser Woche gemeldet, dass eine Gruppe Teenagerinnen in der S-Bahn von zwei Männern sexuell belästigt und gegen ihren Willen berührt wurde – und niemand in dem voll besetzen Zug eingeschritten ist. Niemand außer einer 15-Jährigen, die sich schließlich dazwischen stellte und sich dafür noch mehr Getatsche abholte.

Sie, liebe Männer, hätten da sicherlich anders reagiert, nicht wahr? Obwohl, ist doch eigentlich prima, wenn Frauen sich selber verteidigen, statt dass das ein Kerl übernimmt, right? 2017 ist, wenn Frauen so emanzipiert sind, dass sie ihre Belästigungen selber verwalten können. Männlich-patriarchale Beschützerrollen und Ehrenkodexe gehören abgeschafft. Feminismus!

So etwas jedenfalls doziert der rationale Teil meines Hirns in vergleichbaren Situationen, während der emotionale Teil auf Flucht schaltet und macht, dass ich meine Einsfünfundachtzig so klein in meinem Sitz zusammenfalte, dass meine Pilateslehrerin stolz auf mich wäre. Sie würden es nicht für möglich halten, wie gut sich ein erwachsener Männerkörper hinter einem einzigen Lidlkatalog verstecken lässt, sobald es irgendwo Stress gibt. Ich mag nun mal keinen Streit und schon gar keine Knöchel auf meinem Nasenbein.

Wie gesagt, Sie hätten da sicher völlig anders reagiert, ich schließe schon wieder von mir auf andere. Aber was, wenn Ihnen nicht so ganz klar ist, ob da jetzt gerade wirklich eine Belästigung stattfindet? Man kann das ja manchmal nicht so genau wissen – immer diese Grauzonen! Da könnte das ja auch einfach ein neckendes Spiel unter Bekannten sein, ne? Und dann wäre es geradezu peinlich, sich aufzuplustern und den Moralapostel zu machen, richtig?

Was, wenn Ihnen nicht klar ist, ob gerade wirklich eine Belästigung stattfindet? Man kann das ja manchmal nicht so genau wissen – immer diese Grauzonen!

So jedenfalls argumentiert der rationale Teil meines Hirns, während der emotionale Teil Qi Gong für Fortgeschrittene praktiziert: Wenn ich meinen Geist nur vollständig leere, dann verschwinde ich vielleicht. In der Zwischenzeit ist dann wahrscheinlich eine 15-Jährige genervt eingeschritten, alle Beteiligten sind ausgestiegen und ich bleibe mit einem gewaltigen schlechten Gewissen und einem Tarnhelm auf dem Kopf in der Bahn zurück. Woher ich den Tarnhelm habe? Sie haben ja keine Ahnung, wozu ich fähig bin wenn es darum geht, Konflikte zu vermeiden.

Natürlich hätten Sie da komplett anders gehandelt. Das hatten wir ja bereits geklärt. Allerdings nicht die Herrschaften in der Bremer S-Bahn. Und auch nicht die Passagiere bei all den ähnlichen Fällen, die man bei der Stichwortsuche in den Polizeimeldungen findet. Die waren dann wohl doch alle eher so wie ich.

Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich muss mir Mut antrinken, fahre gleich noch U-Bahn.

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Peter Weissenburger
Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Medien.
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11 Kommentare

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  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    Ich bin schon des öfteren dazwischengegangen und habe es ein paarmal unterlassen.

     

    Ich muss sagen; es lohnt sich auch für das eigene Seelenheil, wenn man sich einmischt. Manchmal funktioniert sowas auch deeskalierend, manchmal sind deutliche Ansagen gut, manchmal ist Vorsicht gefragt.(was trotzdem nicht daran hindern sollte zumindest irgendwas zu tun)

  • "Sie, liebe Männer, hätten da sicherlich anders reagiert, nicht wahr?"

    Weshalb richtet sich der Autor hier ausdrücklich an Männer? Weil Frauen nicht helfen können? War da nicht gerade was in der beschriebenen Situation?

    "Aber was, wenn Ihnen nicht so ganz klar ist, ob da jetzt gerade wirklich eine Belästigung stattfindet? "

    Dann fragt man in unprovokantem Ton: "Ist alles in Ordnung?"

    Im Falle eines "neckischen Spiels" wird das dann wohl bejaht werden und dann ist die Sache erledigt.

    "Wird eine Frau bedrängt, dann schreiten Sie ein, nicht wahr?"

    Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber ich schreite sogar ein, wenn ein Mann bedrängt wird.

    "Dann sind sie anders als der gemeine S-Bahn-Passagier."

    Das stimmt leider vermutlich. Ich habe schon mehrfach Übergriffe in öffentlichen Verkehrmitteln erlebt. Wenn ich Beobachter war, bin ich jedesmal eingeschritten. Wenn ich zufällig mal das Opfer war, hat nie jemand geholfen, duplizieren kann ich mich leider nicht.

  • Einfach mal beherzigen, was die Polizei rät:

    "Wenn Sie in Gefahrensituationen helfen, ist es wichtig, sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Dabei haben sich folgende Punkte als wirkungsvoll und sicher erwiesen:

    - Alarmieren Sie sofort die Polizei. Der Notruf ist kostenfrei.

    - Sprechen Sie andere Menschen direkt an: „Wir helfen jetzt gemeinsam“.

    - In öffentlichen Verkehrsmitteln: Ziehen Sie die Notbremse oder informieren Sie das Fahrpersonal.

    - Merken Sie sich das Aussehen des Täters.

    - Stellen Sie sich als Zeuge zur Verfügung.

    - Halten Sie flüchtende Täter nicht auf.

    - Greifen Sie den Täter nicht körperlich oder verbal an.

    - Halten Sie Abstand."

  • Sie sollten schon Ross udn reiter nennen. Wer waren diese "Männer"? Wenn es "Männer" im heutigen Zeitungsdeutsch waren dann hatten sie mit hier Wahrscheinlichkeit Messer dabei, was ein Einschreiten höchst gefährlich machen würde. Ich z.B. würe mich einmischen wenn ich sicher sein könnte dass ich Erfolg habe, aber wenn es um Leben und Tod geht (beim Messerkampf immer dabei), dann sollte man vorsichtig sein. Mut aus Flaschen hilft hier übrigens nichts, sondern schadet nur.

    • Peter Weissenburger , des Artikels, Autor
      @Gerald Müller:

      Sie haben Recht, wenn ich "Männer" schreibe, meint das Männer mit Messern. Männer ohne Messer bezeichnen wir gemäß heutigem Zeitungsdeutsch dagegen als "Birnen". Für den Messerkampf empfehle ich sauer gespritzten Apfelwein.

      Das Ross hieß Ferdi, der Reiter Knut.

  • Hmm, was soll dieser Artikel nun schon wieder ausdrücken? Ist ein männlicher Mensch dazu verpflichtet, sich selbst in Gefahr zu bringen?

    Ich hätte allerdings einen Gegenvorschlag zu unterbreiten, nämlich das Ansprechen von Mitreisenden, den Notruf innerhalb der S-Bahn oder das Wählen der 110.

    Wer es sich zutraut mit Gewalt etwas dagegen zu unternehmen, soll es tun. Wer nicht, muß sich nicht von ihnen ein schlechtes Gewissen einreden lassen und schon gar nicht in so einem rotzigen Tonfall.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Hampelstielz:

      ...sehe ich auch so.

      Und: "Sagt den Mädchen und Frauen, daß sie sich deutlich artikulieren sollen, damit ihnen im Zweifel geholfen wird - werden kann." Zitat Werner W.

  • Kodizes, nicht Kodexe.

    Aber ansonsten schwer in Ordnung.

  • Ich verstehe das alles nicht.

    Lange Fingernägel und Stilettos sind gefährliche Waffen und auch eine Ohrfeige dürfte die Situation hinreichend klären.

    Das man sich in eine unklare Situation nicht einmischen will, ist sogar sinnvoll. Wenn aber die betroffenen Frauen die Situation eindeutig machen - Ohrfeige oder Geschrei - wird auch das Problem zu Ende sein. Und wenn nicht sind die Umstehenden gefordert, Haltung anzunehmen.

    Was soll die ganze #metoo Debatte wenn die unmittelbar Beteiligten - hier die Teenagerinnen - sich nicht positionieren? Das MUß doch bei den Anmachern den Eindruck hervorrufen, daß sie nichts wirklich falsches machen. Und: hätten die Teenager durch lautes Geschrei o.ä. die Situation geklärt, wäre auch Peter Weissenburger aktiv geworden- soweit dann überhaupt noch nötig. So hat er auch objektiv richtig gehandelt, da er ja nicht wissen konnte ob es sich nicht um eine Neckerei unter Bekannten handelt.

     

    In dieser Kolumne wird das Problem von der falschen Seite aufgezogen. Sagt den Mädchen und Frauen, daß sie sich deutlich artikulieren sollen, damit ihnen im Zweifel geholfen wird - werden kann.

    Wozu sonst ist diese ganze #metoo Sache denn sonst gut?

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Mal so, mal so. Ich bin schon dazwischen gegangen, habe mir auch schon mal einen zur Brust genommen. Saß aber auch schon in der U-Bahn, in der eine Frau belästigt wurde und machte Qi-Gong und dachte es mir so zurecht: So schlimm ist das ja alles noch gar nicht.

     

    Mr. Perfect gibt es in diesen Lagen wohl nicht.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Sie haben recht, werter JIM H.: Den Knaben namens Perfekt gibt es nicht. Dafür gibt es ganz viele lonesome cowboys, lauter so kleine Lucky Lukes, E. Presleys oder Little Joes.

       

      Das Dumme ist: Berlin ist keine Westernstadt. Die U-Bahn ist kein Pferd, das auf Kommandos hört, und deutsche Großstadtcowboys haben selten Colts in ihren Gürteln. Das macht sie einerseits deutlich erträglicher, zum andern aber auch erstaunlich unsicher. Weil: Alternative Strategien zur Lösung komplizierter Situationen, Strategien, in denen Fäuste oder Waffen keine Rolle spielen, werden ihnen kaum medial vermittelt. Und einsam sind sie, wie erwähnt, noch obendrein.

       

      Würde öfter darüber geredet, wo genau die Grenze verläuft zwischen einem „neckenden Spiel“ und einer gefährlichen Belästigung, müssten Menschen nicht so oft von sich auf andere schließen – und trotz des tiefen Blicks in den privaten Regelkoffer anschließend (fast) so schlau sein wie zuvor. Das ist das Blöde an der Individualität: Was ich persönlich ziemlich scheiße finde, das kann ein anderer womöglich locker ab. Oder auch umgekehrt.

       

      Der Grad, der zwischen Peinlichkeit und Heldentat verläuft, ist verdammt schmal. Vor allem da, wo man im dichten Nebel stochert. Wenn man nur einer von fast vier Millionen Fremden ist, besorgt man besser eine Tarnkappe. Die kann man tragen, wenn man will. Man kann sie allerdings auch weg lassen, wenn einem pegelstandsbedingt mal danach ist.

       

      Das Leben hierzulande lehrt: Im Zweifel wird man ziemlich leicht bestraft, wenn man den Grad (auch nur ganz nur knapp) verfehlt. Die meisten Leute lauern schließlich bloß auf ihre Chance, „es“ anderen mal klar „zu zeigen“. Ihr unterdrücktes Cowboytum, mein' ich damit. Da sind einfach zu viele Stresshormone unterwegs. Hormone, die man nicht gern reduziert, weil sie als Treibstoff des Erfolgs betrachtet werden in einer Welt der großen, starken Männer.

       

      Gut, dass wir wenigstens noch keine Waffenfreiheit haben. Dann lieber Selbstverteidigung!