Kolumne Die Kriegsreporterin: Ein Warmduscher mit Erklärzwang
Ein Jungspund mit Millionen Folgern wird völlig überschätzt, der „Spiegel“ muss sich selbst erklären und Tote lesen keine Zeitung.
H allo taz-Medienredaktion!
Na, da ist ja ganz schön was los im Mediland. Da hat doch so ein Jungspund, so einer mit Folgern im Netz, die Kanzlerin interviewt und danach ist die Welt nicht anders als vorher. Was der Beweis ist, dass so einer mit Folgern völlig überschätzt ist. Sagen jedenfalls die, deren Arbeit nicht von 2,6 Millionen Leuten mit Aufmerksamkeit bedacht wird und die trotz einer Ausbildung in „Journalismus“ nie der Kanzlerin Fragen stellen werden. Oder diejenigen, die noch und nöcher in Interviewtrainings im Fragen und Nachhaken geschult werden und sich immer zu zweit einer Kanzlerin gegenübersetzen.
Ja, es ist lustig, wie das journalistische Abendland, das seinem Untergang etwas hilflos gegenübersteht, nun so tut, als wäre eben dieser abgewendet, nur weil Merkel nach dem Interview durch LeFloid noch alle Kleider anhatte. Das ganze Old-School-Journalismus-gegen-Internet-Gehake erinnert mich an den Eltern-Kind-Konflikt, wenn die Jugend nach Ablösung strebt, eine neue Zeit am Horizont aufscheint und die Alten gegen die Verdrängung von der Alphaposition ankämpfen. Traurig, traurig.
Sehr traurig wird es, und das passt ganz wunderbar zum Untergang des Abendlandes, wenn ein Chefredakteur öffentlich sein Titelblatt erklärt. Man muss sich nur vorstellen, Axel Springer oder Rudolf Augstein erklären ihren Titel: „Die nackten Brüste der Frauen stehen für den Wunsch nach Ausreise aus der DDR.“ Oder: „Was meinen Sie, warum der Hitler auf dem Bild so dunkle Augen hat? Das habe ich bewusst gewählt, damit deutlich wird, der führte schon 1935 was im Schilde.“
Die Erklärung Klaus Brinkbäumers zum aktuellen Spiegel-Titel mag der neuen Strategie entsprechen, mit dem Leser in „Dialog“ zu treten. Ich frage mich aber, was das für ein Warmduscher-Verständnis von „Leitmedium“ ist, wenn ich, kaum dass mal jemand was blöd findet, es „erkläre“. Chef sein, ein „Leitmedium“ führen, heißt doch vor allem, Dinge auszuhalten. Gute und blöde. Es sei denn, man begreift sich als Chef eines „Leidmediums“. Dann passt diese Haltung vortrefflich.
Wobei das wirklich Erschreckende an dem Titel die Ästhetik der Karikatur ist. Hier liegt der Verdacht nahe, dass ein Zeichner bemüht wurde, dem 1992 ein letztes Stück Mauer auf den Kopf gefallen ist und der nicht gemerkt hat, dass die Zeiger der Uhren sich fortbewegt haben.
Aufregung über einen Ortswechsel
Es ist ja schon irre, liebe taz-Medienredaktion, wie sich die Dinge manchmal fügen. Heißt, wie hier heute alles zusammenpasst. Stichwort: Alter, Ablösung, Untergang, Leiden. Ich wollte nämlich fragen, ob Du glaubst, dass Tote Zeitung lesen. Ich frage mich das ja öfter. Also immer dann, wenn ich Todesanzeigen lese und die an den Verstorbenen adressiert sind. Nach dem Motto „Addi, mach’s gut!“ oder „Du fehlst uns so sehr!“. Ehrlich gesagt, ich glaube das ja nicht. Warum sollte ich am Tag meines Todes die Süddeutsche aufschlagen? Ganz irre wird das ja nun, wo wir alle mit Strom kommunizieren und kaum, dass ein Herz zu schlagen aufgehört hat, Grüße ins Internet stellen.
Aktuell bei Philipp Mißfelder. Aber ich nehme an, wenn sich bei ihm die Aufregung über den Ortswechsel gelegt hat und er Zeit hat zu gucken, was so auf Erden los ist, wird er sich wie Hulle freuen, dass seine Parteikollegen ihm via Twitter Gutes mit auf den Weg geben. Etwa „Danke für Dein Engagement für die Junge Union!“ und „Wir werden Dich nicht vergessen!“. Ich bastle jetzt eine Art Beerdigungs-Skype – schließlich muss auch ich an meine Zukunft denken – und gebe zurück nach Berlin!
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