piwik no script img

Kolumne Der rote FadenDoof geboren ist keiner

Nina Apin
Kolumne
von Nina Apin

Böhmermann, Veganismus, Krieg: Raus aus dem Erregungskreisel und einfach mal konstruktiv denken. Schwierige Sache.

Landschaft mit Pferd: Endlich mal was Erbauliches Foto: dpa

M itte der Woche gab es diesen gefühlten Hänger: Die Causa Böhmermann/Erdoğan war in sämtliche Richtungen aufgefächert – Satirefreiheit, Schahparagraf, Merkels Dilemma –, allerdings fehlte die Auflösung. Die Bundesregierung bat um Zeit, Böhmermann selbst sagte auch nichts mehr, dafür griente Didi Hallervorden mit geblecktem Gebiss: „Erdoğan, zeig mich an.“ Die Luft war raus.

Dass die „Ernährungskreis“-Essensoberlehrer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung („5 am Tag!“) vor fahrlässigem Veganismus warnten, barg auch keinen diskursiven Zündstoff. Während die einen schon immer gewusst hatten, dass Sojaschnitzel und Fake-Käsekruste aus Mandelmus nicht gesund sein können, sahen die anderen die Fleischlobby am Werk. So weit, so erwartbar.

Für einen Windstoß sorgte Maren Urner, die beim taz-Mittwochsclub eingeladen war, um über „konstruktiven Journalismus“ zu sprechen. Konstruktiver Journalismus, yeah! Einfach mal zwischen zwei Erregungskreiseln rausspringen aus der Medienmühle und sagen: Stopp. Schluss mit dem Alarmismus und dem Katastrophengeunke. Wir lassen jetzt mal Syrien in Syrien und Panama in Panama und schreiben über Dinge, die uns wirklich weiterbringen, nämlich über: Äh.

Es müssen schon schlimme Berufsdeformationen vorliegen, wenn die Fantasie bei der bloßen Vorstellung von „Konstruktiv-Sein“ nur hämisch Bilder von pastelligen Landlustfantasien und harmlosen Reportagen aus dem Gemeinschaftsgarten produziert. Also hin zum Vortrag.

Und jetzt alle zum Ignoranztest

Maren Urner, Anfang dreißig, ist studierte Neurowissenschaftlerin und Gründerin des neuen Onlinemediums Perspective Daily. Dessen Anliegen offenbar kein Geringeres ist, als die Welt zu einem besseren Ort und die Menschen glücklich zu machen – mittels konstruktiver Artikel. Ein Teil von mir möchte sofort den Saal verlassen. Ein anderer Teil ist neugierig.

Kurzer Test für die Anwesenden: Wie ist es um unsere Sicht auf die Welt bestellt? Naturkatastrophen, Analphabetismus, Kindersterblichkeit – ist es schlimm? Schon, sagen wir. Nicht halb so schlimm wie gedacht, sagt die Statistik. Der Ignorance Test, erdacht vom schwedischen Gesundheitswissenschaftler Hans Rosling, beweist: Wir sehen die Welt zu negativ. Und warum? Weil wir unsere Informationen aus den Massenmedien beziehen, die auf bad news entertainment gepolt sind. Urner sagt, dass derart gefütterte MedienkonsumentInnen in einen Zustand „gelernter Hilflosigkeit“ verfielen. Stress, Lethargie, Zynismus.

taz.am Wochenende 28./29. Mai 2016

Europas Botanische Gärten werden nach und nach geschlossen. Ob sie noch zu retten sind, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 28./29. Mai. Außerdem: Elf kongolesische Blauhelmsoldaten stehen vor einem Militärgericht – wegen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs im Rahmen der UN-Friedensmission in der Zentralafrikanischen Republik. Kann nun Recht gesprochen werden? Und: Am 5. Juni stimmen die Schweizer über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Wie lebt es sich damit? Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Ist ja furchtbar. Zum Glück folgt gleich das Konstruktive: „Das Reden über Probleme schafft Probleme. Das Reden über Lösungen schafft Lösungen“, sagt ein Kalenderspruch, den Urner jetzt bei ihrer Laptop-Präsentation abspielt. Gäbe es nicht mindestens zwanzig andere im Raum, die ob dieser Plattitüde laut schnauben, hätte ich jetzt den Saal verlassen. Nun will ich aber schon wissen, wo das journalistische Gegengift herkommen soll, das den Leuten „empowerment und Vitalität“ schenkt, auf dass sie beglückt hinaus in die Welt schreiten und Gutes tun.

Das Rezept, sagt Urner, die eigentlich überhaupt nicht spinnert wirkt, sondern recht sympathisch, bestehe nicht darin, Ungemach von der Leserschaft fernzuhalten. Oder nur Feelgood-Themen zu behandeln. Perspective Daily wolle in verträglicher Dosierung (ein Text pro Tag) den aktuellen Wissensstand – sämtliche JournalistInnen haben ihr Themengebiet an der Uni studiert – verabreichen. Die Texte sollten Zusammenhänge erklären und Lösungswege aufzeichnen.

Kann man Konstruktiv-Sein lernen?

Die Zusammenhänge des Syrienkriegs erklären. Machen wir doch auch. Oder zeigen, dass vegane Ernährung gesund sein kann, wenn man nur genug Nahrungsergänzungspillen dazu nimmt. Und was ist mit dem Jahrestag der Massenentführung nigerianischer Schulmädchen? Vielleicht müsste man darauf hinweisen, dass sie offenbar wenigstens nicht tot sind – es gibt ein Video, gedreht von ihren Peinigern, das sie vollverschleiert beim Beten zeigt.

Ich weiß nicht, wie das gehen soll mit dem Konstruktiven. Obwohl: Vielleicht kann man das ja lernen. Kürzlich, in einer Anwandlung pädagogischer Verzweiflung über Feuerwehrmänner und Einhörner, kaufte ich den Kindern eine CD mit Liedern des Grips-Theaters:

„Erika ist mies und fad / Doch Pappi ist Regierungsrat / Drum macht sie ganz bestimmt das Abitur / Peter ist gescheit und schlau / Doch sein Vati ist beim Bau / Drum geht er bis zur neunten Klasse nur.“ „Doof gebor’n ist keiner, doof wird man gemacht“, grölen jetzt die Kinder. Wenn das mal nicht konstruktiv ist.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Der Sinn des Diskurses sollte freilich die Lösung sein. Journalismus liefert bestenfalls dazu die Fakten; Beides leider nur ein unerreichbares Ideal. Die vernunftgesteuerte Gesellschaft setzt sich aus vernunftbegabten Wesen zusammen. Nun neigen wir Menschen aber dazu, das innere Chaos auf unsere Umwelt zu projizieren, und nehmen jede fatale Depesche dankbar zur Bestätigung auf. Wieso sollte daher der Mensch an der Lösung gesellschaftlicher Konflikte interessiert sein, wenn bei Abstellung die Auseinandersetzung mit dem Inneren drängte. Die Wahrnehmung der Außenwelt ist der Spiegel unseres eignen Zustands und wir werden einiges dafür tun, dass sie als Kompensation für die nötige Auseinandersetzung mit uns selbst erhalten bleibt oder damit auch geschaffen wird. Alarmistische Berichterstattung, Überproblematisierung sind das Opium und Schwert einer kaputten inneren Welt, die nur massenhaft genug auftretend die reale Umwelt zu zerstören in der Lage ist. Davon abzukommen, dazu waren die Menschen nur in wenigen Momenten der größten Not in der Lage.

    Frau Apin, eine schöne Utopie, doch man sollte nie davon ablassen.

  • Statt feel-better-Geschwurbel ~>

    "Man kann die Welt nicht ändern -

    Aber die ein oder andere Schweinerei abstellen." Georg Simmel

    "It could be worse" & "I shouldn't worry" - böllert Heinrich at his best -

    Irisches Tagebuch - & klar -

    Grips-Theater - immer!¡;()

    So in etwa.

  • Das Beste, was man gegen die Erregungsspirale tun kann: das Zeug einfach nicht anklicken! Allerdings ist es schwerlich hip und sexy, Dinge einfach nicht zu tun, weshalb man z. B. über bewusste Medienabstinenz kaum jemals irgendwo etwas liest. Es sei denn, die Medienabstinenzler haben sich zu konsequenten Zuvielisationsabstinenzlern entwickelt und leben fotogen langbärtig in selbst gezimmerten Hütten in der sibirischen oder kanadischen Taiga, dann gibt es auch schon mal eine Fotostrecke auf Zeit oder Spiegel Online... aber hip und sexy ist das dann (trotz der Bärte!) noch lange nicht! Ist sicherlich auch besser so...

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    Vor zig Jahren habe ich in der TAZ, von der ich damals noch ein Abo hatte, einen Artikel gelesen in dem das Glücksempfinden nach politischen Lagern thematisiert wurde. Kurz zusammengefasst: Linke haben zwar im Schnitt einen höheren IQ sind aber unglücklicher als Rechte, weil sie die Probleme anderer Menschen zu ihren machen. Das war der Tag an dem ich mich entschlossen habe mit diesem Links sein aufzuhören, mein IQ ist seitdem wohl nicht gesunken aber glücklicher bin ich damit definitiv.

     

    Es reicht schon sich bei jedem Thema folgende Frage zu stellen: Kann ich etwas daran ändern? Wenn nicht, dann bringt es auch nichts sich darüber aufzuregen. Obwohl ich weder an Gott glaube noch Alkoholiker bin halte ich das Gelassenheitsgebet (https://goo.gl/Btex6X) für eine ziemlich sinnvolle Zusammenfassung der Thematik.

     

    Es ist ja in den Massenmedien schon schlimm aber bei der TAZ bekommt man immer den Eindruck vermittelt die Welt stünde am Abgrund, obwohl es nie eine Zeit gab in der es den Menschen im Durchschnitt besser ging als heute.

     

    Projekte wie Perspective Daily halte ich auch deshalb für sinnvoll, weil dort Fachleute schrieben und keine Journalisten die Cherry Picking betreiben um das eigene Weltbild zu reproduzieren. Da könnt Ihr euch durchaus mal eine Scheibe abschneiden liebe TAZ!

    • @33523 (Profil gelöscht):

      Uns geht es im Schnitt deshalb viel besser, weil sich Leute ihrer und der Probleme anderer angenommen haben. Das ist die Schnittstelle zum Konstruktiven: Nach der Problembenennung und -erläuterung Konstruktion der Alternative. Letzteres fehlt im Journalismus oder kommt als Zerrform nach dem konservativen Motto "Stellt euch mal nicht so an, uns geht's doch gut" daher.

      • 3G
        33523 (Profil gelöscht)
        @Karl Kraus:

        Was ich sage ist das: Jammern nichts bringt, genauso wenig wie sich an Problematiken aufzureiben die man nicht beeinflussen kann.

         

        In der Tat geht es uns besser weil sich Menschen um Probleme gekümmert haben. Aber die Menschen welche die Welt verändert haben waren meist nur auf einen sehr spezifischen Bereich konzentriert und haben es aus leidenschaft gemacht, ohne sich um andere Dinge zu scheren.

        Das hat nichts mit dem von morgens bis abends "kritsich berichten" und sich empören zu tun das in den Medien stattfindet.

      • @Karl Kraus:

        Danke - &

         

        Man kann offensichtlich auch glatt -

        Zwei Köpfe in den Sand stecken.

    • @33523 (Profil gelöscht):

      im ansatz vielleicht, aber wo stuenden wir, wenn es nicht menschen gaebe, die sich die probleme anderer zu eigen machten? oder welche versuchen, sagen wir es mal etwas positiver, die probleme, von denen viele menschen gar nicht wissen, dass sie sie haben, erstmal krass ins gesicht wedeln, wie siehts denn damit aus? jo, uns gehts prima, schon besser als den leuten in den slums von bangladesh. aber mit 50% krebsrate und diversen umweltgiften im urin kann man sich auch schoen mit dem grashalm im mund zuruecklegen und harren der dinge, die dort noch so auf einen zugerollt kommen moegen. entweder man bekommt krebs, oder nicht, fifty fifty. ist doch cooles game!

      ist mir alles zu politisch? http://taz.de/Linke-putzen-Klinken/!5292273/

      • 3G
        33523 (Profil gelöscht)
        @the real günni:

        Es ist nicht so das wir die nicht bräuchten aber sie tun ja grade so als würde es die nicht geben. Journalisten tun doch fast nichts anderes als Misstände anzuprangern, bei vielen würde ich das schon nicht mehr Berichterstattung sondern Jammern nennen.

         

        Die Probleme werden endlos und in unzähligen Schleifen durchlaufen und am Ende ist immer der Westen an allem schuld, irgendwie. Über viele Themen wird Monate oder Jahrelang neativ berichtet und wenn die Problematiken dann aufgelöst werden wird daraus meist nur eine Randnotiz. Was bei den Menschen hängen bleibt ist der negative Aspekt.

         

        Klar gibt es immer noch Probleme aber wenn man erst zufrieden ist wenn alle Probleme beseitigt sind dann wird man es nie sein!

        Das Mit der Krebsrate hängt übringends hauptsächlich damit zusammen das die Menschen früher schon so früh gestorben sind das sie garnicht die "Chance" hatten überhaupt Krebs zu bekommen. Vielleicht sollten Sie auch mal den Ignorance Test ausprobieren,...

        • @33523 (Profil gelöscht):

          nein, das mit dem krebs ist natuerlich unserer lebensart geschuldet.

          es gibt laendliche und quasi biologisch reine regionen in indien, in denen krebs inexistent ist.

          die krebsraten steigen staendig an, auch die bei menschen unter 40, glauben sie nicht an die these es laege daran, dass wir immer aelter werden.

          • 3G
            33523 (Profil gelöscht)
            @the real günni:

            Die Anzahl der Krebstoten sinkt immer weiter. Die Anzahl der Erkrankungen steigt mit der Lebenserwartung.

             

            Klar wird Krebs oft durch den Lebensstil ausgelöst aber früher haben viele Menschen dieses Alter einfach nicht erreicht, weil sie vorher an Externen Faktoren gestorben sind.

             

            Die einzige Quelle die ich zu ihrer Indien These finden konnte war der Kopp-Verlag. Haben sie seriöse Quellen?