Kolumne Afrobeat: Leider kein Ausrutscher
Der Afrika-Beauftragte Günter Nooke gibt der „B.Z.“ ein Interview – und lässt eine zynische und unreflektierte Sicht auf den Kontinent durchblicken.
M anche Politiker wachsen mit ihren Aufgaben, andere schrumpfen ihre Ämter auf das eigene Niveau. Günter Nooke (CDU), Afrika-Beauftragter der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, hat vor einer Woche nach acht Jahren im Amt seine Sicht Afrikas im Berliner Boulevardblatt B.Z. an die Öffentlichkeit gebracht. „Afrika ist anders. Die Lösungen Europas können nicht die Lösungen Afrikas sein“, erläutert er da. „Das hat mit Clan-Strukturen zu tun, der Rolle von Stammesführern, der Vielzahl an Ethnien und tradierten Verhaltensweisen.“ Die Frauen bekämen zu viele Kinder, das Klima sei zu heiß und feucht für produktive Arbeit und „man kann mit dem Export von Rohstoffen nicht viel Geld verdienen“. Ob diese Missstände eine Folge der Kolonialzeit seien, wird er gefragt – und er antwortet ausweichend: Der Sklaventransport nach Nordamerika sei „schlimm“ gewesen, „auf der anderen Seite hat die Kolonialzeit dazu beigetragen, den Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen“.
Migranten aus Afrika, so Nooke schließlich, könne man in Deutschland nicht aufnehmen, weil diese „die besser Ausgebildeten“ seien, „die das Land eigentlich voranbringen könnten. […] Deshalb müssen wir sie zurückbringen an Orte, wo sie beschützt sind, Ausbildung und Arbeit finden. Lager sind da nur Notlösungen. Besser wäre es, Städte zu gründen – auf neuem Gelände, mit klaren Regeln und Strukturen. Vielleicht ist der eine oder andere afrikanische Regierungschef bereit, gegen eine Pacht ein Stück territoriale Hoheit abzugeben und dort für 50 Jahre eine freie Entwicklung zuzulassen. […] Der Grundgedanke ist, dass daraus Wachstum und Wohlstand entsteht.“
Solche Sätze tun wenig für das deutsche Afrikabild, aber umso mehr für das Deutschlandbild in Afrika. „Er ist verrückt“, twittert ein Nigerianer, „er sollte sich schämen“, ist eine Meinung aus Uganda. „Ist das ein kranker Witz?“, fragt Exminister Gyude Moore aus Liberia. „Rassismus läuft durch sein Blut und Hirn“, meint Kommentator Tom Ndahiro aus Ruanda.
Abgesehen von ein paar elementaren Irrtümern – Afrikas Wachstumsraten sind höher als die Europas, seine Bevölkerungsdichte ist geringer, die meisten „Tigerstaaten“ der Welt sind klimatisch dem tropischen Afrika ähnlicher als Europa, die schwerreichen Golfstaaten haben ihr Geld mit Rohstoffen verdient – kommt in Nookes Ausführungen ein Deutschland zu Vorschein, das im 21. Jahrhundert eigentlich nichts mehr verloren hat: ein Deutschland, das eine Rekolonisierung Afrikas mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts predigt, also Pachtverträge zur Überlassung territorialer Hoheit, weil die alte Kolonisierung offensichtlich den Kontinent nicht weit genug aus „archaischen Strukturen“ gelöst hat; ein Deutschland, das Afrika als Kontinent der Zurückgebliebenen malt, der von Europa erst noch wachgeküsst werden muss. Dass die These, Europas Lösungen könnten nicht die Afrikas sein, in diametralem Widerspruch zum Vorschlag der Gründung neuer afrikanischer Städte durch Europa steht, ist da noch das geringste konzeptionelle Problem.
Afrikapolitik wird fast nie zu Ende gedacht
Wer so denkt, nimmt Afrikaner als eigenständige Akteure nicht ernst. Nooke wischt die afrikanische Moderne einfach beiseite, er analysiert Afrikas Regierungen nicht als Partner, sondern als Hindernisse – und er ignoriert völlig, was Europäer in Afrika bis heute an nachwirkenden Verwüstungen anrichteten, als sie zuletzt afrikanische Territorien pachteten und dort Städte „mit klaren Regeln und Strukturen“ gründeten.
Das Gerede, die Kolonialzeit habe Afrikaner aus archaischen Strukturen gelöst und man könne Afrika durch territoriale Landnahme entwickeln, ist besonders zynisch angesichts der Tatsache, dass Deutschland bis heute hartnäckig die juristische Anerkennung des von Deutschen verübten Völkermords in Namibia, dem einstigen Deutsch-Südwestafrika, blockiert und die Nachfahren der Überlebenden als Verhandlungspartner ignoriert. Wenn das positive Erbe der Kolonialherrschaft in Afrika darin besteht, „den Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen“, ist die Vertreibung von Menschen aus ihrem Land in die Wüste und ihre kollektive Vernichtung natürlich kein Verbrechen, sondern ein Entwicklungsschub. Das ist die bittere, verbrecherische Konsequenz davon, wenn man Nookes Äußerungen zu Ende denkt.
Nun wird Afrikapolitik in Deutschland fast nie zu Ende gedacht, und Regierungsmitglieder, die in Deutschland Afrikapolitik machen, treten glücklicherweise in der Regel anders auf. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat am vergangenen Freitag in der taz anlässlich seiner Tunesienreise eine Zusammenarbeit Europas mit Afrikas Regierungen bei der Realisierung der in der „Agenda 2063“ der Afrikanischen Union gesetzten Entwicklungsziele angemahnt. Außenminister Heiko Maas (SPD) hat am gleichen Tag im Bundestag die Bedeutung der Aussöhnung zwischen Äthiopien und Eritrea hervorgehoben und das Auswärtige Amt verspricht verstärkte deutscher Unterstützung dieses Friedensprozesses und politischer Reformen in beiden Ländern. Von deutschen Überlegungen, Gebiete in Äthiopien zu pachten, um dort Flüchtlinge anzusiedeln, ist derweil nichts bekannt. Bekanntlich war Äthiopiens Politik, große Landflächen an ausländische Investoren zu verpachten, ein Mitauslöser blutiger Unruhen in dem Land in den vergangenen Jahren.
Aber leider ist das Weltbild, das in der B.Z. durchschimmert, kein Ausrutscher. Bis heute braucht man nur genügend Zeit bei einschlägigen Stehempfängen in der deutschen Hauptstadt zu verbringen oder bei alkoholisierten Heiterkeiten in der deutschen Diaspora in Afrika, um rassistische Stammtischparolen zu hören, oft von älteren Männern, die Afrika als Abenteuerkontinent zum Austoben erlebt haben. Wer solche Deutsche – es gäbe auch andere – als Ratgeber und Erklärer ernst nimmt, entwickelt zwangsläufig ein gespaltenes Verhältnis zur afrikanischen Realität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?