Kolumne Afrobeat: Jung auf eigene Gefahr
Afrikas Herrscher halten ihre aufstrebende Generation klein. Europa verstärkt die rückschrittlichen Tendenzen auf dem Kontinent noch.
D as Verhältnis der Staatsmacht zu ihren Bürgern ist in vielen afrikanischen Ländern eine ganz besondere Angelegenheit. Getreu dem Erbe der kolonialen Gewaltherrschaft halten viele Herrscher die Bürger ihrer Länder für ihre persönliche Verfügungsmasse und Bürgerrechte für einen Gnadenakt des Staates. Das Gewaltmonopol des Staates interpretieren sie als Recht auf staatliche Gewaltanwendung nach Gutdünken.
Aktuelles Beispiel: die staatlichen Schikanen und die Polizeifolter an Bobi Wine, populärer Rapmusiker und Oppositionsabgeordneter aus Uganda, der mit rebellischer Musik und deftigen Sprüchen den dortigen Präsidenten Yoweri Museveni nach dessen 32 Jahren an der Macht aus der Perspektive einer jungen, selbstbewussten Generation herausfordert und bloßstellt. Bobi Wine ist nur einer von vielen. In fast allen Ländern gibt es inzwischen solche unbequeme Stimmen, die nicht mehr kuschen. Sie stehen für den Wunsch nach einem neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Staat und Bürgern, der Afrikas politische Kultur vom düsteren Erbe des europäischen Imperialismus emanzipiert. Umso heikler ist ihr Verhältnis zu jenem Europa, das trotz aller Emigrationsträume sehr kritisch gesehen wird: arrogant, selbstbezogen und uninteressiert an Selbstkritik bezüglich der eigenen Rolle in der afrikanischen Geschichte.
Nigeria, mit 190 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Land Afrikas und eines der dynamischsten, steckt ein halbes Jahr vor Neuwahlen 2019 mitten in einer Generationsdebatte: Der aktuelle Präsident Muhammadu Buhari ist schwer krank und 75 Jahre alt, er ist zunehmend ein Getriebener, kein Gestalter. Im Mai beugte er sich monatelangem Agitieren einer Jugendprotestbewegung und senkte das Mindestalter zum Kandidieren für politische Ämter um fünf Jahre – auf 35 für Präsidentschaftskandidaten und 25 für das Parlament.
„Not Too Young To Run“ hieß die Protestbewegung in Nigeria, die eins der zentralen Probleme Afrikas auf den Punkt brachte: Auf dem jüngsten Kontinent der Welt ist knapp die Hälfte der Bevölkerung noch nicht einmal volljährig, jedes Jahr kommen 30 Millionen Menschen dazu. Sie alle wollen mitreden, mitgestalten, anpacken und aufbauen. Nur lässt man sie nicht. Derweil erwarten Altherrscher bis zum Tod bedingungslosen Gehorsam.
Wenig Wertschätzung gegenüber der Jugend
Buhari gehört eigentlich nicht dazu – er ist erst seit 2015 Präsident, ließ sich damals demokratisch wählen, hat seiner Vorgeschichte als Militärdiktator in den 1980er Jahren glaubhaft entsagt und sich im Amt weder bereichert noch Personenkult gefördert. Er tritt auf als Erneuerer und als Asket, der seinem Land harte Arbeit und Genügsamkeit verordnen will, damit es endlich vorankommt. Aber auch damit entgeht er dem Landesvater-Reflex nicht.
Als Nigerias Präsident vor zwei Jahren Deutschland besuchte, antwortete er auf der Pressekonferenz mit Angela Merkel auf eine Frage nach den politischen Vorlieben seiner Ehefrau: „Ich weiß nicht, welcher Partei meine Frau angehört, aber sie gehört in meine Küche und in mein Wohnzimmer und in das andere Zimmer.“ Verblüffte Journalisten mussten sich gegenseitig versichern, dass sie nicht falsch gehört hatten.
Vergangene Woche, als Merkel sich mit einem Gegenbesuch in Nigeria revanchierte und viel von Alternativen zur Migration die Rede war, erläuterte Buhari, wieder zum Erstaunen mancher Zuhörer, „illegale“ Emigranten handelten „auf eigene Gefahr“. Wörtlich sagte der nigerianische Präsident: „Wir haben ganz klargemacht, dass wir nichts Illegales unterstützen und dass jeder, der denkt, dass dieses Land ihm nicht bietet, was ihm als Bürger geboten werden sollte, und der beschließt, die Wüste und das Mittelmeer herauszufordern, dies auf eigene Gefahr tut.“
Anders gesagt: Nigerianer*innen, die in libyschen Foltercamps oder italienischen Bordellen gestrandet sind, sollen von ihrem Staat keine Hilfe erwarten. Nun erwartet ohnehin kein Nigerianer von seinem Staat irgendetwas, aber dennoch schockierten die unverblümten Worte Buharis – dass er sie unwidersprochen im Beisein des Staatsbesuchs aus Deutschland sagte, gab seinen Worten viel mehr Gewicht. Wieder einmal wurde klar: Die politische Klasse Afrikas bringt der eigenen Jugend wenig Wertschätzung entgegen, und die Partner Afrikas in Europa, Asien und Amerika sind nicht aufgeschlossener.
Menschsein kann man nicht verbieten
Grenzen überschreiten – das soll die Jugend möglichst nicht. Gemeint sind da nicht nur die physischen Grenzen zwischen Staaten. Es geht auch um kulturelle Grenzen: der von vielen Alten und Mächtigen bei den Jungen und Aufstrebenden beklagte Mangel an Respekt und Unterwürfigkeit, am Befolgen von Tradition und Moral beziehungsweise was dafür gehalten wird.
Die jungen Frauen von heute wollen sich nicht mehr beschneiden lassen? Ihrem Mann nicht mehr automatisch gehorchen? Eigene Reisepässe und Bankkonten besitzen? Unerhört! Die jungen Männer wollen sich nicht mehr durch horrend teure Hochzeiten bei der Großfamilie verschulden? Ihr hart verdientes Geld ins Heimatdorf investieren? Dem Pfarrer respektive Imam respektive Parteisekretär nicht mehr blindlings folgen? Skandal! So geht doch die Gesellschaft zugrunde!
Es wird in Europas Diskussion um „Fluchtursachenbekämpfung“ viel zu wenig wahrgenommen, wie sehr das europäische Drängen auf Grenzschließung und Migrationsverhinderung in den betroffenen afrikanischen Ländern rückschrittliche Kräfte stärkt und damit genau die sozialen und kulturellen Probleme und Unterdrückungen aufrechterhält, vor denen die Leute scharenweise davonlaufen. Aber wer sein Leben selbst gestalten will, wird das tun, sobald er oder sie dafür die Mittel hat, auch ohne Erlaubnis. Menschsein kann man nicht verbieten.
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