Koalitionsverhandlungen in Berlin: Mit sozialdemokratischer Handschrift

SPD, Grüne und Linke haben sich auf Leitlinien für Koalitionsverhandlungen verständigt. Klima- und mietenpolitischen Initiativen sind die zu schwach.

Klaus Lederer, Bettina Jarasch, Franziska Giffey

Die drei von der Koalition: Lederer, Jarasch, Giffey Foto: Monika Skolimowska

BERLIN taz | Dieses Papier trage eine „ganz klare sozialdemokratische Handschrift“, sagt die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) über das sechsseitige gemeinsame Sondierungspapier, mit dem SPD, Grüne und Linke nun in die Koalitionsverhandlungen gehen.

Mit dem Papier hatten sich die Sondierungsteams der drei Parteien am Freitag auf 19 Leitlinien für die Koalitionsverhandlungen verständigt. Sie lassen sich auch als Versuch lesen, mögliche Konflikte für eine Koalitionsbildung auszuräumen.

Tatsächlich ist Giffeys Satz von der „SPD-Handschrift“ nicht nur ein Spruch, um ihr Verhandlungsgeschick in gutem Licht dastehen zu lassen. Im Papier tauchen Videoüberwachung, U-Bahn-Ausbau und A100 genauso auf wie ein deutliches Bekenntnis zum Bauen – auch in die Höhe. Geplant sei ein Bündnis für Wohnungsneubau – Hinweis darauf, dass das Ressort für Stadtentwicklung und Wohnen tatsächlich Chefinnensache werden und von der Linken zur SPD wechseln könnte. Das Ressort ist der SPD traditionell wichtig. Das Enteignen von Immobilienkonzernen könnte in einer weiteren Prüfschleife landen. Entsprechend fiel auch die Kritik aus – eher SPD-fernen – Initiativen an dem Papier aus.

So sagte etwa Jessamine Davis, Sprecherin von Klimaneustart Berlin, die Initiative sei „sehr enttäuscht“, dass die Parteien sich nicht gegen den Weiterbau der A100 ausgesprochen hätten. „In Madrid haben sie eine Autobahn zu einem Fluss zurückgebaut, das ist viel zukunftsorientierter“, sagte Davis. „Und das wäre genau die Art von mutigen Maßnahmen, die wir brauchen, um unsere Städte klimagerecht umzubauen.“ Der Weiterbau sei ein „falsches Signal, denn mehr Straßen bedeuten auch mehr Verkehr“.

Klimaschutz als Querschnittsthema

Vor der Wahl hatte die Spitzendkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, sich für einen Rückbau der A100 ausgesprochen. Im Sondierungspapier haben sich die drei Parteien nun darauf verständigt, den 16. Bauabschnitt fertigzustellen und den 17. Abschnitt „nicht weiter voranzutreiben“.

Klimaschutz soll laut dem Papier ein Querschnittsthema mit eigenem, senatsübergreifendem Ausschuss werden. „Das begrüßen wir“, sagte Klimaneustart Berlin-Sprecherin Davis weiter. Die Initiative treibt derzeit gemeinsam mit einem breiten Bündnis das Volksbegehren Berlin 2030 klimaneutral voran. Doch sie vermisse Aussagen zu einer Anpassung von Berlins Klimazielen, da die jetzigen die Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens verfehlten, sagte Davis. „Im Koalitionsvertrag sollte endlich von Verpflichtungen gesprochen werden, nicht nur von Zielen.“ Die Initiative kritisiert auch die Rhetorik: „Es liegt zu sehr der Fokus auf der Klimakrise als Herausforderung für die Wirtschaft. Doch ein Umbau zur klimaneutralen Stadt schafft auch Arbeitsplätze. Und wenn die Politik das als Chance formuliert, nimmt das die Menschen besser mit.“

Als Antwort auf den Streit im Umgang mit dem Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen wünscht sich das Sondierungsteam laut Papier eine Expertenkommission: Die soll prüfen, mit welchen „Möglichkeiten, Wegen und Voraussetzungen“ das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen umgesetzt werden könnte. Innerhalb eines Jahres soll die Kommission eine Empfehlung an den Senat erarbeiten – in der Kommission würde demnach auch die Initiative selbst vertreten sein.

Die hingegen will sich damit nicht abspeisen lassen: das seien „durchschaubare Verzögerungstaktiken“, die man nicht hinnehmen wolle, verkündete DW enteignen am Samstag. In einer Demokratie sei es geboten, den Willen der Bevölkerung zu respektieren. „Und das heißt in dem Fall: jetzt wird vergesellschaftet!“ Die Erarbeitung eines Vergesellschaftungsgesetzes müsse im Koalitionsvertrag festgehalten werden, forderte die Initiative.

Mit einem Masterplan gegen Wohnungsnot

Immerhin ist teilweise auch eine leichte Linksneigung in der SPD-Handschrift zu erkennen. Wohnungs- und Obdachlosigkeit soll mithilfe des vor Kurzem von der Sozialsenatorin vorgestellten Masterplans und durch „Housing First“ beendet werden. Armut soll bekämpft werden, der Vergabe- und Landesmindestlohn soll auf 13 Euro steigen. Vielfalt wird unterstützt, Kultur soll weiter gefördert und gestärkt werden. Damit könnten die Linken in den Ressorts Soziales und Kultur nahtlos an ihre bisherige Arbeit anknüpfen.

Jarasch hält es für machbar, mit den Koalitionsverhandlungen bis Ende November durch zu sein. Das sei sportlich, „aber ich glaube, dass wir es hinkriegen werden, weil wir uns schon kennen und nicht bei null anfangen“, sagte sie am Sonnabend der dpa. Schwierig könnte die Frage nach Priorisierungen werden, da das Geld vermutlich nicht für alle Vorhaben reiche.

Anfang der Woche wollen sowohl Grüne als auch Linke jeweils in ihren Gremien über die Aufnahme zu Koalitionsverhandlungen entscheiden.

Hinweis: In einer ersten Version dieses Textes haben wir auch den Berliner Mieterverein zitiert. Dessen Äußerungen bezogen sich allerdings auf das Sondierungspapier des Bundes. Wir haben den Absatz gestrichen und bitten den Fehler zu entschuldigen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.