Koalitionen nach der Bundestagswahl: Der Weg nach Jamaika
Für eine Koalition aus Union, FDP und Grünen gibt es große Hürden. Besonders die Grünen sind skeptisch. Könnte Merkel sie dennoch anlocken?
Hinter den Kulissen bereiten sich die Grünen deshalb auf den Fall des Falles vor. Angenommen, das Wahlergebnis ähnelte den Umfragen: nur eine Große Koalition oder ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen hätte eine Mehrheit. Viel spricht dafür, dass Merkel dann zunächst Jamaika verhandeln müsste. Eine SPD, die unter dem historischen 23-Prozent-Tief von 2009 bliebe, wäre am Boden zerstört und würde vermutlich abwinken. Eine Tür öffnete sich für ein Bündnis, das lange undenkbar schien.
Bei den Grünen sagen alle: In diesem Fall müssten sie ernsthaft verhandeln, alles andere wäre der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln. Schließlich wäre Jamaika zu diesem Zeitpunkt das einzig denkbare Regierungsbündnis, das Argument der staatspolitischen Verantwortung wäre übermächtig. Wenn im Moment grüne Spitzenleute in jedes Mikrofon sagen, wie schwer vorstellbar ein Bündnis mit der FDP sei, ist das durchaus ernst gemeint. Die Meinungsunterschiede sind riesig. Aber die Botschaft dient eben auch dazu, eigene Wähler kurz vor dem Wahltag nicht zu verunsichern.
Wie aber könnte Merkel die skeptischen Grünen in ein Bündnis locken? Für die Kanzlerin und die FDP wäre Jamaika ein schwieriges Experiment, aber den gefährlichsten Schritt müsste die Ökopartei machen, weil sie das Lager wechselte. Gerade unter Linksgrünen gibt es riesige Vorbehalte, manche fürchten, Jamaika bedrohe die Existenz der Ökopartei.
Ein Scheitern wäre auch für Merkel eine Niederlage
Einen Satz hört man bei den Grünen, die sich Jamaika wünschen, immer wieder: „Merkel weiß, dass sie uns beim Klimaschutz ein Angebot machen muss.“ Heißt: Sie wird sich vorab gut überlegen, welches Geschenk sie mitbringt. Merkel hätte ja kein Interesse an einem schnellen Scheitern der Verhandlungen, das wäre auch für sie, die Einladende, eine Niederlage. Für denkbar halten Grüne zum Beispiel einen Mindestpreis für CO2-Zertifikate, wie ihn Großbritannien schon eingeführt hat. Er würde schmutzige Industrien und Kraftwerke teurer machen und die Energiewende beschleunigen. Auch beim Ausstieg aus der Kohlekraft bräuchten die Grünen Erfolge. Wenn sich nicht 20 Kraftwerke sofort abschalten lassen, was die Ökopartei offiziell fordert – ein paar müssten es schon sein.
Was der Sache nur dienlich sein kann: Merkel steht beim Klimaschutz selbst unter Druck, Deutschland hat international Zusagen gemacht. Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, wird die Zeit knapp. Merkel, die sich früher als Klimakanzlerin feiern ließ, hat bisher eine dürftige Bilanz vorzuweisen. Sie muss sich hier sowieso stärker engagieren. Die Koalition mit den Grünen böte ihr die Gelegenheit, ihr Ökoimage aufzupolieren – und lästige Probleme beim kleinen Partner abzuladen.
Bei der Dieselaffäre und der Zukunft des Verbrennungsmotors scheinen die Fronten zwischen Union, FDP und Grünen verhärtet, doch auch hier wären Kompromisse denkbar. Schließlich haben die Automobilkonzerne die Elektromobilität als entscheidenden Wachstumsmarkt entdeckt. Das wissen Union und FDP, die sich traditionell als Fürsprecher der Firmen sehen. Auch die Grünen-Spitzenleute Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt betonen stets, wie wichtig ihnen der Erhalt der 800.000 Jobs in der Autobranche sei. Sie würden nicht auf ihrem harten Ziel bestehen, ab 2030 nur noch emissionsfreie Neuwagen zuzulassen.
Özdemir sprach zuletzt davon, eine neue Regierung müsse den „Einstieg in den Ausstieg“ aus dem Verbrennungsmotor beschließen. Das öffnet Raum für sanftere Lösungen. Auch eine blaue Plakette für saubere Dieselautos wird von Grünen als Beispiel für Einigungsmasse genannt. Fahrverbote könnten perspektivisch sowieso von Gerichten verhängt werden. Warum nicht als Gesetzgeber vorher handeln und den Kommunen ein Instrument in die Hand geben?
Der Staat schwimmt im Geld
Ein Jamaika-Deal, das betonen viele Grüne, müsste nach einem Muster gewebt sein: „Eine reine Ökoagenda reicht nicht.“ Nicht umsonst werben sie für „Umwelt und Gerechtigkeit“. Die Grünen wollen auch in der Sozial- und Familienpolitik oder bei Europa Zugeständnisse. Dahinter steckt die Angst, als reines Ökoanhängsel von Schwarz-Gelb verspottet zu werden – und jene Wähler vor den Kopf zu stoßen, denen eine Gerechtigkeitsagenda wichtig ist.
Wenn es um Inhalte für Jamaika geht, verweisen Grüne immer wieder auf den Zehn-Punkte-Plan, in dem sie Ziele für eine Regierung festgelegt haben. Darin werden relevante Reformen der Sozialsysteme versprochen. Die Ökopartei will schrittweise eine solidarische Bürgerversicherung für alle einführen, in die auch Beamte oder Selbständige einzahlen. Und sie möchte zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung zurückkehren, die Beiträge würden also je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt.
Besonders die Linksgrünen wollen sich Jamaika nur vorstellen, wenn Union und FDP eine solche Forderung mittragen. Ein paar Milliarden Euro mehr für Pflegekräfte oder gegen Kinderarmut reichten nicht für mehr Gerechtigkeit, sagt ein linker Stratege. „Da muss eine echte, systemische Veränderung her.“ Solche Punkte lehnen Union und FDP bisher entschieden ab.
Was Jamaika aber erleichtern würde, ist die Tatsache, dass der Staat in Geld schwimmt. Der Wirtschaft geht es glänzend, die Steuereinnahmen sind hoch, im Haushalt gibt es viel Spielraum. Wer etwas zu verteilen hat, kann Konflikte leichter lösen – etwa indem er mehr Geld gegen Kinderarmut lockermacht.
Umstrittener Schuldenschnitt
Wenn linke Grüne über Jamaika nachdenken, fällt immer das Wort Europa. Tenor: Die harte Sparpolitik Merkels und Schäubles könne man nicht legitimieren. „Mit uns wird es eine klare Kurskorrektur in der deutschen Europapolitik geben“, versprechen sie in ihrem Zehn-Punkte-Plan. Die Grünen wollen zum Beispiel einen Schuldenschnitt für Griechenland und mehr sozialökologische Investitionen. Die Griechenland-Krise käme nach der Wahl sowieso auf die Agenda, weil ein Hilfspaket ausläuft – und es dem Land weiter schlecht geht. Wie ein Jamaika-Kompromiss aussehen könnte, ist offen.
Gerade die FDP vertritt gegenteilige Positionen, sie sträubt sich gegen einen Schuldenschnitt und wirbt für den Austritt von EU-Staaten aus dem Euro. Wie bei anderen Themen auch wird die Frage sein, ab wann die Grünen die von ihnen gewünschte Kurskorrektur konstatieren.
Best of Wahlkampf
Und die Einschätzungen dürften weit auseinandergehen. Während viele Linksgrüne dem Bündnis kaum eine Chance geben, haben Özdemir und Göring-Eckardt ein veritables Interesse an einer Regierungsbeteiligung. Landet die Ökopartei mit schwachem Ergebnis in der Opposition, ist ihre politische Karriere erst einmal zu Ende.
Entscheidend ist, wer in der grünen Verhandlergruppe für Sondierungen sitzt. Das entscheiden die Gremien kommende Woche. Bisher seien sechs Personen gesetzt, heißt es in Grünen-Kreisen: Die Spitzenkandidaten Özdemir und Göring-Eckardt, Parteichefin Simone Peter, Fraktionschef Anton Hofreiter, Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann und Michael Kellner, der Politische Bundesgeschäftsführer. Wahrscheinlich wird dieses 6er-Team noch ergänzt.
Trittin könnte doch mitreden
2013 redeten zum Beispiel auch wichtige Leute aus den Ländern mit, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Sylvia Löhrmann, damals Vizeministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen.
Dieses Jahr könnte es eine Überraschung geben. Bei den Grünen kursieren Gerüchte, dass auch Jürgen Trittin zum Sondierungsteam gehören könnte. Eigentlich ist Trittin, bis 2013 der starke Mann der Grünen, nur noch einfacher Abgeordneter. Doch er hat es geschafft, bis heute ein Wortführer der Linksgrünen zu bleiben. Dass er mitreden könnte, liegt ausgerechnet an Spitzenkandidatin Göring-Eckardt, die ihn eigentlich von Entscheidungen fernhalten will. Sie kündigte Ende August überraschend an, Trittin werde in Koalitionsverhandlungen keine Rolle spielen. Trittin gilt als Schwarz-Grün- und Jamaika-Skeptiker.
Die harsche Ansage sorgte für Unmut bei den Linksgrünen – und für eine Solidarisierung mit Jürgen Trittin. „Ein oberschlauer Schachzug von Katrin“, lästert ein wichtiger Grüner. Wäre Trittin dabei, hätte die Spitzenfrau den härtesten Jamaika-Kritiker also selbst wieder ins Spiel gebracht.
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