Koalition streitet über Gasumlage: Wahnsinnig komplexe Situation
Es rumpelt noch allenthalben. Aber in der Ampel stehen die Zeichen in Sachen Energiepolitik auf schnelle Einigung.
Jetzt soll alles schnell gehen. Die Debatte um die Gasumlage, bei der der grüne Minister Robert Habeck schwer unter Feuer geriet, hat den Entscheidungsdruck verstärkt. Am Dienstag und Mittwoch trifft sich das Kabinett zur Klausur in Meseberg. Vielleicht soll der Koalitionsausschuss abgewartet werden, um Parteien und Fraktionen mit ins Boot zu nehmen. Und weitere Störgeräusche zu vermeiden.
In Umrissen ist schon länger absehbar, welche Richtung die Ampel einschlagen wird. Studierende, Auszubildende, RentnerInnen, die bei den 300 Euro Energiepauschale außen vor blieben, sollen diesmal bedacht werden. Das Wohngeld und Hartz IV beziehungsweise das Bürgergeld sollen erhöht werden, um die Inflation auszugleichen. Die SPD-Fraktion hat am Wochenende in einem sechsseitigen Papier ein paar Forderungen zusammengefasst. Es enthält vier Kernpunkte: Studierende, Auszubildende, RentnerInnen, aber auch Mittel- und Unterschicht, sollen direkt Geld bekommen. Die Höhe lässt die SPD offen. Die FDP ist bei direkter Unterstützung zwar skeptisch, aber der Druck, zu entlasten, ist groß. MieterInnen, die ihre Nebenkosten nicht zahlen können, sollen vor Kündigungen geschützt werden. Allerdings nur sechs Monate, nachdem die Nebenkostenabrechnung vorliegt. Das hat gute Chancen: Es ist ein starkes Symbol, mit zeitlicher Begrenzung.
Zudem will die SPD-Fraktion ein 49-Euro-Ticket. Die Kosten im einstelligen Milliardenbereich sollen sich Bund und Länder teilen. Da blockt die FDP ab. Aber das kann sich ändern. Die SPD-Fraktion ist offen für ein von vielen Sozialverbänden gefordertes günstiges Grundkontingent für Gas und Strom. Das Prinzip: Bis zu einer gewissen Grenze wäre Energie billiger, darüber wesentlich teurer. Das hat den Vorteil, gleichzeitig das dringend nötige Energiesparen zu fördern und sozial egalitär zu sein. Doch die Forderungen der SPD fallen da, anders als beim 49-Euro-Ticket, wolkig aus. Konkrete Zahlen fehlen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ließ im Interview mit dem Deutschlandfunk durchblicken, dass ein Stromkontingent eher möglich ist als eines für Gas. Die SPD-Linke und Sozialpolitikerin Annika Klose findet: „Das geht in die richtige Richtung.“
3. Entlastungspaket
Auch die grüne Chefin Ricarda Lang fordert, dass die Regierung noch in dieser Woche ein drittes Entlastungspaket auf den Weg bringe, vor allem für Menschen mit geringen Einkommen und Familien. Dazu gehöre eine Direktzahlung noch in diesem Jahr, zum Beispiel durch eine Neuauflage der Energiepreispauschale. Zur Höhe dieser Zahlung will sich die Parteichefin nicht äußern, wie die SPD auch. Außerdem spricht sich Lang erneut für eine Anschlussregelung für das 9-Euro-Ticket aus, für 29 Euro regional und 49 Euro bundesweit. „Ich habe mich sehr gefreut, dass nun auch die SPD-Bundestagsfraktion sich unserer Forderung nach einem 49-Euro-Ticket anschließt.“ Zudem fordert sie eine Übergewinnsteuer, so wie die SPD. Generell, sagt Lang, gebe es zu den Forderungen der SPD an vielen Stellen Überschneidungen. Das sei eine gute Grundlage für weitere Verhandlungen.
„Wofür ich tatsächlich wenig Verständnis habe, ist der Vorschlag der SPD-Fraktion, die CO2-Steuer auszusetzen“, so die Parteichefin weiter. Die SPD fordert unter anderem, die anstehende Erhöhung des CO2-Preises für zwei Jahre auszusetzen. Beim letzten Entlastungspaket, so Lang, habe sich die Regierung darauf geeinigt, dass das Finanzministerium bis Ende des Jahres einen Vorschlag zur Auszahlung des Klimageldes vorlegen soll. „Wenn Herr Lindner liefert, haben wir Anfang nächsten Jahres einen sozialen Ausgleich für den CO2-Preis, diesen Weg sollten wir nicht verlassen.“
Richtig zerlegt hat sich die Ampel bei der Gasumlage, die Wirtschaftsminister Robert Habeck verantwortete. Rund 90 Prozent der 34 Milliarden Euro, die die Gaskunden mehr bezahlen, landen bei von Insolvenz bedrohten Gasgroßhändlern – aber knapp 4 Milliarden bei Konzernen, denen es bestens geht. Habeck schaltete gegenüber der anwachsenden Kritik erst auf stur. Doch die Angriffe kamen von allen Seiten. SPD-Chef Lars Klingbeil und der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr attestierten dem grünen Minister schlechtes Handwerk. Habeck lenkte ein. Die neue Fassung der Gasumlage soll ausschließen, dass profitable Konzerne davon profitieren. Das ist nach Einschätzung von Juristen möglich – allerdings steigt damit das Risiko, von genau diesen Firmen wegen dieses Ausschlusses verklagt zu werden.
„Ärgerlich“
Der grüne Bundesvorstand trifft sich am Montag zur Klausur in Hannover. In Niedersachsen wird bald gewählt. Da tut die Kritik an Habeck, bislang beinahe everybody’s darling, besonders weh. Mit dabei sind Julia Hamburg und Christian Meyer, die beiden grünen Spitzenkandidat:innen aus Niedersachsen. Julia Hamburg steht gemeinsam mit ihrem Co-Spitzenkandidaten und den beiden grünen Bundesvorsitzenden Lang und Omid Nouripour auf dem ehemaligen Expo-Gelände, ein lichter Bau mit viel hellem Holz und Glas. Julia Hamburg findet die Fehler der Gasumlage „ärgerlich“. Und lobt, dass Habeck nun Korrekturen vornehme. „Die sind notwendig.“
Andere Grüne kritisieren Habeck an der Seite – spielen aber den Ball vor allem ins Feld der FDP. „Die Gasumlage ist das falsche Instrument“, sagte Jürgen Trittin der taz. „In dieser Krisensituation hätten wir eine Lösung über den Haushalt finden müssen, um Unternehmen gezielt zu stützen, wenn es nötig wird.“ Das habe FDP-Finanzminister Lindner verhindert. „Es ist schon einigermaßen absurd, dass die FDP jetzt am lautesten die Probleme der Umlage kritisiert, die sie durch ihre Verweigerung nötig gemacht hat.“ Die Stimmung in der Ampel war schon mal besser.
SPD-Chef Klingbeil pegelt die Kritik an Habeck am Montag gezielt wieder herunter. Wenn man „mit Hochdruck in einer wahnsinnig komplexen Situation“ handeln müsse, könnten eben Fehler passieren.
In dem SPD-Fraktionspapier wird die Abmilderung der kalten Progression, die Finanzminister Christian Lindner will, lobend erwähnt. Lindners Steuerentlastung kommt vor allem Besserverdienenden zugute. Auch SPD-GenossInnen hatten das zuletzt kritisiert. Davon ist in dem SPD-Papier nun keine Rede mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen