Kneipen leiden an Corona-Beschränkungen: Bier und Korn auf Abstand

Der Hamburger Senat hat die Hygiene-Regeln für Kneipen gelockert. Die seien so streng, dass sich der Betrieb nicht lohne, kritisieren Wirte.

Menschen mit Barhockern stehen vor Bäumen und einer Skulptur des FC St.Pauli-Logos

Inneneinrichtung mitgebracht: Mitglieder des Barkombinats vor dem St.Pauli-Stadion Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | In Hamburgs Szenevierteln könnte es nach der Coronazeit nächtens so öde aussehen wie in einer Vorstadtsiedlung. Dieses Schreckensszenario haben die Betreiber von bis dato 67 Bars und Kneipen am Donnerstag heraufbeschworen. Seit dem 13. Mai dürfen sie ihre Läden wieder öffnen. Doch cool sei das nicht. „Die Auflagen sind so hoch, dass das Produkt ‚Bar‘ kaputt ist“, heißt es im Gründungsaufruf des „Barkombinats“.

Der Name ist angelehnt an das „Clubkombinat“, das seit einigen Jahren erfolgreich Lobbypolitik für die Musikklubs der Stadt macht. Dem Barkombinat geht es darum, deutlich zu machen, dass auch die rund 1.800 Kneipen wesentlich zur Attraktivität Hamburgs beitragen, dass sie, in der Politikersprache der Nullerjahre, ein „Standortfaktor“ sind. „Eine Stadt, in der Nachbar*innen und Besucher*innen nicht mehr miteinander trinken können, ist mausetot“, stellen die Gastronomen fest.

Nach der Coronaverordnung des Senats müssen Gaststätten dafür sorgen, dass Gäste, die nicht aus demselben Haushalt kommen oder weitere Personen aus einem anderen Haushalt dabei haben, anderthalb Meter Abstand voneinander halten. Das Personal muss bei Kundenkontakt eine Maske tragen. Flächen, die oft berührt werden, müssen mehrmals am Tag desinfiziert werden.

„Die Verordnung ist für uns Gastronomen ein Witz“, sagt Florence Mends-Cole, die Betreiberin der „Daniela-Bar“ im Schanzenviertel. „Wie soll das gehen?“ Ihre Bar sei gerade mal 20 Qua­dratmeter groß, die Terrasse unwesentlich größer. Ein wirtschaftlicher Betrieb sei so nicht möglich. Die Bar bleibe zu.

Weniger Gäste – mehr Arbeit

Er habe 50 Prozent weniger Gäste und 25 Prozent des üblichen Umsatzes – aber mehr Arbeit, sagt Till vom „Tiny Oyster Inn“ in Altona. „Das geht so nicht.“ Sein Laden lebe vom engen Kontakt mit den Gästen – wie es ein weiterer Barbetreiber ausdrückt: „Unser Geschäftsmodell sind soziale Kontakte.“ Auf einsfünfzig Abstand oder mit Plexiglasscheiben als Trennern funktioniere das nicht.

Die Tourismus- und Freizeitwirtschaft bietet in Hamburg laut Handelskammer 90.000 Arbeitsplätze. Sie sei einer der Motoren der dualen Berufsausbildung.

Nach Angaben des Barkombinats gibt es 1.800 Kneipen, Lokale, Bars in der Stadt. Dabei ist der umgangssprachliche Begriff Bar abzugrenzen von dem fest definierten behördlichen. Demnach ist eine „Bar“ eine Gaststätte, in der, grob gesagt, Musik aufgelegt wird.

Laut einer Mini-Umfrage unter 28 Schankwirtschaften des Barkombinats haben die Betriebe durchschnittlich 1,9 Mitarbeiter in Vollzeit, 7,1 im Minijob und zurzeit 1,4 in Kurzarbeit. Unter den Auflagen öffnet die Hälfte, bei 83,5 Prozent Umsatzeinbußen und einer Gästekapazität von 72,4.

Wie vielen seiner Kollegen ist dem Barbetreiber Maik Hennig nicht klar, welche Regeln eigentlich gelten. Er zeigt einen gelb markierten Absatz aus der Verordnung. Demnach ist der Betrieb von Gaststätten zulässig, soweit „für die Beschäftigten die allgemeinen Arbeitsschutzvorschriften und -standards in Verbindung mit der branchenspezifischen Konkretisierung des Unfallversicherungsträgers umgesetzt werden“. Ohne einen Anwalt oder zumindest eine Recherche sei das nicht umzusetzen.

Der Senat wälze die Verantwortung der Lockerung auf sie ab, kritisieren die Gastronomen: „Wir sollen nun Ordnungshüter*innen, Hygiene-Beauftragte, Daten­schützer*innen und Security in einem sein.“ Stephan Fehrenbach von der „Laundrette“ in Ottensen fordert deshalb vom rot-grünen Senat, einen zentralen Ansprechpartner zu benennen.

Weil das Geschäft nur eingeschränkt anlaufen kann, fordern die Gastronomen weitere Ausgleichszahlungen wie etwa Mietzuschüsse und Subventionen für den erhöhten Personalaufwand und die Investitionen für die Hygieneauflagen. Das Kurzarbeitergeld für die Mitarbeiter, die ja auch vom Trinkgeld lebten, müsse rückwirkend auf 80 Prozent aufgestockt werden.

„Die Lage meiner Mitarbeiter lässt mich schlecht schlafen“, sagt Betty Kupsa von „The Chug Club“. Sie selbst als Inhaberin habe seit Mitte März keinen einzigen Cent mehr verdient.

Um den kleinen Betrieben über die Krise zu helfen, hat der Senat am Donnerstag ein weiteres Hilfsinstrument vorgestellt: den Hamburg-Kredit-Liquidität. Betriebe können ihn für ein Prozent Zinsen über zehn Jahre aufnehmen. „Jeder, der dazu in guten Zeiten seinen Beitrag leistet, kann sich jetzt auch darauf verlassen, dass wir in schlechten Zeiten an seiner Seite stehen“, sagte Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos).

Die Handelskammer forderte, die Außengastronomie zu erleichtern. In der ganzen Stadt solle auf eine behördliche Genehmigung verzichtet werden. Teilweise wird den Gastronomen die Sondernutzungsgebühr gestundet oder sogar erlassen.

Zwar tauschen sich Vertreter des Hotel- und Gaststättenverbandes regelmäßig mit dem Wirtschaftssenator aus, dem Barkombinat reicht das aber nicht. Die Wirte wollen nicht jedes Mal von Änderungen überrascht werden, sondern in die Entscheidungen einbezogen werden, etwa zur Erweiterung der Außengastronomie oder der Weiterentwicklung der Hygieneregeln. An den Senat geht die Botschaft: „Wir warten auf deine Einladung ins Rathaus“.

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