Knast bei Bagatellstraftaten unsinnig: Stoß in die Armut
Gefängnisse widersprechen ihren eigenen Zielen, die Häftlinge auf ein verantwortungsvolles soziales Leben vorzubereiten.
D ie Entscheidung des für Niedersachsen zuständigen Sozialgerichts dürfte eigentlich nicht überraschen. Die Richter*innen haben entschieden, dass die Miete eines Gefangenen während seiner siebenmonatigen Haft vom Sozialamt übernommen werden muss.
Das Gesetz, das den Strafvollzug regelt, ist deutlich: „Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken“, steht in Paragraph drei, und weiter: „Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“ Die Wohnung zu verlieren, weil das Amt nach sechs Monaten aufhört zu zahlen, läuft dem zuwider.
Trotzdem war es offenbar nötig, dass ein Gefangener vor Gericht zieht, weil die ganze Institution Gefängnis eben nicht daran ausgerichtet ist, was laut dem Gesetzestext ihr Ziel ist: Die Gefangenen zu befähigen, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“. Der Zwang zum Arbeiten unter dem Mindestlohn, das Wissen, dass die Post mitgelesen wird oder dass die Verwaltung darüber entscheidet, welche Bücher jemand lesen darf, sind nicht nur entwürdigend, sondern tragen bestimmt auch nicht zur Übernahme von Verantwortung bei.
Es gibt bessere Konzepte als Freiheitsentzug
Der Fall macht aber auch deutlich, wie unsinnig kurze Haftstrafen sind. Wer wegen wiederholten Schwarzfahrens oder dem Handel mit kleinen Mengen Betäubungsmitteln in den Knast muss, hat hinterher sicher mehr Probleme als früher, etwa den Verlust enger Beziehungen, des Jobs oder der Wohnung. Das ist weder gerecht noch produktiv für die Gesellschaft. Die Insass*innen der Vollzugsanstalten sind zu Freiheitsentzug verurteilt, nicht zu mehr. Sekundäre Bestrafungen, wie ein Stoß in die Wohnungslosigkeit oder in ein Leben in Armut darf es nicht geben.
Kurze Haftstrafen, die auf leichte Delikte zurückgehen, gehören sofort abgeschafft. Im zweiten Schritt wäre die ganze Institution Gefängnis durch ein gerechteres Konzept zu ersetzen. Ansätze der „Transformative“ oder „Restorative Justice“, bei der die direkt Beteiligten einer Tat zu einer Suche nach Lösungen und Wiedergutmachung zusammen kommen, gibt es. Bis die Gesellschaft bereit dazu ist, sollten wir zumindest die Menschenwürde wahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity