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Kluger Umgang mit MigrationGrüne sind nicht der Gegner

Olaf Bernau
Gastkommentar von Olaf Bernau

Die EU-Migrationspolitik sollte reale Alternativen zur Abschreckung ins Auge fassen. Das heißt: zirkuläre Mobilität aus Afrika zu erlauben.

Männer am Strand von Senegal: Der Wunsch nach einem gelingenden Leben treibt viele in Migration Foto: Sam Mednick/ap

Z u Recht wird derzeit massive Kritik an der geplanten EU-Asylreform geübt, ist doch eine abermalige Verschärfung der ohnehin dramatischen Situation auf den Migrationsrouten zu befürchten. Dies umfasst nicht nur die nahezu täglichen Bootsunglücke oder Folterlager in Libyen.

Auch die Situation in der Wüste wird immer prekärer, vor allem im Niger, dem wichtigsten Transitland für Mi­gran­t:in­nen aus West- und Zentralafrika: Dort wurde auf Druck der EU 2015 ein Gesetz verabschiedet, das die bis dahin völlig legalen Dienstleistungen für Mi­gran­t:in­nen unter Strafe stellt: Viele der über Nacht zu Kriminellen erklärten Transporteure, Hos­tel­be­trei­be­r:in­nen oder Händ­le­r:in­nen büßten ihre Existenzgrundlagen ein, die Wüstendurchquerung wurde lebensgefährlich, und in Agadez hat sich die Bevölkerung durch hängengebliebene und rückgeschobene Mi­gran­t:in­nen binnen weniger Jahre mehr als verdoppelt.

Im Zentrum der Debatte stehen paradoxerweise die Grünen, obwohl sie die Einzigen im etablierten Parteienspektrum sind, die erklärtermaßen eine andere Vorgehensweise bevorzugen würden, sollten dies die politischen Mehrheitsverhältnisse in Europa hergeben. Charlotte Wiedemann etwa meinte an dieser Stelle, dass eine „universalistische Ethik der Gerechtigkeit“ bei den Grünen „keine Heimat mehr“ hätte. In der Tat, die EU-Pläne sind abgründig, doch die Fokussierung auf die grüne Partei lässt die Frage (unfreiwillig) in den Hintergrund treten, worin denn eine rea­le Alternative zur Abschreckungspolitik bestehen könnte.

Die Logik wird komplett verkannt

Olaf Bernau

ist bei Afrique-Europe-Interact aktiv und hält sich regelmäßig in Mali und Niger auf. 2022 ist bei C. H. Beck sein Buch „Brennpunkt Westafrika. Die Fluchtursachen und was Europa tun sollte“ erschienen.

Eine generelle Antwort gibt es nicht, dafür sind die Migrationsdynamiken aus den einzelnen Weltregionen viel zu unterschiedlich. Erforderlich ist vielmehr ein geografisch ausdifferenzierter Blick, etwa auf Westafrika, wozu Länder wie Nigeria, Mali oder die Elfenbeinküste gehören.

Von dort kommen zwar nicht die meisten Migrant:innen, aber die südliche Außengrenze spielt in der öffentlichen Debatte seit jeher eine prominente Rolle. Gleichzeitig tritt dort die Widersprüchlichkeit europäischer Migrationspolitik offen zutage. Denn die Logik westafrikanischer Migration wird umfassend verkannt. Migration hat hier eine jahrhundertelange Geschichte, sie ist schon immer eine Überlebensstrategie, allerdings keine, die als negativ empfunden würde.

Im Gegenteil: Migration ist Teil des Lebenszyklus, mancherorts müssen junge Männer sogar temporär migrieren, um heiraten zu können – meist innerhalb Westafrikas, selten bis nach Europa. Migration wird hier gemeinhin als zirkulär gedacht, ein Sprichwort in Mali besagt, dass Migration bedeutet, vom ersten Tag der Migration an die Rückkehr vorzubereiten. Die Leute gehen, um etwas zu lernen oder um ihre Familien unterstützen zu können. 2019 machten Rücküberweisungen in Nigeria 4,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, in Mali 5,5 Prozent und in Gambia 14,9 Prozent.

Und noch etwas ist wichtig: Migration ist eine Antwort auf schmerzlich erlebte Perspektivlosigkeit, die sich nicht durch Zäune steuern lässt, wie die Aussage eines jungen Senegalesen in der lesenswerten UN-Studie „Scaling Fences“ deutlich macht: „Am Ende wollen wir alle das Gleiche im Leben: Gesundheit, gute Jobs und die Freiheit, für uns und unsere Familien das Beste rauszuholen. Und weil viele Leute das Gefühl umtreibt, diese Möglichkeiten in Afrika nicht zu haben, gehen sie nach Europa.“

Angesichts solcher Erfahrungen wird begreiflich, warum die EU-Migrationspolitik einem moralischen Bankrott gleichkommt. In Westafrika ist Migration normal, umzukehren ist undenkbar, wer mit leeren Händen nach Hause kommt, gilt als Versager. Repression kann zwar die Wege teurer, länger und gefährlicher machen, nicht aber Menschen aufhalten. Das zeigen auch Zahlen, die seit der Jahrtausendwende teils höher, teils niedriger sind, jedoch nie verebben.

Migration ist Teil des Lebenszyklus, mancherorts müssen junge Männer sogar temporär migrieren, um heiraten zu können

Was ebenfalls nicht ausreicht, ist die viel zitierte Fluchtursachenbekämpfung. Diese spielt zwar eine wichtige Rolle, gerade mit Blick auf Perspektivlosigkeit. Wer sich freilich erhofft, so Ankunftszahlen drücken zu können, verkennt das in der Wissenschaft schon lange als „Migrations­buckel“ bekannte Phänomen, wonach die meisten Mi­gran­t:in­nen nicht aus den ärmsten, sondern etwas besser situierten Ländern wie Mexiko oder Ägypten kommen. Was also tun?

Die Grünen dürften die EU-Asylreform nur um den Preis blockieren können, dass sie an den Urnen abgestraft würden, was aber mit Blick auf die Klimapolitik nicht wirklich zu hoffen ist. Zielführender scheint es, für echte Fluchtursachenbekämpfung sowie einen schrittweisen Rückbau des Grenzregimes zu werben, also die zirkuläre Migration zuzulassen, die ohnehin der historische Normalzustand ist.

Es gibt schon wichtige Traktate, die sich dafür aussprechen. Aber häufig wird vor allem menschenrechtlich argumentiert, ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass es in Regionen wie Westafrika bis heute normal ist, zu kommen und zu gehen. Nur wenn Menschen die Möglichkeit haben, geregelt zu wandern, werden sie auf gefährliche Wege verzichten. Denn dann können sie erfolgreich sein und mit vollen Händen zurückkehren.

Konkreter: Migrationswillige müssen bereits zu Hause Zugang zu Sprachkursen und berufsvorbereitenden Maßnahmen erhalten. Rückkehrwillige sollten robuste finanzielle Unterstützung erfahren, vor allem dürfen sie nicht zur Rückkehr gedrängt werden. Denn eine Existenzgründung ist nie einfach, auch hierzulande scheitern 80 von 100 Unternehmen in den ersten 5 Jahren. Insofern muss auch das Recht bestehen bleiben, wieder nach Europa zurückzukehren – egal aus welchen Gründen. Denn wer seinen Aufenthaltsstatus aufgeben muss, um Rückkehrunterstützung zu erhalten, wird sich nicht auf das Wagnis der zirkulären Migration einlassen, die nicht nur in Westafrika zum ökonomischen, sozialen und kulturellen Erbe gehört.

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6 Kommentare

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  • "Migration hat hier eine jahrhundertelange Geschichte, sie ist schon immer eine Überlebensstrategie, allerdings keine, die als negativ empfunden würde."

    Nicht nur dort. Auch in Europa, bis der Nationalismus des späten 19. Jahrhunderts das unterdrückte.

    Die Migration ist das menschlich Normale, die Grenzkontrolle das Artefakt.

  • Einer der seltsamsten Artikel, die je zu diesem Thema gelesen habe. Zirkuläre Migration lese ich als Normalzustand. Und weil das in Westafrika so ist, sonst ggf. keine Heirat, sollen wir das unterstützen und Grenzen öffnen für deren Tradition? Blöd, wenn diese Tradition woanders, also bei uns keine Tradition ist. Wer hat dann Recht mit seinem Blickwinkel, der Westafrikaner?



    Mexikaner und Ägypter als Hautptmigrationsgruppen? Seit wann das, in der EU sicherlich nicht.



    Geht's im Artikel auch um Asyl(?), ist unklar, ich denke aber, da Fluchtursache als Wort da steht, wohl schon. Hier differenzieren wäre hilfreich.



    Klar für mich: Dieser Artikel und die Forderungen scheinen kaum mehrheitsfähig, oder nochmal thematisch nachschärfen des besseren Verständnisses des Lesers willen.

    • @Tom Farmer:

      "Blöd, wenn diese Tradition woanders, also bei uns keine Tradition ist."

      Wer hat die Ziegel gestampft, aus denen vor gut 100 Jahren die Nachzügler bei der Industrialisierung Europas - Rumänien, Bulgarien usw - ihre Fabriken errichteten?

      Deutsche. Verarmte und verelendete Deutsche.

      Meine Großmutter hat sie noch gekannt, hat noch ihre Sprache gesprochen: die Wanderziegler vom Weserknie, die da sagten: ticheln is nenne Sülte eten. "Ziegelstampfen ist kein Zuckerschlecken" - nur, dass die so arm waren, dass sie sich "Zuckerschlecken" nicht vorstellen konnten, und stattdessen Sülze - zusammengekochte Schlachtabfälle - als Inbegriff des Schlaraffenlandes ansahen.

      Und wer hat andererseits eine Generation vorher den Ruhrpott aufgebaut, unter Lebensgefahr die Kohle aus dem Gestein gebrochen?

      Kaczynskis und Schimanskis aus den Armutsgebieten Russisch-Polens.

      Arbeitsmigration ist die menschheitsgeschichtliche Normalität; die Abschottung dagegen ist ein Dekadenzphänomen derjenigen parasitären Gesellschaften, die um ihres auf Kosten anderer geschaffenen Wohlstands willen die Welt in Feuer und Flut untergehen sehen wollen.

      Insofern finde ich den Artikel eher schockierend realistisch.

    • @Tom Farmer:

      Der Artikel will offenbar zu viel. Vermutlich wären zwei oder mehr Artikel besser gewesen oder ein viel schärferer Fokus.



      Ein Thema ist der Umgang der Gegner weiterer „Asyl“-Rechtsverschärfungen mit den Grünen. Dabei scheint der Rat zu sein, dass die Grünen nicht um des Rechthabens und Moralischseins willen Fundamentalopposition betreiben sollten, weil dann alle Themen ohne die Grünen geregelt würden und gar keine anderen Stimmen mehr gehört würden. Das ist nachdenkenswert, solange klar ist, dass die Grünen alleine es anders machen wollten und es auch rote Linien gibt, die die Grünen gar nicht überschreiten.



      Ein weiteres Thema ist die einseitige Sicht auf „Flucht“. Aus von (Bürger-)Kriegen erschütterten Ländern wie Syrien oder der Ukraine „fliehen“ Menschen in einem Sinn, den alle verstehen können. Dennoch gibt es da keine Einigkeit, ob man deswegen „Asyl“ gewähren sollte, eher schon eine Aufnahme von Kindern, Alten und Begleitpersonen bis zum Kriegsende, aber geregelt, überwacht und bis zum Ende des Krieges begrenzt. Politisch Verfolgte (also Oppositionelle oder religiöse Minderheiten) können auch echtes „Asyl“ erhalten, die Zahlen sind aber überschaubar. Diese beiden Gruppen beschreiben nicht die große Anzahl an Migranten aus Westafrika, die aus einer Tradition heraus wandern, die der „Walz“ zu ähneln scheint. Solche Traditionen sind nicht auf Westafrika beschränkt, sind aber bei uns aus der Mode gekommen, auch mangels Kontrast zum sesshaften Bürger alter Prägung, der an „seine“ Stadt gebunden war. Das liegt also an einem Mangel an Liberalität und Modernität in Afrika.



      Das dritte Thema ist, dass wir in Europa durchaus junge Männer brauchen könnten, die eine Zeitlang hier arbeiten und lernen wollen, um dann zurückzukehren. Man könnte versuchen, das zu fördern, allerdings besteht dabei die Gefahr, dass diese Leute nicht etwa zurückkehren, sondern ihre Familien nachholen, was nicht mehrheitsfähig wäre. Also müsste man es ihnen leicht machen, wieder zu gehen.

  • Zirkuläre Migration klappt in Dubai ganz gut. Jeder der nicht mehr arbeitet verlässt ohne Ausnahme oder Rücksicht auf die Verhältnisse in den Heimatländern die VAE Richtung Heimat.

    In Deutschland hat die zirkuläre Migration bereits zu Zeiter der sogenannten Gastarbeiter nicht geklappt. Wir müssten also zunächst noch viel von Dubai lernen.

    Im Übrigen würde hierdurch auch die reguläre illegale Migration nicht unterbunden werden, sondern parallel weiter stattfiinden.

    • @DiMa:

      Sicher kann Dubai kein Vorbild für uns sein.



      Dieser Staat hat keinerlei annähernd demokratische Struktur, und somit keinerlei ernsthaften Arbeitsschutz und tarifliche Ordnung. Das ist moderne Sklaverei was die dort betreiben. Das kann man nicht mit den Arbeitsbedingungen von Expats aus westlichen Ländern vergleichen, das ist eine andere Welt.



      Den Mist, der dort auf Baustellen abgeht, möchte ich hier nicht haben, denn die schlecht ausgebildeten Kräfte, die dort für einen Hungerlohn schuften, erfordern ein großes Aufgebot an etwas besser bezahlten und ausgebildeten Aufsichtspersonal. Das geht zu Lasten der Qualität und da sollte man sich nicht von Vorzeigeprojekten täuschen lassen, wenn man bei normalen Objekten hinter die Kulissen schaut sieht man den Kernschrott und das alles kaum nachhaltig ist.



      Von Dubai kann man definitiv nichts lernen, was man in einem demokratisch verfassten Industrieland gebrauchen könnte.