Klüger werden durch Google: Kannst du vergessen
Ich dachte, dass wir unser Gesamtwissen durch die Googelei erweitern würden. Das Gegenteil stimmt. Wissenschaftler sprechen gar von Digitaler Amnesie.
F ast alles, was einem auf die Schnelle nicht einfällt, kann man googeln – toll! Nur die Namen der Kinder unserer Freunde oder wo sich gerade mein Haustürschlüssel befindet – das weiß das Internet leider nicht.
Ich dachte lange Zeit, dass wir unser Gesamtwissen durch die Googelei erweitern würden. Stimmt aber nicht. Im Gegenteil. Wissenschaftler sprechen sogar von Digitaler Amnesie. Unser Gehirn spart nämlich Ressourcen und merkt sich den ganzen Schrodder gar nicht mehr, den wir jederzeit im Internet nachsehen könnten. Genaueres über die Studie, die das belegt, erinnere ich nicht. Hab’s halt irgendwo im Internet gelesen.
Mir nicht mehr den Kopf zerbrechen zu müssen, wenn mir ein Schauspielername nicht einfällt, finde ich praktisch. Ich habe aber festgestellt, dass es nicht schadet, so etwas nicht nachzuschlagen. An den Moment, in dem mein Gehirn mitten in der Nacht plötzlich den Namen „Daniel Brühl“ auswirft, kommt ein Googlesuchergebnis ohnehin nie heran.
Ob ich mir aber offline Informationen aus Büchern wirklich besser merken kann als online erworbene, bezweifle ich. Auf jeden Fall habe ich neulich – wie jedes Jahr – in meinem analogen Pflanzenführer nachgeschaut, wie diese kleinen weißen Blumen am Waldrand heißen.
Für völlig sinnlos bei der Beantwortung von Alltagsfragen halte ich offene Internetforen. Einmal hatte ich eine große Menge an frischen Erdbeeren zur Verfügung. Als nachts um zwei Uhr wirklich alle Bäuche und Behältnisse mit Erdbeeren in jeglicher Form gefüllt waren, hatte ich immer noch welche übrig.
Also erkundigte ich mich bei gutefrage.net, ob die Früchte besser bei Kühlschrank- oder Raumtemperatur aufbewahrt werden. Die meisten der Diskussionsteilnehmer begannen ihre Beiträge sinngemäß mit den Worten: „Ich kenne mich damit zwar nicht aus, aber …“, und die restlichen klugscheißerten, man dürfe Erdbeeren gar nicht lagern, sondern müsse sie sofort verzehren. Dazwischen kam es zu Gelaber über Autos und Haustiere. Als das jemand bemängelte, fingen alle an, sich gegenseitig zu beschimpfen.
Bei Google ist das viel bequemer. Man bekommt nicht nur einfache Antworten, sondern sogar die Fragen angeboten. Wenn ich die Worte „Wie lange hält“ eingebe, sind die ersten drei Vorschläge: „Fleischwurst im Kühlschrank?“, „eine Autobatterie?“ „Botox?“ Das finde ich beruhigend, da offensichtlich aus meinen Cookies keine verwertbaren Informationen über mich gesammelt werden konnten.
Neulich habe ich mal wieder „Pfingsten“ gegoogelt, weil ich immer vergesse, was man da eigentlich feiert. Dazu wurde mir ein Kasten mit einer Reihe schöner Fragen zum Thema angezeigt. Zum Beispiel: „Was ist der Unterschied zwischen Himmelfahrt und Pfingsten?“ Die mitgelieferte Antwort dazu lautete: „Pfingsten ist zehn Tage nach Himmelfahrt“.
Eine Antwort darauf, ob Jesus eigentlich mit einer Kiste Bier im Bollerwagen in den Himmel aufgefahren ist, hatte Google nicht für mich. Dafür aber die Vermutung, mich könnten folgende Fragen interessieren: „Ist an Christi Himmelfahrt alles zu?“, oder: „Wann ist der offizielle Vatertag?“
Ich wüsste gerne, wie Google die Fragen und Antworten generiert. Aber es war wahrscheinlich naiv, das googeln zu wollen. Antworten wie: „Die PAA Boxes sind, genau wie Featured Snippets SERP Funktionen“ zwingen mich in die Google Endlosschleife. Also muss ich mein eigenes Gehirn bemühen: Wenn genug Leute im Netz Schwachsinn verbreiten, müssen zwangsweise die generierten Fragen und Antworten schwachsinnig sein. Aber weil sich das ganze Zeug ohnehin keiner merkt, ist das wohl egal.
Mir nicht egal ist Folgendes: Die Blumen am Wegesrand heißen Buschwindröschen, an Pfingsten war die Sache mit den feurigen Zungen vom Himmel (als Zeichen für die Apostel in die Welt hinauszugehen und von Jesus zu erzählen) und mein Schlüssel lag im Gemüsefach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt