Klimawandel in der Literatur: Apokalypse ciao
Die Klimakrise kommt längst in Kunst und Kultur vor. Ein Blick auf die Klima-Fiktion zeigt: Der Trend geht weg vom Weltuntergang, hin zur Ermutigung.
Je länger wir uns mit dem Klimawandel beschäftigen, desto stärker erkennen wir: Es gibt keinen Quadratmeter auf dem gesamten Planeten, der davon unberührt bleibt. Das bedeutet auch, dass der Klimawandel kein abstrakter Begriff mehr ist. Er findet nicht mehr nur in der Sprache der Zahlen und in der akademischen Sphäre statt, verbannt auf die Seiten von Fachzeitschriften und in wissenschaftliche Konferenzen. Stattdessen hat er eine neue Sprache angenommen. Eine Sprache, die unsere Gefühle und Gedanken direkter ansprechen will, eine Sprache der Angst, der Dringlichkeit und der Verzweiflung.
Kunst und Kultur bieten eine Möglichkeit, uns mit dieser Verschiebung auf einer subjektiven und existenziellen Ebene auseinanderzusetzen. Fiktionale Verarbeitungen können dabei helfen, die Auswirkungen der globalen Erwärmung nicht nur als eine Sammlung wissenschaftlicher Daten und Fakten zu verstehen, sondern als eine gelebte Erfahrung, die jeden Aspekt unseres Lebens berührt.
Was wir früher mit Hilfe von Messungen, Klimamodellen oder wissenschaftlichem Konsens zu begreifen versuchten, verstehen wir jetzt durch die unmittelbare Wahrnehmung unserer Umgebung. Um uns herum erleben wir austrocknende Böden und knapper werdendes Wasser, wir fühlen die sengende Hitze in den Städten und schauen den Wäldern dabei zu, wie sie brennen. Das Wetter ist nicht mehr vorhersehbar, und die Jahreszeiten ändern sich in einer Weise, die wir uns nie vorstellen konnten.
Schneller als gedacht ist die Zukunft Gegenwart
Diese Verschiebung der Wahrnehmung macht einen großen Unterschied. Sie sorgt für eine Überwindung der psychologischen Distanz, die einst dafür sorgte, dass wir uns sicher fühlen, weil die Bedrohung erst in einer fern scheinenden Zukunft lag. Diese Zukunft ist schneller gekommen als erwartet. Jetzt sind wir gezwungen, uns den Realitäten des Klimawandels zu stellen und uns mit dem emotionalen und psychologischen Tribut auseinanderzusetzen, den er für uns als Individuen und als Gesellschaft fordert.
Climate Fiction verhandelt diesen Tribut. Dieses Literaturgenre, das kurz als Cli-Fi bezeichnet wird, schildert eine Welt, die durch die katastrophalen Auswirkungen der Klimakrise geprägt ist. Sie bietet den Leser:innen einen Einblick in eine mögliche Zukunft, die auf die Entscheidungen folgt, die wir in der Gegenwart treffen.
Die Wurzeln der Climate Fiction reichen weit zurück
Obwohl Cli-Fi erst vor Kurzem als eigenständige literarische Form entstanden ist, lassen sich die Wurzeln dieses Genres bis zu frühen Werken der Science Fiction und Fantasy zurückverfolgen. Bereits 1962 veröffentlichte der englische Science-Fiction-Autor J.G. Ballard sein berühmt gewordenes Buch Die ertrunkene Welt. Dort schildert er eine unbewohnbare, von Wasser überflutete Erde, eine Folge globaler Erwärmung, verursacht durch erhöhte Sonneneinstrahlung. Frank Herberts Dune von 1965 ist ein weiteres Beispiel für einen Science-Fiction-Klassiker, in dem Klima und Ökologie eine wichtige Rolle spielen.
Das vielleicht visionärste und am meisten unterschätzte Werk der Climate Fiction ist Das neue Atlantis von Ursula K. Le Guin. Die 1975 veröffentlichte Kurzgeschichte beschreibt eine dystopische Zukunft, in der private Unternehmen die USA beherrschen und der Meeresspiegel aufgrund eines menschengemachten Klimawandels katastrophal ansteigt. Das Werk ist weitgehend in Vergessenheit geraten, aber es erzählt eine auffallend vorausschauende Geschichte, die viele der Ängste und Befürchtungen vorwegnimmt, die jetzt unsere Gegenwart bestimmen.
Während des Kalten Kriegs beherrschte die Angst vor nuklearer Vernichtung das kollektive Bewusstsein und überschattete die allmähliche Bedrohung durch den Klimawandel. Das änderte sich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den frühen 1990er Jahren. Eines der wichtigsten Cli-Fi-Werke aus dieser Zeit ist Octavia E. Butlers Das Gleichnis vom Sämann aus dem Jahr 1993. Es schildert eine nahe Zukunft, die stark vom Klimawandel und sozialer Instabilität bestimmt wird. Butler wurde mit diesem Buch bekannt und ebnete den Weg für andere Schwarze Science-Fiction-Autorinnen.
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Eine davon ist N.K. Jemisin. Ihre mehrfach ausgezeichnete Romanserie Die große Stille handelt von einem Planeten, dessen Bewohner:innen mit wiederkehrenden und verheerenden Klimaveränderungen konfrontiert sind. Auch wenn das Klima nicht im Mittelpunkt ihrer Geschichten steht, spielt es in ihrem fiktiven Universum eine wichtige Rolle. Jemisins Romane verdeutlichen, wie eng Umwelt und Gesellschaft miteinander verflochten sind und wie sich der Klimawandel auf alle Aspekte des Lebens auswirkt. Ihr Werk zeigt, dass der Klimawandel auf eine nuancierte und komplexe Weise in die Literatur integriert werden kann.
Auch in der Unterhaltungsindustrie spiegeln sich veränderte Verhältnisse wider. Ein Beispiel dafür ist die dystopische Mad-Max-Filmreihe, deren erste Folge 1979 in die Kinos kam. Während früher Ölknappheit und nukleare Zerstörung den Hintergrund für die Handlung bildete, ging es in dem letzten, 2015 erschienenen Film um eine Welt, die von einer nicht näher spezifizierten Umweltkatastrophe zerstört worden ist.
Realistische Dystopien ohne schrille Töne
Einen anderen Ansatz wählen einige zeitgenössische skandinavische Autor:innen, die als Vertreter:innen einer „realistischen Dystopie“ betrachten können. Diese schildert eine düstere Zukunft, die durch die Klimakatastrophe gekennzeichnet ist, jedoch ohne schrille apokalyptische Töne.
Der 2015 erschienene Bestseller der norwegischen Autorin Maja Lunde, Die Geschichte der Bienen, ist dafür ein Beispiel. Der Roman spielt im England des 19. Jahrhunderts, in den heutigen Vereinigten Staaten und in China am Ende des 21. Jahrhunderts und verfolgt die Spur des allmählichen Aussterbens der Bienen und die weitreichenden Folgen für die menschliche Gesellschaft.
Eine weitere Vertreterin des dystopischen Realismus ist die finnische Schriftstellerin Emmi Itäranta. Ihr 2014 erschienener Debütroman Das Gedächtnis des Wassers handelt von den Kämpfen um die immer knapper werdende Ressource Wasser und beschreibt das autoritäre Regime, das dadurch entsteht.
Der Wert der Romane von Lunde und Itäranta liegt darin, dass sie gleichzeitig überraschend und plausibel sind. Ähnlich kann man Cormac McCarthys berühmten Roman Die Straße verstehen, der 2006 erschien und auch erfolgreich verfilmt wurde. Kein Werk der Klima-Literatur ist roher und brutaler. McCarthys realistische Dystopie einer postapokalyptischen Welt nach einer globalen Umweltkatastrophe ist voll von rücksichtsloser Grausamkeit und düsterem Nihilismus, in dem nur ganz kleine Hoffnungsschimmer aufleuchten.
Es geht immer stärker um Aktivismus statt um die Apokalypse
Mit der Verschärfung der globalen Klimakrise in den letzten zehn Jahren hat sich auch das Genre der Klimafilme weiterentwickelt. Die apokalyptischen Themen, die einst das Feld beherrschten, sind verschwunden; stattdessen sind realistischere und engagiertere Filme entstanden. Im Genre der Öko-Aktivismus-Thriller etwa stehen Gruppen und Einzelpersonen im Mittelpunkt, die einen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen und so den Klimakollaps verhindern wollen.
Ein Beispiel dafür ist der Film First Reformed aus dem Jahr 2017. Protagonist ist ein Pastor der niederländisch-reformierten Kirche, der in eine Glaubenskrise gerät, als es ihm nicht gelingt, einen radikalen Umweltschützer namens Michael am Selbstmord zu hindern. Je mehr er sich mit den Gründen für Michaels Handeln befasst, desto mehr radikalisiert sich der Pastor. Schließlich zieht er eine Sprengstoffweste an, um lokale Eliten mit Verbindungen zur fossilen Brennstoffindustrie in die Luft zu jagen.
Um Radikalisierung geht es auch in dem Öko-Aktivismus-Thriller How to Blow Up a Pipeline. Er basiert auf dem gleichnamigen Sachbuch des schwedischen Intellektuellen Andreas Malm. Malm argumentiert, dass der Ernst des Klimawandels und das Scheitern des gewaltfreien Aktivismus einen aktiveren Ansatz erfordert, nämlich, Infrastruktur für fossile Brennstoffe zu sabotieren. Der Film begleitet eine kleine Gruppe von Aktivist:innen bei ihrem Versuch, eine Pipeline mit einer selbst gebastelten Bombe zu sprengen.
Der Roman Die Wurzeln des Lebens des amerikanischen Autors Richard Powers, der 2019 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, stellt ebenfalls Menschen in den Mittelpunkt, die zu Aktivist:innen werden. Dabei wählt er aber einen anderen Ansatz: Das Buch ist eine Hymne auf die erhabene Schönheit der Natur – und gleichzeitig ein Klagelied über das Versagen der Menschheit.
Utopien, die vor Verzweiflung schützen können
Betrachtet man die Geschichte der fiktionalen Verarbeitung des Klimawandels, so lässt sich eine klare Entwicklung von den postapokalyptischen Themen der 1960er Jahre hin zu einem realistischeren und engagierteren Ansatz in den letzten Jahren erkennen. Die Zukunft des Genres könnte darin liegen, realistische Utopien zu erzählen, wie die Werke des Autors Kim Stanley Robinson zeigen.
Robinson ist seit vielen Jahren einer der wichtigsten Namen in der Klima-Literatur. Sein 2020 erschienener Roman Das Ministerium für die Zukunft zeichnet eine Welt, in der die Menschheit die Ziele des Pariser Abkommens zwar verfehlt, aber dennoch ihr Bestes tut, um den Klimakollaps durch verstärkte Zusammenarbeit und politisches Handeln zu bewältigen.
Damit ist der Roman exemplarisch für diesen neuen Ansatz der realistischen Utopien. Statt in apokalyptischen Landschaften zu schwelgen, erforscht Robinson das menschliche Potenzial für politisches Handeln und sucht nach postkapitalistischen Alternativen, die es ermöglichen, Klima- und Umweltkrisen demokratisch und kooperativ zu lösen.
Robinsons Werk ermutigt uns, uns eine bessere Zukunft vorzustellen und aktiv darauf hinzuarbeiten, anstatt uns der Verzweiflung über eine unvermeidliche Apokalypse hinzugeben. Auf diese Weise ebnet der Roman den Weg für zukünftige Werke, für die Geschichten, die wir erzählen und denen wir zuhören müssen.
Martin Vrba ist Klimaredakteur bei der tschechischen Nachrichtenplattform Alarm und schreibt im Rahmen des Journalistenaustauschprogramms IJP für die taz. Die Recherche zu diesem Text wurde durch ein Mentoringprogramm von Free Press Unlimited und E3J begleitet.
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