Klimawandel in Fotos festgehalten: Fantastisch schöne Eisberge
Auch überhaupt nicht gute Dinge können ein ästhetisches Ereignis sein. Im Deutschen Technikmuseum Berlin sind die Folgen des Klimawandels zu sehen.
E s war natürlich keine sehr brillante Idee, das Technikmuseum Berlin unter der Woche aufzusuchen. Und auch noch vormittags. Am Wochenende, hatte ich gedacht, wäre es zu voll, wegen der ganzen Familien.
Was für ein Quatsch, das Gegenteil ist vermutlich richtig: Am Wochenende kommen Kinder mit ihren Eltern, von denen sie gut betreut und notfalls gebändigt werden. An einem ganz normalen Vormittag kurz nach den Ferien aber, da kommen die jungen Menschen tausendfach in Klassenstärke und allen denkbaren Größensortierungen. Geltungsbedürftige Jungmänner verstärken die Akustik in der Eingangshalle durch übertriebene Lautäußerungen. Lehrkräfte, die mäßigend einwirken könnten, sind im Gewühl nicht auszumachen.
Was für ein Glück, dass das Haus so weitläufig ist. Tatsächlich habe ich, an meinem eigentlichen Ziel angekommen, den herrlich ruhigen Raum lange für mich allein. Das ist gar nicht so verwunderlich, denn die Sonderausstellung „Signs of Change“, die Bilder des Fotografen Olaf Otto Becker zeigt, will erst einmal gefunden werden. Der Mann an der Kasse hatte mich hinüber ins „Spektrum“ geschickt, das Nachbargebäude, wo der Kartenkontrolleur besser informiert ist und mich aufklärt, dass ich im Hauptgebäude ganz richtig gewesen sei. „Kennen Sie den Raum mit den Flugzeugen hinter dem Rosinenbomber? Da ist es.“
Für diese wertvolle Information bin ich sehr dankbar, denn aufgrund zu sparsamer Beschilderung hätte ich die Fotoausstellung sonst womöglich nie gefunden. Olaf Otto Becker, lese ich nun in einem der ausliegenden Bildbände, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Spuren, die der Mensch in der Natur hinterlässt, und den dauerhaften Veränderungen, die er dadurch bewirkt. Beckers Bilder sind ästhetische Dokumente des Klimawandels.
„Signs of Change“ mit Fotografien von Olaf Otto Becker ist im Deutschen Technikmuseum in Berlin, Trebbiner Straße 9, bis 3. Dezember 2023 zu sehen. Montags geschlossen.
Im Technikmuseum werden vor allem zwei Serien gezeigt, eine in Ostsibirien, die andere in Grönland entstanden. Großformatige Bilder zeigen fantastisch schöne Eisberge, mystisch auf dem Wasser schimmernd. Daneben Aufnahmen menschlicher Behausungen, bescheiden in die karge Landschaft gebaut, in den Fenstern stehen bunte Plastikblumen. Eindrücklichstes Dokument der klimatischen Veränderungen ist eine umfangreiche Fotoserie, die den Lauf eines Schmelzwasserflusses durch den grönländischen Eisschild dokumentiert.
Man könnte das – diese Türkistöne des Wassers, das Weiß bis Hellgrau des Eises – rein als diffizile Farbverlaufsstudie rezipieren, wenn man nicht wüsste, was das Schmelzwasser bedeutet.
Beckers Sibirien-Serie hat einen anderen Charakter, zeigt weniger Natur und mehr von dem, was der Mensch in ihr hinterlässt. Eine Lost-places-Ästhetik herrscht vor. Menschen stehen auf kaputten Maschinen, die Trümmer einstigen technischen Fortschritts verströmen Endzeitstimmung.
Ab und zu kommen jetzt Leute durch den Raum geschlendert: eine Gruppe Niederländisch sprechender Jungs, eine Butterbrot essende französische Kleinfamilie, zwei deutsche Studentinnen. Alle bleiben sie wenigstens kurz, bewundernd, vor demselben Exponat stehen: Einem großformatigen Foto aus den Gardens by the Bay in Singapur, auf dem üppig sprießende Flora zu sehen ist, die ein futuristisch anmutendes Gebäude überwuchert. Vielleicht ist ja genau das unsere Vorstellung von einer idealen Umwelt …
Auf dem Weg nach draußen gerate ich in die Textilabteilung, wo eine Frau eine kompliziert aussehende Maschine dreht. Unten kommt ein löchriges Schlauchband heraus, das entfernt an Damenstrümpfe erinnert (für eine Trolldame mit stämmigen Unterschenkeln). Das Garn, erfahren wir, sei aus Kupfer, und das Ganze eine Rundstrickmaschine. Zu welchem Zweck würde man denn einen Kupferschlauch stricken wollen, fragt einer. Die junge Frau zeigt: „Ich würde hier abschneiden, das einrollen wie einen Strumpf …“ und dann dreht sie die Enden irgendwie fest, und ein super aussehender Topfkratzer ist fertig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen