Fotoausstellung von Ragnar Axelsson: Im nicht mehr ewigen Eis
Hamburgs Deichtorhallen zeigen Fotos vom schmelzenden Rand der Welt: Ragnar Axelssons Abgesang auf Gletscher und BewohnerInnen der Arktis.
Warum man in arktischer Einöde lebt? Weil man es nicht anders kennt. Weil es mühsame, aber vertraute Praxis ist, unwirtlicher Natur Nahrung und Behausung abzuringen. Und weil man genau die Fertigkeiten perfektioniert hat, die zum Überleben im bis dato „ewigen Eis“ nötig sind. So sehen es jedenfalls die wenigen verbleibenden Standhaften der arktischen Völker etwa Islands, Grönlands und Sibiriens.
Die Jugend derweil hat der Mühsal den Rücken gekehrt und ist großteils in die Städte abgewandert. Aber das tat sie aus freier Entscheidung, und genau hier setzt die Hamburger Retrospektive des isländischen Fotografen Ragnar Axelsson an: Qua Klimawandel nimmt die Natur den Verbliebenen die Entscheidung „bleiben oder gehen“ aus der Hand, indem die Eislandschaft einfach wegschmilzt, sich die Gletscher in einen anderen Aggregatzustand verwandeln.
Das Unheimliche – und zugleich wissenschaftlich Berechenbare: Das Eis verschwindet langsam, und nur wer nah dran wohnt merkt, dass der Gletscher von Jahr zu Jahr kleiner, die Eisdecke auf dem Meer dünner wird. Das ist zwar hierzulande ähnlich, weil auch die Alpengletscher schmelzen und hier wie dort schon einzelnen der Gletscherstatus aberkannt wurde – doch bleibt uns das arktische Problem seltsam fern.
Um diese Gleichgültigkeit aufzubrechen, hat sich Axelsson, der als Zehnjähriger mit einer Leica die Gletscher zu lieben und zu fotografieren begann, aufgemacht, die Arktis und ihre verbliebenen BewohnerInnen zu porträtieren. Heraus kam ein poetischer Abgesang auf das Leben der arktischen Jäger.
Dokument statt Mahnung
Herausgekommen sind ästhetische, virtuos komponierte Schwarz-Weiß-Porträts von Landschaft, Schlittenhunden, Jägern, die sich durchs Schneetreiben kämpfen, störrische Pferde bändigen, ihren Hunden zureden oder zum Fischen fahren. Mal kommt ein gegerbtes Gesicht ganz nah, mal lugt ein Hund seitlich ins Bild. Hauptprotagonistin bleibt immer die gigantisch weite Landschaft.
Seit 40 Jahren bereist Axelsson die Arktis und versteht sich als Botschafter einer Region, die als Gradmesser des Klimawandels gilt. Dabei ist der Ausstellungstitel „Where the World is melting“ etwas irreführend, denn die Gletscherschmelze ist eher eine Randnotiz.
Sicher, man kann sich denken, was passiert, wenn sich die breiten Risse im Gletscher bis auf den Boden durchgefressen haben und große Stücke abtrennen. Besorgniserregend auch die großen Wasserlachen auf dem Eis – dort, wo es am kältesten sein sollte. Aus einigen Gletschern lugen gar schon die Spitzen der darunter liegenden Vulkane hervor.
Vor allem aber dokumentiert Axelsson den Ist-Zustand einer für uns MitteleuropäerInnen nur bedingt begreiflichen Lebensform: Denn letztlich jagen die ArktisbewohnerInnen – wenn auch nicht im Übermaß – die aussterbenden Eisbären und Wale. Auch fällt es schwer, jenes Foto zu schätzen, auf dem Jäger gerade eine Robbe mit einem Stock getötet haben.
Wenn das Meer noch seltener zufriert
Zudem thematisiert die Ausstellung nicht, dass sie eine Minderheit präsentiert: Es sind nur wenige Menschen, die ihre Dörfer aufgeben müssen, wenn das Meer noch seltener zufriert, das Eis noch dünner wird und die für die Jagd so wichtigen Schlittenhunde nicht mehr trägt.
Axelsson ist also weniger Mahner als Dokumentar einer verschwindenden Welt, die er aus der Innensicht der Betroffenen zeigt: Bewusst hat er den harten Alltag dieser Menschen geteilt, um ihr Vertrauen zu gewinnen, ihre Geschichten zu hören. Zum Beispiel diejenige vom Riesen, der bei Schneesturm einschlief und bis heute nicht erwachte.
Und tatsächlich sieht die aufgeplatzte Schneedecke auf einem der Fotos aus wie ein grimmiger Urzeit-Riese. Und der Kreis aus schlafenden Schlittenhunden auf dem Schnee erinnert an ein Iglu, an das Rund der Welt, ein Sternbild vielleicht. In solchen Momenten beginnt man zu begreifen, welch spirituelle Vorstellungen in dieser Extremst-Natur entstehen.
Das ist bereichernd und weckt Empathie für eine schwindende Kultur. Politisch allerdings löst die Ausstellung ihr Versprechen nur sehr bedingt ein: Zwar ist erfreulich, dass sie nur wenige Klischee-Bilder auseinander driftender Eisschollen und einsam im Meer schwimmender Gletscher zeigt, die den Anschluss an den Pol verloren haben.
Trotzdem wäre es zumindest am Rande erwähnenswert gewesen, dass Gletscher – bzw. ihr Schmelzwasser – einen Großteil des weltweiten Süßwasserreservoirs bergen. Dass der auftauende Permafrost alte Bakterien und Umweltgifte freisetzt und dass mit den Gletschern wichtige Sonnenlicht-Reflektoren verschwinden, die vor Hitze schützen. Und dass der in der Schau zitierte Satz eines Arktisbewohners „Dem großen Eis geht es schlecht“ weit mehr ist als das von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) kürzlich diagnostizierte „Klima-Blabla“.