Fotografie der Industrie in der Arktis: Abschmelzende Ewigkeit

Die Landschaft der Arktis verändert sich. Gregor Sailer fotografierte dort die Spuren des Menschen. Zu sehen ist seine Ausstellung in Berlin.

In einer Schneelandschaft taucht hinter kahlen Bäumen kaum sichtbar eine schirmartige Wand auf

Gregor Sailer, EISCAT II, Ramfjordmoen, Norway 2020, Ausschnitt Foto: Gregor Sailer

Da ist zuletzt viel los oben im Norden, in der Arktis, mit all den unbekannten Flugobjekten von höchstwahrscheinlich militärischer Natur und unbestimmter Herkunft, die über Alaska nach Kanada und in die USA einfliegen. Das bekommt inzwischen sogar das breite Publikum mit.

Könnten sich also mehr Menschen als sonst für die Ausstellung „Polar Silk Road“ des österreichischen Fotografen Gregor Sailer interessieren, die noch bis Mitte April in der Alfred Ehrhardt Stiftung zu sehen ist? Immerhin können sie hier erstmals Bildern begegnen von öffentlich nie gesehenen Industrieanlagen, von Forschungs- und Messstationen, Kraftwerken, Bohrinseln und Abhöranlagen in der Eisregion. Und last but not least sogar einer unterirdischen U-Boot-Andockstation in Norwegen.

Seit fünf Jahren schon beobachtet Gregor Sailer, 1980 in Schwaz in Tirol geboren, die Mobilisierung der Nordpolregion, die mit ihrer neuen ökonomischen Bedeutung einhergeht. Der Zeitraum entspricht seiner Arbeitsweise.

Komplexe Langzeitstudien

Sailer wurde mit komplexen fotografischen Langzeitstudien zu den seltsamen Auswüchsen menschlichen Planungs- und Zivilisierungstüchtigkeit bekannt. Sie resultieren in Serien, die in ihrem stilistisch distinkten Ansatz einerseits an Bernd und Hilla Becher denken lassen, andererseits an die zwi­schen dokumentarischem und konzeptuellem Ansatz angesiedelte italienische Architekturfotografie wie sie von Walter Niedermayr, Gabriele Basilico oder Massimo Vitali bekannt ist.

Zu seinen bisherigen Arbeiten gehörte „Ladiz“ (2006), eine Serie über die Tourismusarchitektur der alpinen Hochgebirgslandschaft oder „Closed Cities“ (2012), einer Serie über abgeriegelte Orte der Rohstoffförderung, verborgene Militäranlagen, versteckte Flüchtlingslager oder Gated Communities für Wohlhabende in der ganzen Welt. Nun also hat sich Gregor Sailer nach jahrelanger Vorarbeit, nicht zuletzt aufwendigen Genehmigungsverfahren, in die Sperrgebiete der Polarregion aufgemacht. Hier manifestieren sich die neuen wirtschaftlichen Interessen und territorialen Ansprüche der Anrainerstaaten in entsprechenden Architekturen.

Bodenschätze erschließen

Grund des neuen Aufbruchs in den Norden ist die Erderwärmung, die eine eisfreie Route im Nordpolarmeer entlang der Nordküste Eurasiens eröffnet hat, die Atlantik und Pazifik verbindet und hinsichtlich Kosten und Zeit die Route über den Suezkanal um Längen schlägt.

Dank der neuen Route können auch die in der Arktis liegenden Bodenschätze kostengünstiger erschlossen werden. Wer in der Arktis seine Agenda durchzusetzen versteht, kann für sich erhebliche wirtschaftliche Vorteile herausholen, weshalb jenseits der Anrainer USA, Kanada, Russland, Dänemark und Norwegen, den Arktisstaaten Finnland, Schweden und Island, auch die vom Pol weit entfernte Großmacht China mitmischt, wie es der titelgebende Begriff der Polar Silk Road schon andeutet.

Mit wenigstens 30 Kilogramm Ausrüstung machte sich Gregor Sailer bei bis zu minus 55 Grad Celsius ins Eis und oft auch in die Nacht auf, um seine Großbildkamera beispielsweise am Varangerfjord aufzustellen und in einer langen Belichtung den Hafen von Kirkenes in Norwegen zu fotografieren. Im Vordergrund schwimmen weiße Eisplatten im dunkelblauen Meer, dessen Horizont die nächtlich erleuchtete Hafenanlage einnimmt.

Die auf Island gelegene Radarstation von Stokksnesi schaut aus wie eine intakte Teufelsberg-Kuppel vor dem Hintergrund steil aufragender Felsberge. Ihr großes Format von 100 x 126 cm ergänzen zwei kleinere, 40 x 50 cm messende Formate der Radaranlagen in Miðnesheiði und Bolafjall.

Die systematische Art der stets menschenleeren Aufnahmen, die wiederkehrenden Frontalansichten und Übereckansichten der Baulichkeiten erinnern an die Becher’sche Typologie. Anders als die Bechers setzt Gregor Sailer die Anlagen aber nie bildfüllend in Szene. Stets sind sie eingebettet in ihre Umgebung, die oft als weites, offenes Landschaftspanorama auftritt.

Gregor Sailer: Alfred Ehrhardt Stiftung: Auguststr. 75 in Berlin Mitte, bis 2. April.

30. März, 19 Uhr: Künstlergespräch mit Peter Schweitzer

Dieser Aufnahmestandpunkt wiederum und die tendenzielle Überbelichtung der Farbaufnahmen verbindet Sailer mit Protagonisten der italienischen Architektur- und Landschaftsfotografie wie Niedermayr und Vitali.

Das letztlich bildbeherrschende Motiv ist das ewige Eis, das, wie wir zunehmend leidvoll erfahren, eben nicht ewig ist, sondern abschmilzt. Dieser Prozess mit seinen dramatischen Folgen muss nicht unbedingt nur zu Rivalität führen, vielmehr fordert er mehr Kooperation in der Arktis heraus. Von dieser Notwendigkeit spricht Gregor Sailers großartige Arktisfotografie, wenn sie bei aller sachlichen Bestandsaufnahme die melancholische Schönheit der Eislandschaft bewahrt.

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