piwik no script img

Klimaschutz als PrivilegLieber Schamflüge und Extra-Scheine

Züge sind teurer als Billigflieger und brauchen länger. Deshalb können sich nicht alle Menschen leisten, klimafreundlich zu reisen.

Wer Zug fahren will, braucht gute Nerven – und Geld Foto: Paul Langrock

D as Jahr 2022 war für mich das Jahr des Zugfahrens und damit anders als die beiden Pandemiejahre zuvor. Zum einen saß ich selbst ständig in Zügen auf dem Weg zu Lesungen überall im Land. Die Geschichten von Zügen, die plötzlich und stundenlang in der Pampa stehen bleiben, vom Warten auf Anschlüsse in kalten Bahnhofshallen mit abmontierten Sitzbänken, vom Frust über das beschränkte Angebot (Wasser und Currywurst) im Bordbistro, von durch Waggons fliegenden Beleidigungen wegen der Aufforderung, eine Maske zu tragen, erspare ich Ihnen jetzt mal. Es saßen zum anderen nämlich auch die Menschen, denen ich begegnete, viel häufiger in Zügen, wie sie bei jeder Gelegenheit stolz verkündeten.

„Es ist einfach unverantwortlich, angesichts des Klimas zu fliegen,“ sagte mir etwa eine Mutter, kurz bevor sie allein mit ihrem 3-Jährigen in den Zug stieg, um eine 20-stündige Reise mit fünf Umstiegen nach Südeuropa anzutreten. Respekt, dachte ich mir. Natürlich hat sie recht, doch gehört neben einem ökologischen Bewusstsein nicht auch sehr viel körperliche und mentale Kraft dazu, einen Koffer, fünf Essenspakete und eine 15 Kilo schwere Nervensäge einen Tag lang von Zug zu Zug zu schleppen? Wie lange muss ein Urlaub sein, damit er nicht allein dem Erholen von solch einer Anreise dient? Wer hat überhaupt so viel Zeit?

Mittlerweile empfehlen ja auch Institutionen, die zu Vorträgen ins Ausland einladen, ihren Gästen, besser den Zug zu nehmen. So fällt mir erst auf, welche innereuropäischen Strecken gut angebunden sind. Von Berlin nach London etwa kommt man anscheinend schon in zwölf Stunden mit zwei Umstiegen. Kann man durchaus machen (daumendrückend, dass der deutsche Teil der Zugreise auch pünktlich losgeht und nicht irgendwo lahmliegt).

Allerdings liegt der Gesamtpreis der Zugverbindung bei mittelfristiger Buchung ziemlich genau beim doppelten Preis des Hin- und Rückflugs mit Ryanair, jeweils in eineinhalb Stunden. Auf Einladung zu einer Konferenz kann man sich den Luxus bestenfalls vom Gastgeber bezahlen lassen. Wer allerdings mit Kind und Kegel eine private Reise plant, müsste ein enormes Budget haben und noch dazu ein sehr großes Herz – fürs Klima, für gelangweilte Kinder und insbesondere für England.

Klassistische Forderung

Natürlich ist Flugscham nichts Neues, sie scheint nur von Jahr zu Jahr präsenter zu werden, ohne dass wirklich politische Konsequenzen daraus folgen. Okay, es wäre toll, wenn wir alle ganz individuell unsere CO2-Fußabdrücke minimierten, während Industrie und Handel die Erde fröhlich weiter verpesten. Aber wäre es nicht noch toller, wenn es günstiger käme, klimafreundlich zu verreisen?

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wenn Zugreisende mehr Urlaubstage bekämen, weil sie mehr Zeit für die Reise aufbringen müssen, und diese Reisen halb so viel kosten würden wie der Billigflieger, und nicht umgekehrt? Andernfalls bleibt klimafreundliches Reisen allein Distinktionsmerkmal einer aufgeklärten Schicht, der es anscheinend an Ressourcen wie Zeit und Geld sowieso nicht mangelt. Und eben Geduld, wo immer die Deutsche Bahn involviert ist.

Die Abschaffung des Billigfliegers ist ja auch so eine klassistische Forderung, die vor allem die Diaspora regelmäßig in Rage bringt. Wer auf dem Landweg fünf Tage bräuchte, um in die Heimat zu reisen und der Oma zweihundert Euro zuzustecken, kann sich die Flugscham schlicht nicht leisten. Wen wundert es da also, wenn viele sich denken: Dann lieber den Schamflug buchen und ein paar Extra-Scheinchen für die Lieben mitbringen.

Ist ja auch nicht so, dass Scham allzu oft in der Geschichte für Fortschritt gesorgt hätte. Protest hingegen schon. Wenn also Aktivist_innen von Letzte Generation sich auf Fluglandebahnen kleben, dann dürfte das durchaus mehr Konsequenzen haben als eine brave Mittelschicht, die sich am Bahnsteig auf die Schulter klopft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Schade, wieder ein Kommentar von der TAZ, den ich nicht verstehe... Menschen, und da kann man sich gerne umschauen, kein Geld haben, fliegen auch nicht! Dazu ist schlicht kein Geld und keine Zeit da. Erinnere ich mich an die Zeit, in der ich noch mit Fliegern, und ja, vorzüglich Billigfliegern unterwegs war (inzwischen gute 10Jahre her...), waren zumindestens damals kaum Familien unterwegs. Und was das schnell ankommen bedeutet: natürlich ist man schneller mit dem Flieger schneller, aber 1,5h Flugzeit gegen 12hBahnzeit stimmt gerade bei Billigfliegern nicht, weil die Anfahrt zum Flughafen deutlich länger dauert (Bahnhöfe sind innerstädtisch, Flughäfen glücklicherweise außerhalb der Städte) plus mind. 1h, wenn nicht sogar 2h vorher da sein, plus am Zielbahnhof Gepäck einsammeln, falls aufgeben, plus langes Auschecken (Flughäfen sind meist größer als Bahnhöfe) plus Reise zum eigentlichen Zielort... Das sind mind. nochmal 6h zur reinen Flugzeit drauf, meist noch mehr... Das ist nicht wenig!! Ich habe das von London häufig gemerkt, billig von Stansted - wunderbar, aber ich brauchte dahin alleine mindestens 2h. Nach St. Pancras dagegen 30min... Also kann man sagen, mit Flieger immer mind. +6h, mit Bahn höchstens +2h... Und dann ist es auf einmal nicht mehr ganz so schlimm... Aber das musste ich auch lernen... Ich habe irgendwann akzeptieren müssen, dass nach einem Flug der Tag genauso Reisetag war wie mit der Bahn.

  • Wenn auf Kerosin die übliches Mineralölsteuern fällig wären, dann wäre es sofort vorbei mit dem Billigfliegen. Aber ach - das geht ja nicht, wegen der internationalen Konkurenz ...

    Solange Fliegen indirekt subvensioniert wird - wird sich an dem Missverhältnis nichts ändern.

  • Na ja, irgendwie stimmt das schon ABER; Da beisst sich auch die Katze in den Schwanz - je mehr Menschen sich für die umweltfreundliche Bahn entscheiden, desto besser wird die Infrastruktur ausgebaut, die Angebote ausgeweitet und angepasst, etc. Das ermöglicht wiederum eine bessere Kalkulation des Tickets ...

  • Unglaublich!



    Schuld sind immer die Anderen, ich wasche meine Hände in Unschuld.



    Es wurde im Pandemiejahr 1 deutlich, dass die Personenbeförderung um 70% zurück ging, auf das Niveau von 1980.



    Ja liebe Kunder, das war nach dem zweiten Weltkrieg, in Zeiten der Hochkonjungtur und Westdeutschland war von ernsthaften Krisen weit entfernt.



    Menschen fuhren in Urlaub , überwiegend mit der Bahn oder gemeinsam mit der Familie im PKW.



    Ketzteres ist übrigens, nach wie vor, CO2 technisch weit günstiger als Fliegen.



    Der Eine oder die Andere hat vielleicht schon mal gehört, dass zu Rettung des Klimas auch Verzicht gehören wird. Ansonsten klappt da nicht viel.



    Aufs Fliegen zu verzichten dürfte eine der leichtesten Übungen sein.



    Die Verantwortungslosigkeit der Autorin ist allerdings keine große Überraschung, Menschen neigen bekanntlich dazu, Andere für Fehler verantwortlich zu machen.



    Ob sich irgendwo 5 am Boden festkleben ist so bedeutsam, wie der sprichwörtliche Sack Reis in China.



    Letzterer erhält jedoch zunehmend Bedeutung.

  • Eine besondere Ungerechtigkeit des Arbeitsrechts wurde noch gar nicht erwähnt. Fahre ich im Dienstwagen zum Kundentermin gilt die Fahrtzeit komplett als Arbeitszeit weil ich neben dem Fahren ja keine berufliche Tätigkeit ausüben kann. Nehme ich dagegen den Zug kann ich ja angeblich nebenbei arbeiten und die Fahrtzeit wird mir nur hälftig angerechnet. Auf wiederholte Nachfrage bekomme ich immer nur die Antwort doch das Auto zu nehmen wie alle anderen Kollegen auch wenn mich das stört.



    Ich hab dieses Jahr auf sanften Druck der Tochter hin versucht, bis auf wenige Ausnahmen immer den Zug zu nehmen. Erst während der 9€ Monate musste ich damit aufhören, denn die Fahrten in der Zeit waren die reinste Katastrophe.

  • meine 100%ige Zustimmung!

  • Noch mehr brächte es "Güter auf die Schiene" zu bringen.

    Von den jährlich etwa vier Milliarden Tonnen Güterfrachtverkehr in Deutschland gehen etwa 3,8 Milliarden Tonnen über LKW. Die gesamten Autobahnen und großen Bundesstraßen in Deutschland bestehen werktags auf der rechten Spur aus einer einzigen LKW-Kolonne.

    Diese haben das deutsche Autobahn- und Brückennetz derart ruiniert, dass endlose Baustellen zu Umwegen zwingen, deren Zusatzverkehr die Schäden noch vergrößert.



    Die Autobahnparkplätze, in Wahrheit längst ein öffentlich finanzierter Ersatz für die eingesparten Lagerhallen, quellen über, der ungeheure Schadstoffausstoß schädigt die Umwelt. Ein beladener 40 t-Lkw verbraucht im Schnitt 39,2 l/100 km, der leere 40 t-Lkw 29,3 l/100 km. Und wie viel zig oder hundert Millionen LKW-Fahrten sind hier im Jahr unterwegs, oft über sehr lange Strecken?

    Zudem wäre es toll, statt in bewährter Populismus-Manier 50 Millionen Tickets zu verschenken, einfach auch mal den 150-Milliarden-Euro-Investitionsstau der Bahn anzugehen.

    Eine Reihe - auch ökologisch denkender Kolleg*innen von mir - sind in den letzten Jahren wieder auf das Auto umgestiegen, weil der ÖPNV aus vielen Gründen immer unerträglicher wird.