Klimareparationen für Globalen Süden: „Es ist kriminell“
Wie können Industrieländer ihre Klimaschulden gegenüber dem Globalen Süden abbezahlen? Der Ökonom Fadhel Kaboub erklärt, was faire Reparationen wären.
wochentaz: Herr Kaboub, wie kann ich meinem Onkel beim Weihnachtsessen das Konzept der Klimaschulden erklären?
Fadhel Kaboub: Der Klimawandel entsteht durch CO2-Emissionen, die sich in der Atmosphäre ansammeln. Um ihn zu bremsen, dürfen nur eine maximale Menge Treibhausgase ausgestoßen werden. Doch dieses CO2-Budget haben die Länder im Globalen Norden rechnerisch gesehen bereits überschritten – während umgekehrt die Länder im Globalen Süden am schwersten von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen. Der Norden steht beim Süden also in einer Klimaschuld.
Geht es dabei um Geld?
Um einen Stuhl zu reparieren, braucht man Geld. Man braucht aber auch Werkzeuge, Fähigkeiten und Zeit. Genau so geht es bei den Klimareparationen nicht nur um Geldtransfers. Es stimmt, dass ein Schuldenerlass Sinn ergibt, denn viele Entwicklungsländer sind stark verschuldet und brauchen Spielraum in der Finanzpolitik. Reparationen sollten aber auch Technologietransfer beinhalten, etwa das Know-how zur Produktion von Solarzellen. So können besonders betroffene Länder eine widerstandsfähige Infrastruktur gegen den Klimawandel aufbauen.
Wieso geht der Globale Süden immer als Bittsteller in Verhandlungen?
ist Associate Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Denison-Universität in den USA und Mitglied einer unabhängigen Expertengruppe für gerechten Wandel und Entwicklung.
Alle Klimaverhandlungen und damit auch die jährliche COP-Konferenz sind umkämpfte geopolitische Räume, in denen es nicht nur ums Klima geht. Der Präsident, der bei einer COP für einen Klimafonds verhandelt, ist derselbe Präsident, der vor zwei Wochen um Schuldenerlass verhandelte und der nicht genug finanziellen Spielraum hat, um Weizen aus Russland, der Ukraine oder Frankreich zu importieren. Einzelnen Länder im Globalen Süden haben viele Verwundbarkeiten in ganz verschiedenen Themengebieten wie Schulden, Sicherheit und vielen mehr. Die Länder aus dem Globalen Norden nutzen das bei Verhandlungen aus. Je mehr Verwundbarkeiten du hast, desto schwächer ist deine Position.
Wie könnte die Verhandlungsposition des Globalen Südens gestärkt werden?
Eigentlich hat der Globale Süden Druckmittel für Verhandlungen – wenn sich die Länder zusammenschließen. Der britische Ökonom John Maynard Keynes sagte einmal: Wenn du deiner Bank 5.000 Dollar schuldest und du sie nicht hast, hast du ein Problem. Aber wenn du deiner Bank 50 Millionen Dollar schuldest und du sie nicht hast, hat deine Bank ein Problem. Die Länder des Globalen Südens kontrollieren die Vorkommen fast aller wichtigen Mineralien, die der Globale Norden und China brauchen. Statt diese, wie derzeit üblich, als Rohstoffe zu exportieren, könnten Länder im Globalen Süden durchsetzen, dass ein Teil dieser Mineralien in ihren Ländern verarbeitet wird. Dort gibt es die Ressourcen, die Fähigkeiten und die Nachfrage in großem Umfang. Für die technologischen Lösungen braucht es Partnerschaften. Gleichberechtigte Partnerschaften, nicht Partnerschaften in ausbeuterischen neokolonialen Beziehungen.
Im Globalen Süden werden bereits erneuerbare Energien in großem Umfang erzeugt.
Ja, aber sie produzieren grünen Wasserstoff oder grünen Strom, um ihn nach Europa zu exportieren. Diese Projekte sind ausbeuterisch. Sie dekarbonisieren nicht wirklich den afrikanischen Kontinent, sondern dienen der Energiesicherheit Europas. Das wiederholt dasselbe Muster ausbeuterischer Industrien, das wir bereits kennen.
Welche Relevanz haben sogenannte Klimaklagen bei der Klimaschuld?
Wir brauchen eine Vielzahl von Instrumenten, auch juristische. Im Allgemeinen denken die Menschen bei Klimareparationen an Zahlungen von Staaten. Aber auch Unternehmen tragen Verantwortung für den Klimawandel und können direkt für tatsächliche Reparationen verantwortlich sein. Beim Klima fehlt dafür aber derzeit die verbindliche Rechtsgrundlage. Weltweit laufen mehrere dieser Klagen, die hoffentlich erste Präzedenzfälle schaffen und den Druck für einen geordneten Fonds erhöhen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Ein weit verbreiteter Glaube ist, dass es Wirtschaftswachstum braucht, um finanzielle Mittel für die Dekarbonisierung zu haben. Sie fordern das Gegenteil.
Die Leute, die mit Wirtschaftswachstum die finanziellen Mittel für die Dekarbonisierung schaffen wollen, sind dieselben, die die größten Verschmutzer besteuern wollen, damit wir grüne Dinge finanzieren können. Es ist, als würde man Raucher besteuern, um Krankenhäuser zu finanzieren und gleichzeitig hoffen, dass mehr geraucht wird, um mehr Steuern zu erhalten. Das ist kontraproduktiv. Natürlich sollten wir Verschmutzer besteuern. Aber nicht damit Staaten an Geld kommen, sondern weil wir weniger CO2-Emissionen brauchen. Eine ernsthafte, emissionsreduzierende Strategie basiert auf staatlicher Regulierung. Ein Teil davon kann Degrowth sein, unbegrenztes Wirtschaftswachstum gehört auf jeden Fall nicht dazu.
Welche Entscheidungen müssen auf der Klimakonferenz in Dubai getroffen werden, um den Weg zur Klimagerechtigkeit zu beginnen?
Wir brauchen einen Fonds für Schäden und Verluste. Für den Fonds gab es auf der Klimakonferenz im vergangenen Jahr durch die vereinten Kräfte des Globalen Südens einen großen Schub. Jetzt geht es darum, wer ihn finanziert, welche Summe er umfasst und unter welchen Bedingungen Länder Geld daraus erhalten können. Kleine Milliardenbeträge reichen nicht aus. Zweitens brauchen wir den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Länder und Unternehmen, die immer noch in fossile Brennstoffe investieren, unterzeichnen unser kollektives Selbstmordabkommen, weil sie wissen, was die Förderung fossiler Brennstoffe für die Klimakrise bedeuten wird. Es ist kriminell und sollte entsprechend behandelt werden.
Aber es gibt ja auch viele Länder im Globalen Süden, die das weiter tun, zum Beispiel wegen der Abhängigkeit von Öl.
Nigeria zum Beispiel. Solche Länder sollten beim Ausstieg unterstützt werden. Es braucht einen gerechten Übergang für die betroffenen Länder.
Wie optimistisch sind Sie, dass diese Ziele erreicht werden?
Ich bin nicht sehr optimistisch, wenn ich realistisch betrachte, wo wir derzeit stehen. Vielleicht gibt es vernünftige Fortschritte beim Fonds für Verluste und Schäden. Beim Ausstieg aus fossilen Brennstoffen gibt es vielleicht eine vage Erwähnung, aber keine echte Verpflichtung. Das sind jedoch die kleinen Schritte, die man braucht, um irgendwohin zu gelangen. In den Abschlusserklärungen der 27 COPs zuvor wurden fossile Brennstoffe gar nicht erwähnt. Ich bin immerhin optimistisch, dass das diesmal zumindest passiert. Auch, weil das Gastgeberland, eine große Ölfördernation, seine Wirtschaft vom Öl weg diversifizieren will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen