Klimaneutral bis 2045?: Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Zwei Gründe, warum grünes Wachstum eine Illusion ist. Einen Plan B haben Ökonomen nicht, dabei geht es um die Existenz der Menschheit.
G rünes Wachstum ist ein bisschen wie Abnehmen durch mehr Essen. Dennoch wird diese Idee von vielen Expert*innen und Politiker*innen geteilt. Dabei setzt das grüne Wachstum zwei zentrale Dinge voraus: 1. Alle Branchen können bis 2045 klimaneutral werden. 2. Es wird genug Ökoenergie vorhanden sein, denn die brauchen wir für grünes Wachstum zwingend. Gegen beide Punkte lassen sich gut begründete Zweifel vorbringen.
1. Nicht alle Branchen können klimaneutral werden
Man muss sich schon fragen, wie beispielsweise die Flugzeugbranche technisch klimaneutral werden will. Biokerosin erzeugt Kondensstreifen, die durch den Treibhauseffekt die Erde zusätzlich erwärmen. Ein Elektromotor, der leicht genug ist und bis 2045 marktreif sein wird, ist derweil noch überhaupt nicht in Sicht.
Marktreife Produkte entstehen eigentlich immer durch sogenannte Skaleneffekte. Das sind Kostenvorteile durch Massenproduktion. Je mehr also produziert wird, desto billiger wird jedes Stück. Das liegt ganz einfach daran, dass die Fixkosten, zum Beispiel die Miete für eine Maschine, auf mehr Produkte umgelegt werden können und somit der Anteil der Fixkosten am Preis der Ware sinkt.
Bis Produkte marktreif sind, kann viel Zeit vergehen. Beim 1945 erfundenen Computer dauerte es gut 65 Jahre, bis er sich so durchgesetzt hatte, dass wir von einer halbwegs digitalisierten Welt sprechen konnten. Auch Produkte wie das Handy brauchten lange, bevor sie massentauglich wurden – und verwenden zum Beispiel Technologien wie das GPS oder Touchscreens, die bereits in den 1970er oder 1980er Jahren entwickelt wurden.
Aber auch die Bemühungen, die Baubranche klimaneutral umzugestalten, sind kein Zuckerschlecken. Zement entsteht dadurch, dass CO₂ von Kalk abgespalten wird. Da es sich um eine unvermeidbare chemische Reaktion handelt, ist der CO₂-Ausstoß zwangsläufig.
2. Die nötigen Energiemengen sind riesig
Dieser Text ist Teil des Projekts taz Panterjugend: 26 junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, Nachwuchs-journalist:innen, -illustrator:innen und -fotograf:innen, kommen im Januar 2025 zu digitalen Seminaren zusammen und im Februar zu einer Projektwoche in die taz nach Berlin. Gemeinsam entwickeln sie zur Bundestagswahl Sonderseiten für die taz – ein Projekt der taz Panter Stiftung.
Ob die Ökoenergie bei unserem großen Bedarf am Ende reicht, ist alles andere als sicher. Doch auch wenn in diesem Bereich bis heute zu wenig geschehen ist, bleibt es richtig, mit seinem Ausbau lieber spät als nie anzufangen. Die Mengen an Ökoenergie, die wir bis 2045 benötigen, sind jedoch so unfassbar groß, dass selbst ein sehr ambitionierter Ausbau, vorsichtig ausgedrückt, ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang ist. Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Allein die Chemieindustrie wird dann voraussichtlich jedes Jahr mehr als 250 Prozent der Ökoenergie brauchen, die ganz Deutschland im Jahr 2024 verbrauchte.
Auch Branchen wie die Stahl- oder Autoindustrie werden extrem viel Ökoenergie benötigen. Investitionen in „grünen“ Stahl sind jedoch sehr teuer und somit für Investoren nicht rentabel. Eigentlich müssten folglich Subventionen fließen, das ist aber politisch unwahrscheinlich.
Verzicht und Schrumpfen sind unbeliebt
Zu all diese Fragen wird erschreckend wenig geforscht. Das ist fatal. Denn wenn die Ökoenergie nicht ausreicht oder manche Branchen nicht klimaneutral werden, dann wäre die Grundanalyse jener Expert*innen falsch, die behaupten, dass grünes Wachstum möglich sei. Wenn das nicht gelingt, würde es im zweiten Schritt bedeuten, dass unsere Wirtschaft schrumpfen müsste. Politiker*innen können grünes Schrumpfen wiederum auch deshalb kaum öffentlich vertreten, da sie wiedergewählt werden wollen. Verzicht ist unbeliebt und Schrumpfen erst recht.
Bisher gehen fast alle Wirtschaftstheorien davon aus, dass unser kapitalistisches System Wachstum braucht, um zu funktionieren. Degrowth-Ökonomen erhalten dagegen kaum volkswirtschaftliche Lehrstühle an den Hochschulen, weshalb fast gar nicht dazu geforscht wird. Das Ende vom Lied ist dann, dass es keine gesamtwirtschaftliche Modellierung gibt, wie grünes Schrumpfen funktionieren könnte.
Das ist tragisch, weil man einen Plan B haben sollte, falls grünes Wachstum gar nicht oder nicht in dem Maße möglich ist wie erhofft. Und es ist verantwortungslos, weil es doch um die Existenz der Menschheit geht!
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