Klimakrise aus Sicht des Globalen Südens: Langer Schatten des Kolonialismus
Die Klimawissenschaft ist vor allem eine Wissenschaft des Westens. Sie ist zudem überwiegend männlich.
V or einiger Zeit schrieb Imeh Ituen in der taz über Klimakrise und Rassismus. Ein bemerkenswertes und überfälliges Unterfangen, die Frage des Klimawandels beziehungsweise den Umgang damit vom Globalen Süden aus zu betrachten. Hauptpunkt dieses Beitrags war, dass die Klimabewegung vor allem eine Sache von Akteuren aus dem Westen wäre. Bemerkenswert war ihr Hinweis, dass das „Future“ in „Fridays for Future“ Ausdruck für das Übersehen der wirklichen Probleme des Globalen Südens sei – einfach, weil die Probleme dort eben schon seit Langem die Menschen belasten und es sich nicht zuallererst um ein Problem der Zukunft handelt. Interessant war auch, dass sie das Thema „Klima“ als Oberbegriff für jede Art von Ungerechtigkeit und Ungleichheit zwischen dem reichen Westen und dem Globalen Süden verwendet (unter anderen Rassismus, Sexismus).
Für einen Klimaforscher wie mich, alt und männlich, war das überraschend und irritierend, aber doch auch angemessen. Diese breite Verwendung des Klimathemas, jenseits von Fragen des geophysikalischen Wandels und dessen Folgen, stellt einen wesentlichen Perspektivwechsel dar. Er mag auch erklären, warum behauptet wird, der Globale Süden habe seit Jahrzehnten mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Hier werden die Gefahren des „normalen“ Klimas mit den verschärften Gefahren des durch menschliche Eingriffe veränderten Klimas verwechselt. Tatsächlich gab es gerade in den Zeiten ohne Video und TV immer wieder schrecklichste Wetterkatastrophen, die die westliche Öffentlichkeit kaum berührten. Ein bedrückendes Beispiel ist ein Taifun in Bangladesch 1970, der mit dem Tod von bis zu einer halben Million Menschen einherging.
Aber ein Thema bleibt unerwähnt: der lange Schatten des Kolonialismus, wonach die Kolonialisten es besser wissen als die Indigenen. Es wird unkritisch übernommen, was im Westen behauptet wird. Ein Beispiel ist das Narrativ, wonach jedes Klima-/Wetter-Extremereignis eine Folge des Klimawandels sei. Aber bei dem besagten 1970er Taifun konnte keine Rede vom menschengemachten Klimawandel sein, und auch jetzt sind die Belege dafür, dass tropische Stürme schon jetzt schlimmer oder häufiger geworden sind, dürftig.
Ein prototypisches Ereignis war das Aufeinandertreffen von Al Gore mit der Premierministerin Hasina von Bangladesch auf dem World Economic Forum 2017. Es ging um ein neues Kohlekraftwerk. Al Gore meinte, das Recht zu haben, Frau Hasina belehren zu dürfen. Ein alter weißer Mann, der weiß, wo es langgeht, und eine Frau aus Bangladesch, von der er meinte, sie wisse es nicht. Bei dem Beispiel geht es nicht darum, ob das Kraftwerk nun gebaut werden sollte, ob es wesentlich für die Lebensqualität von vielen Menschen dort ist, sondern dass dieser Mann aus dem Westen sich anmaßte, der Premierministerin aus dem Süden Vorschriften machen zu dürfen.
ist Klimaforscher und Mathematiker. Er ist Professor an der Universität Hamburg und der Ocean University of China sowie ehemaliger Leiter des Instituts für Küstenforschung am HelmholtzZentrum Geesthacht – Zentrum für Material- und Küstenforschung in Geesthacht.
Auch die Kritik, dass dieses oder jenes Land Umweltsünden zugunsten wirtschaftlicher Interessen begehen würde, hat – wenn im Westen formuliert – einen unangenehmen Beigeschmack, wenn man sich vergegenwärtigt, wie denn die Landschaften des Westens vor der „Kultivierung“ aussahen. Forderung nach einer Renaturierung der Kulturlandschaft Lüneburger Heide hört man selten.
Woher weiß der Globale Süden, wie der menschengemachte Klimawandel sich dort, im Globalen Süden, ausprägt, und wie man dagegen vorgehen kann oder gar muss? Er weiß es vor allem, weil der reiche Westen es ihm mitteilt. Es gibt zwar mehr und mehr Universitäten und Forschungsinstitute im Globalen Süden, aber das sind meist Abbilder dessen, was im Westen läuft. Die Leistungsträger werden im Westen ausgebildet, aber selten genug ernst genommen.
Wenn man sich die Liste der IPCC-Leitautoren ansieht, dann erkennt man, dass darauf geachtet wird, dass der Globale Süden auf allen Ebenen vertreten ist, aber unter dem Strich sind es doch recht wenige. Der reiche und kluge Westen ist überrepräsentiert, insbesondere was die dominanten Personen angeht. Der Globale Süden (mit wenigen Ausnahmen vor allem aus Indien und China) wird kaum gehört oder gar ernst genommen. Die Klimawissenschaft ist eine Wissenschaft des Westens. Sie ist zudem überwiegend männlich.
Umgang mit dem Klimawandel
Dies zeigt sich insbesondere in der Frage des Umgangs mit dem Klimawandel – in Anbetracht der oft geringen Emissionen und der schon lange andauernden Verletzlichkeit gegenüber gegenwärtigem und zukünftig möglichem Wetter und Klima ist in vielen Teilen des Globalen Südens eine deutlich größere Rolle der Anpassung angezeigt. Wiederum liefert Bangladesch ein Beispiel: Nach dem Taifun 1970 begann man den Küsten- und Bevölkerungsschutz in Bangladesch massiv zu verbessern, und nach einem weiteren schweren Sturm, 1990 mit fast 100.000 Opfern, ist es jetzt gelungen, durch geeignete Baumaßnahmen und Organisation die Fallzahlen massiv zu reduzieren.
Aber heute fragt der Westen kaum mehr, wie der Schutz vor den Ereignissen besser gemacht werden kann, sondern danach, wie man zukünftige Ereignisse durch Emissionsminderung und vielleicht Geoengineering vermeiden kann. Das Thema der Anpassung verblasst auf UN-Konferenzen regelmäßig vor dem Thema der Emissionsminderung. Aber selbst wenn das ambitiöse Pariser Ziel erreicht wird, wird sich an den Klimagefahren und ihren zwischenzeitlich erfolgten Verschärfungen und damit dem Anpassungsdruck nichts ändern.
Unter dem Strich bleibt: „Der Westen“ sollte sich zurückhalten und „dem Süden“ zutrauen, politisch wie wissenschaftlich eigene Positionen zu entwickeln, die sich an der Lage vor Ort orientieren. Dazu ist logistische, auch finanzielle Unterstützung konstruktiv. Aber der Versuch der inhaltlichen Steuerung stellt eine Fortsetzung des Kolonialismus dar.
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