Klage gegen EU-Parlament: Ungarn droht vor EuGH zu scheitern
Der Generalanwalt hat keine Bedenken, das Rechtsstaats-Verfahren gegen Ungarn weiterlaufen zu lassen. Das Land hatte die Abstimmung kritisiert.
Das Europäische Parlament hatte im September 2018 beantragt, das in Artikel 7 des EU-Vertrags vorgesehene Rechtsstaatsverfahren einzuleiten. Grundlage war ein Bericht der niederländischen Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini, in dem sie umfassende „Bedenken“ auflistete. So seien die Befugnisse des ungarischen Verfassungsgerichts eingeschränkt worden, es habe manipulative Volksabstimmungen gegeben, bei der Verwendung von EU-Mitteln gebe es wohl Betrug und Bestechung, der öffentlich-rechtliche Rundfunk berichte einseitig und die Rechte von Flüchtlingen würden verletzt.
Auf der ersten Stufe des Rechtsstaatsverfahrens könnte der Europäische Rat mit 80-prozentiger Mehrheit feststellen, dass eine „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der EU-Grundwerte besteht. Dies wäre eine Art letzte Warnung. Erst auf der zweiten Stufe drohen dann Sanktionen wie der Entzug des Stimmrechts. Hier wäre aber ein einstimmiger Beschluss der anderen EU-Staaten erforderlich, den Polen voraussichtlich blockieren würde.
Doch Ungarn versuchte, schon den Start des Verfahrens zu blockieren und klagte beim EuGH gegen den Antrag des Europäischen Parlaments. Dieser sei nicht korrekt zustandegekommen, weil die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit nicht erreicht wurde. Die Stimmenthaltungen hätten mitgezählt werden müssen, so Ungarn. Tatsächlich stimmten 448 Abgeordnete für die Einleitung eines Verfahrens gegen Ungarn, 197 Abgeordnete dagegen (darunter fast alle CSU-Parlamentarier) und 48 Abgeordnete enthielten sich. Die Zwei-Drittel-Mehrheit war also nur erreicht, wenn die Stimmenthaltungen ignoriert wurden.
EU-Parlament hielt Klage für unzulässig – Gutachter nicht
Das EU-Parlament hielt schon die Klage Ungarns für unzulässig. Ein derartiger Antrag sei nur eine „Zwischenmaßnahme“ ohne Rechtswirkung, für die der EuGH keine Zuständigkeit habe.
Dies sah Generalanwalt Bobek in seinem Gutachten aber anders: Ungarns Klage sei zulässig, weil auch die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens schon juristische Folgen habe. So sei nun die Auslieferung von Straftätern nach Ungarn erschwert. Und eventuelle Asylanträge von Ungarn müssten in den anderen EU-Staaten jetzt geprüft werden.
In der Sache empfahl Bobek dem EuGH jedoch, die ungarische Klage abzulehnen. Der Antrag des Europäischen Parlaments sei korrekt zustandegekommen, so Bobek. Nach der Geschäftsordnung des Parlaments seien bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses nur Ja- und Nein-Stimmen zu berücksichtigen, nicht aber Enthaltungen. Auch aus dem EU-Vertrag ergebe sich nichts anderes. Der EuGH wird in einigen Wochen sein Urteil verkünden. (Az.: C- 560/18)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag